"Ein herzliches Willkommen hier im Eintrachtstadion in Braunschweig."
Woche für Woche, wenn ein Spiel angesetzt ist, kleidet sich die Stadt in blau und gelb. Zumindest der fußballbegeisterte Teil. Die Fans strömen ins Eintrachtstadion in der Hamburger Straße, das an dieser Stelle seit 90 Jahren steht und zum Stadtbild gehört wie der Löwe vor dem Dom, der Diercke-Atlas, die wiederaufgebaute Frontfassade des Residenzschlosses und das alte Büssing-Werk.
"Wir freuen uns auf Bayern München, auf Borussia Dortmund, wir freuen uns aber auch auf Hannover 96 und den VfL Wolfsburg und freuen uns auf tollen Fußball in der ersten Liga."
Stephan Lemke ist Eintracht-Fan, von Berufs wegen schon. Er ist Geschäftsführer der Stadthalle Braunschweig. Die städtische Gesellschaft wacht über das Eintracht-Stadion. Und die Stadt finanziert den Umbau, der derzeit auf Hochtouren läuft.
"Da vorne ist die Anbaukante sozusagen. Der Bereich ist alt, dieser hier neu. Dieses hier wird der VIP-Live-Bereich für 200 Personen. Das ist der alte VIP-Bereich, der hatte eine Kapazität von knapp 100 Leute, dann wurde es schon kuschelig."
Das Eintracht-Stadion gleicht heute einer großen Baustelle wie vor 90 Jahren, beim Eröffnungsspiel am 17. Juni 1923 fehlte noch die Haupttribüne, sie wurde ein Jahr später erst fertiggestellt. 24.000 Zuschauer passten damals in das Rund. Das Stadion wurde vergrößert, als Eintracht Braunschweig 1963 in der neugegründeten Bundesliga spielte. Im Meisterjahr 1967 feierten 38.000 Zuschauer ihre Mannschaft. Wer kein Ticket bekam, kletterte auf die hohen Pappeln hinter der Nordkurve.
"Und jetzt wünsche ich viel Spaß bei der Partie Eintracht Braunschweig gegen FC Erzgebirge Aue."
Kurz vor Spielbeginn. Das Stadion füllt sich, die Fans stimmen erste Gesänge an. Vom provisorischen VIP-Zelt machen sich die Ehrengäste auf den Weg zu ihren Plätzen auf der Haupttribüne.
"Wir haben jetzt seit Jahren unseren Platz. Im Zelt treffen wir uns die 67 und die, die uns rein gebracht haben in die Bundesliga. Das sind alles Leute mit Ehrenkarte und dann spricht man halt gerne über andere Zeiten und die jetzige Mannschaft."
Walter Schmidt, 75 Jahre alt, rechter Läufer in der Mannschaft, die 1967 deutscher Fußballmeister wurde, ist Stammgast im Eintracht-Stadion. 1959 kam er zur Eintracht, spielte zuvor beim TuS Recke in Westfalen.
"Voller Ehrfurcht, ich war begeistert, in einem solchen Stadion spielen zu dürfen. Damals zunächst mal Probetraining, dann die ersten Spiele. ... Das war für mich, der von einem ganz kleinen Verein damals gekommen ist, eine riesige Geschichte, aber eine wunderbare Zeit."
Als drahtiger, wendiger Sonderbewacher, der gegen Uwe Seeler ebenso überzeugend spielte wie gegen Franz Beckenbauer oder Günter Netzer, hat Walter Schmidt einen festen Platz in der Vereinsgeschichte von Eintracht Braunschweig. Seine schwarzen Haare sind heute in Ehren ergraut, das Gesicht gebräunt, die wachen, freundlichen Augen verraten seine ungebrochene Lebensfreude und die Zufriedenheit mit dem, was er als Fußballspieler erreichte. Die heutige Westtribüne, auf der Walter Schmidt seinen Ehrenplatz hat, war der einzige überdachte Bereich. Ansonsten standen die Fans, Wind und Wetter ausgesetzt, unter freiem Himmel und peitschten ihre Mannschaft unverdrossen an. In den folgenden Jahren verfiel die Bausubstanz zusehends.
Die Wurzeln der Pappeln hinter der Nordkurve wuchsen aus dem Erdreich. Auf der gegenüberliegenden Südkurve drängten sich durch die Risse des Betons Büsche und Bäume. Anfang der 90er-Jahre sperrte die Stadt die Südkurve und auch einige Stehplätze auf der Gegengeraden. Ein paar Jahre später wurde die Südkurve abgerissen, neu aufgebaut und überdacht, die Gegentribüne zu einer reinen Sitzplatztribüne umgebaut, die Flutlichtanlage komplett ersetzt, die Anzeigetafel erneuert. Nun, sagt Stephan Lemke, seien Nordkurve und die Westtribüne dran. Der Geschäftsführer der Stadionbetreibergesellschaft geht davon aus, dass zu Beginn der neuen Saison alles fertiggestellt und vorbereitet ist für den großen Moment, in dem wieder 1.-Liga-Fußball geboten wird im runderneuerten Braunschweiger Eintracht-Stadion, das seit 90 Jahren an selber Stelle steht.
"Der Platz liegt quasi immer noch da, wo er früher auch war, natürlich ist es bisschen erweitert. ... Die Fundamente der Ost wie der Westtribüne sind noch die alten, hier auf der Haupttribüne sind wirklich noch die uralten Fundamente, die sind noch da, so tief kommen wir aber nicht mehr, das ist jetzt alles verbaut. Wir haben hier innenliegende Räume, da konnte man das in der Tat noch sehen, die sind aber inzwischen alle aus statischen Gründen verfüllt mit Beton, damit jetzt die Stabilität hergestellt werden kann."
Damals vor 90 Jahren lag das Stadion noch außerhalb des bebauten Stadtgebietes – auf freiem Feld an der alten Reichsstraße 4, die von Braunschweig über Gifhorn, Uelzen und Lüneburg nach Hamburg führte. Mittlerweile hat sich die Stadt über das Areal hinweg ausgebreitet. Die Straßenbahn hält direkt vor den Toren und Kassenhäuschen. Auf der anderen Straßenseite stehen Reihenhäuser, Mietwohnungen und das mit 22 Stockwerken höchste Wohnhaus Braunschweigs. Das VW-Werk ist bis auf wenige Meter an die Nordtribüne herangerückt. Stephan Lemke hat die Halbzeitpause des Spiels genutzt und ist hinabgestiegen in die Katakomben des Stadions.
"Hier irgendwo muss die Klappe sein. Wenn Sie hier schauen, dann sehen Sie hier noch die ururalte Tribüne."
Stephan Lemke sucht und findet eine blau verzinkte Klappe. Auf Brusthöhe ist sie in die frischverputzte und weißgestrichene Wand eingelassen. Er öffnet die Klappe, dahinter – zum Greifen nahe – graue, mit Hand gehauene Natursteine, die Fugen unterschiedlich breit und grobschlächtig mit Mörtel verfüllt.
"Aber ich denke mal, dass das die Außenwand war, die Rückwand sozusagen."
Aus Granitblöcken wurde vor 90 Jahren die Außenfassade der Stadiontribüne hochgezogen. Hinter der geöffneten Klappe sind ein paar Steinlagen zu sehen, bevor die alte Mauer im dunklen Schacht verschwindet.
"Es ist eine Wartungsklappe, dass man hier auch rankommt. Wir hatten vor zwei Jahren hier einen Brand drin, wir wissen nicht warum, wir nehmen an, dass es eine Staubverpuffung war. War nicht Schlimmes, aber als Wartungsgang, und vor allem, es laufen hier oben Kabel irgendwo noch lang. Da muss man irgendwann mal ran. Normalerweise hier Sportumkleide, jetzt aber Geschäftsstelle, was es der Eintracht auch nicht gerade einfacher macht, aus diesem Provisorium heraus zu arbeiten, den Aufstieg zu organisieren usw., die freuen sich auch, wenn sie endlich umziehen können in die neuen Büros."
Mit Eintracht Braunschweig steigt nicht irgendein Verein auf. Mit Eintracht Braunschweig kehrt ein Gründungsmitglied der Bundesliga nach 28 Jahren zurück in die 1. Liga. Mit Eintracht Braunschweig bringt der Fußballkundige die Meisterschaft 1967 in Verbindung, den Bundesliga-Skandal, die Trikotwerbung, das Gastspiel von Paul Breitner. Bei alledem dabei war Bernd Gersdorff. Als Besitzer einer Dauerkarten ist der frühere Stürmer heute Stammgast im Stadion, drückt den Spielern die Daumen, die unten auf dem Rasen in blauer Hose und gelbem Trikot ihr Besten geben. Auf der Brust tragen sie das Vereinsemblem, den roten Löwen, den auch Bernd Gersdorff trug, als er 1969 von Tennis Borussia Berlin zur Eintracht wechselte.
"Richtig. Und dann wurde es zwischenzeitlich der Jägermeister-Hirsch, das war ja revolutionierend. Wir haben jetzt 50 Jahre Bundesliga, 40 Jahre Trikotwerbung, alles ein Verdienst von Herrn Mast. Der Günter Mast, ein Freund des damaligen Präsidenten Fricke gewesen, in einer Männerrunde am Stimmtisch hat man sich das überlegt. Dann ist es auch dazu gekommen. Der DFB war dagegen. Und Mast merkte, wie von diesem Streit eine unglaubliche PR-Welle ausging. Das hat er sofort erkannt. Das ging ja über Jahre dieser Streit in Berufung und Wiederberufung. Das ist schon amüsant. Aber er hat dann dem Fußball alle Türen geöffnet und heute ist das alles so selbstverständlich, dass man daran gar nicht mehr denken mag."
Das Stadion, in dem Eintracht Braunschweig zu seiner aktiven Zeit spielte, war für Bernd Gersdorff völlig ausreichend – einfache, funktionale Umkleide- und Duschräume, eine Liege für den Masseur, weder Entspannungs- noch Whirlbecken. Viele Erst-Liga-Mannschaften spielten damals in Stadien, die dem in Braunschweig ähnelte: Die Glückaufkampfbahn in Schalke, das Stadion Rote Erde in Dortmund, das alte Müngersdorfer Stadion in Köln, das Waldstadion in Frankfurt. Doch während im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 die Stadien in diesen Städten modernisiert oder gar völlig neu gebaut wurden, blieb in Braunschweig alles beim alten. Und die Mannschaft hielt ihrem Stadion die Treue.
"Wir sind ja im letzten Spiel abgestiegen. Völlig unerwartet. Hannover gewann 4:0 in Wuppertal, wir verloren 2:1 zuhause, damit waren wir abgestiegen, was an sich vorher so gut wie ausgeschlossen war.
Und dann entwickelt sich etwas, was bei jungen Spielern oft der Fall ist, dann ein Jahr 2. Liga, Wiederaufstieg, dann hatten wir eine hervorragende Mannschaft, die gereift war. Und haben hier drei, vier Jahre wunderbaren Fußball gespielt, das ging ab 74 aufwärts."
Neunter, fünfter, dritter Platz lautete die stolze Bilanz der drei Spielzeiten 1974 bis 1977. Und mit dem spielerischen Aufschwung der Mannschaft um Bernd Gersdorff sollte auch das Eintracht-Stadion grundlegend umgebaut und modernisiert werden. Weil alles teurer wurde als geplant, blieb vor allem eines übrig: jede Menge Schulden.
"Dann ist ja das Stadion an die Stadt verkauft worden, und letztlich ist seitens der Stadt hier und dort was passiert. Die große Wandlung hat vor drei, fünf Jahren begonnen, dass eben auch Überdachungen stattgefunden haben, dass die Kurven geschlossen wurden. Und jetzt ist es an für sich ein ganz schmuckes Kästchen."
An glorreiche Zeiten will auch das Team anknüpfen, das jetzt den Aufstieg in die erste Liga geschafft hat. In der spielfreien Sommerpause legen die Handwerker letzte Hand an. Schließlich will sich das Stadion von seiner besten Seite zeigen, wenn Eintracht Braunschweig das erste Spiel in der 1. Bundesliga vor heimischer Kulisse bestreitet. Nie wieder zweite Liga!, skandieren die Fans. Das runderneuerte Eintracht-Stadion zumindest zeigt Erstliganiveau. Bleibt zu hoffen, dass die Mannschaft da in absehbarer Zeit mithält.
Woche für Woche, wenn ein Spiel angesetzt ist, kleidet sich die Stadt in blau und gelb. Zumindest der fußballbegeisterte Teil. Die Fans strömen ins Eintrachtstadion in der Hamburger Straße, das an dieser Stelle seit 90 Jahren steht und zum Stadtbild gehört wie der Löwe vor dem Dom, der Diercke-Atlas, die wiederaufgebaute Frontfassade des Residenzschlosses und das alte Büssing-Werk.
"Wir freuen uns auf Bayern München, auf Borussia Dortmund, wir freuen uns aber auch auf Hannover 96 und den VfL Wolfsburg und freuen uns auf tollen Fußball in der ersten Liga."
Stephan Lemke ist Eintracht-Fan, von Berufs wegen schon. Er ist Geschäftsführer der Stadthalle Braunschweig. Die städtische Gesellschaft wacht über das Eintracht-Stadion. Und die Stadt finanziert den Umbau, der derzeit auf Hochtouren läuft.
"Da vorne ist die Anbaukante sozusagen. Der Bereich ist alt, dieser hier neu. Dieses hier wird der VIP-Live-Bereich für 200 Personen. Das ist der alte VIP-Bereich, der hatte eine Kapazität von knapp 100 Leute, dann wurde es schon kuschelig."
Das Eintracht-Stadion gleicht heute einer großen Baustelle wie vor 90 Jahren, beim Eröffnungsspiel am 17. Juni 1923 fehlte noch die Haupttribüne, sie wurde ein Jahr später erst fertiggestellt. 24.000 Zuschauer passten damals in das Rund. Das Stadion wurde vergrößert, als Eintracht Braunschweig 1963 in der neugegründeten Bundesliga spielte. Im Meisterjahr 1967 feierten 38.000 Zuschauer ihre Mannschaft. Wer kein Ticket bekam, kletterte auf die hohen Pappeln hinter der Nordkurve.
"Und jetzt wünsche ich viel Spaß bei der Partie Eintracht Braunschweig gegen FC Erzgebirge Aue."
Kurz vor Spielbeginn. Das Stadion füllt sich, die Fans stimmen erste Gesänge an. Vom provisorischen VIP-Zelt machen sich die Ehrengäste auf den Weg zu ihren Plätzen auf der Haupttribüne.
"Wir haben jetzt seit Jahren unseren Platz. Im Zelt treffen wir uns die 67 und die, die uns rein gebracht haben in die Bundesliga. Das sind alles Leute mit Ehrenkarte und dann spricht man halt gerne über andere Zeiten und die jetzige Mannschaft."
Walter Schmidt, 75 Jahre alt, rechter Läufer in der Mannschaft, die 1967 deutscher Fußballmeister wurde, ist Stammgast im Eintracht-Stadion. 1959 kam er zur Eintracht, spielte zuvor beim TuS Recke in Westfalen.
"Voller Ehrfurcht, ich war begeistert, in einem solchen Stadion spielen zu dürfen. Damals zunächst mal Probetraining, dann die ersten Spiele. ... Das war für mich, der von einem ganz kleinen Verein damals gekommen ist, eine riesige Geschichte, aber eine wunderbare Zeit."
Als drahtiger, wendiger Sonderbewacher, der gegen Uwe Seeler ebenso überzeugend spielte wie gegen Franz Beckenbauer oder Günter Netzer, hat Walter Schmidt einen festen Platz in der Vereinsgeschichte von Eintracht Braunschweig. Seine schwarzen Haare sind heute in Ehren ergraut, das Gesicht gebräunt, die wachen, freundlichen Augen verraten seine ungebrochene Lebensfreude und die Zufriedenheit mit dem, was er als Fußballspieler erreichte. Die heutige Westtribüne, auf der Walter Schmidt seinen Ehrenplatz hat, war der einzige überdachte Bereich. Ansonsten standen die Fans, Wind und Wetter ausgesetzt, unter freiem Himmel und peitschten ihre Mannschaft unverdrossen an. In den folgenden Jahren verfiel die Bausubstanz zusehends.
Die Wurzeln der Pappeln hinter der Nordkurve wuchsen aus dem Erdreich. Auf der gegenüberliegenden Südkurve drängten sich durch die Risse des Betons Büsche und Bäume. Anfang der 90er-Jahre sperrte die Stadt die Südkurve und auch einige Stehplätze auf der Gegengeraden. Ein paar Jahre später wurde die Südkurve abgerissen, neu aufgebaut und überdacht, die Gegentribüne zu einer reinen Sitzplatztribüne umgebaut, die Flutlichtanlage komplett ersetzt, die Anzeigetafel erneuert. Nun, sagt Stephan Lemke, seien Nordkurve und die Westtribüne dran. Der Geschäftsführer der Stadionbetreibergesellschaft geht davon aus, dass zu Beginn der neuen Saison alles fertiggestellt und vorbereitet ist für den großen Moment, in dem wieder 1.-Liga-Fußball geboten wird im runderneuerten Braunschweiger Eintracht-Stadion, das seit 90 Jahren an selber Stelle steht.
"Der Platz liegt quasi immer noch da, wo er früher auch war, natürlich ist es bisschen erweitert. ... Die Fundamente der Ost wie der Westtribüne sind noch die alten, hier auf der Haupttribüne sind wirklich noch die uralten Fundamente, die sind noch da, so tief kommen wir aber nicht mehr, das ist jetzt alles verbaut. Wir haben hier innenliegende Räume, da konnte man das in der Tat noch sehen, die sind aber inzwischen alle aus statischen Gründen verfüllt mit Beton, damit jetzt die Stabilität hergestellt werden kann."
Damals vor 90 Jahren lag das Stadion noch außerhalb des bebauten Stadtgebietes – auf freiem Feld an der alten Reichsstraße 4, die von Braunschweig über Gifhorn, Uelzen und Lüneburg nach Hamburg führte. Mittlerweile hat sich die Stadt über das Areal hinweg ausgebreitet. Die Straßenbahn hält direkt vor den Toren und Kassenhäuschen. Auf der anderen Straßenseite stehen Reihenhäuser, Mietwohnungen und das mit 22 Stockwerken höchste Wohnhaus Braunschweigs. Das VW-Werk ist bis auf wenige Meter an die Nordtribüne herangerückt. Stephan Lemke hat die Halbzeitpause des Spiels genutzt und ist hinabgestiegen in die Katakomben des Stadions.
"Hier irgendwo muss die Klappe sein. Wenn Sie hier schauen, dann sehen Sie hier noch die ururalte Tribüne."
Stephan Lemke sucht und findet eine blau verzinkte Klappe. Auf Brusthöhe ist sie in die frischverputzte und weißgestrichene Wand eingelassen. Er öffnet die Klappe, dahinter – zum Greifen nahe – graue, mit Hand gehauene Natursteine, die Fugen unterschiedlich breit und grobschlächtig mit Mörtel verfüllt.
"Aber ich denke mal, dass das die Außenwand war, die Rückwand sozusagen."
Aus Granitblöcken wurde vor 90 Jahren die Außenfassade der Stadiontribüne hochgezogen. Hinter der geöffneten Klappe sind ein paar Steinlagen zu sehen, bevor die alte Mauer im dunklen Schacht verschwindet.
"Es ist eine Wartungsklappe, dass man hier auch rankommt. Wir hatten vor zwei Jahren hier einen Brand drin, wir wissen nicht warum, wir nehmen an, dass es eine Staubverpuffung war. War nicht Schlimmes, aber als Wartungsgang, und vor allem, es laufen hier oben Kabel irgendwo noch lang. Da muss man irgendwann mal ran. Normalerweise hier Sportumkleide, jetzt aber Geschäftsstelle, was es der Eintracht auch nicht gerade einfacher macht, aus diesem Provisorium heraus zu arbeiten, den Aufstieg zu organisieren usw., die freuen sich auch, wenn sie endlich umziehen können in die neuen Büros."
Mit Eintracht Braunschweig steigt nicht irgendein Verein auf. Mit Eintracht Braunschweig kehrt ein Gründungsmitglied der Bundesliga nach 28 Jahren zurück in die 1. Liga. Mit Eintracht Braunschweig bringt der Fußballkundige die Meisterschaft 1967 in Verbindung, den Bundesliga-Skandal, die Trikotwerbung, das Gastspiel von Paul Breitner. Bei alledem dabei war Bernd Gersdorff. Als Besitzer einer Dauerkarten ist der frühere Stürmer heute Stammgast im Stadion, drückt den Spielern die Daumen, die unten auf dem Rasen in blauer Hose und gelbem Trikot ihr Besten geben. Auf der Brust tragen sie das Vereinsemblem, den roten Löwen, den auch Bernd Gersdorff trug, als er 1969 von Tennis Borussia Berlin zur Eintracht wechselte.
"Richtig. Und dann wurde es zwischenzeitlich der Jägermeister-Hirsch, das war ja revolutionierend. Wir haben jetzt 50 Jahre Bundesliga, 40 Jahre Trikotwerbung, alles ein Verdienst von Herrn Mast. Der Günter Mast, ein Freund des damaligen Präsidenten Fricke gewesen, in einer Männerrunde am Stimmtisch hat man sich das überlegt. Dann ist es auch dazu gekommen. Der DFB war dagegen. Und Mast merkte, wie von diesem Streit eine unglaubliche PR-Welle ausging. Das hat er sofort erkannt. Das ging ja über Jahre dieser Streit in Berufung und Wiederberufung. Das ist schon amüsant. Aber er hat dann dem Fußball alle Türen geöffnet und heute ist das alles so selbstverständlich, dass man daran gar nicht mehr denken mag."
Das Stadion, in dem Eintracht Braunschweig zu seiner aktiven Zeit spielte, war für Bernd Gersdorff völlig ausreichend – einfache, funktionale Umkleide- und Duschräume, eine Liege für den Masseur, weder Entspannungs- noch Whirlbecken. Viele Erst-Liga-Mannschaften spielten damals in Stadien, die dem in Braunschweig ähnelte: Die Glückaufkampfbahn in Schalke, das Stadion Rote Erde in Dortmund, das alte Müngersdorfer Stadion in Köln, das Waldstadion in Frankfurt. Doch während im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 die Stadien in diesen Städten modernisiert oder gar völlig neu gebaut wurden, blieb in Braunschweig alles beim alten. Und die Mannschaft hielt ihrem Stadion die Treue.
"Wir sind ja im letzten Spiel abgestiegen. Völlig unerwartet. Hannover gewann 4:0 in Wuppertal, wir verloren 2:1 zuhause, damit waren wir abgestiegen, was an sich vorher so gut wie ausgeschlossen war.
Und dann entwickelt sich etwas, was bei jungen Spielern oft der Fall ist, dann ein Jahr 2. Liga, Wiederaufstieg, dann hatten wir eine hervorragende Mannschaft, die gereift war. Und haben hier drei, vier Jahre wunderbaren Fußball gespielt, das ging ab 74 aufwärts."
Neunter, fünfter, dritter Platz lautete die stolze Bilanz der drei Spielzeiten 1974 bis 1977. Und mit dem spielerischen Aufschwung der Mannschaft um Bernd Gersdorff sollte auch das Eintracht-Stadion grundlegend umgebaut und modernisiert werden. Weil alles teurer wurde als geplant, blieb vor allem eines übrig: jede Menge Schulden.
"Dann ist ja das Stadion an die Stadt verkauft worden, und letztlich ist seitens der Stadt hier und dort was passiert. Die große Wandlung hat vor drei, fünf Jahren begonnen, dass eben auch Überdachungen stattgefunden haben, dass die Kurven geschlossen wurden. Und jetzt ist es an für sich ein ganz schmuckes Kästchen."
An glorreiche Zeiten will auch das Team anknüpfen, das jetzt den Aufstieg in die erste Liga geschafft hat. In der spielfreien Sommerpause legen die Handwerker letzte Hand an. Schließlich will sich das Stadion von seiner besten Seite zeigen, wenn Eintracht Braunschweig das erste Spiel in der 1. Bundesliga vor heimischer Kulisse bestreitet. Nie wieder zweite Liga!, skandieren die Fans. Das runderneuerte Eintracht-Stadion zumindest zeigt Erstliganiveau. Bleibt zu hoffen, dass die Mannschaft da in absehbarer Zeit mithält.