Freitag, 03. Mai 2024

Archiv


Neues Leben im zerstörten Paradies

Es war einmal der schönste und angesehenste Nationalpark im südlichen Afrika: der Gorongosa-Nationalparks in Mosambik. Dann kam der Bürgerkrieg. Mit dramatischen Folgen für den Park. Der Tierbestand wurde nahezu ausgelöscht. Nun tut sich was in einem der ärmsten Länder der Welt.

Von Oliver Ramme | 13.11.2011
    Jeep-Safari im Gorongosa-Nationalpark. Es ist später Nachmittag, die Sonne beginnt sich ganz langsam zu senken. Die grünen Farben der Bäume, der Blätter und des Grases werden durch die tiefe Sonne satter.

    Wir schleichen im ersten Gang auf unebenen Wegen. Meist sind wir von dichtem Gestrüpp umgeben, ab und zu passieren wir meterlange Pfützen. Es riecht intensiv nach Gräsern und an feuchten Stellen nach Erde.

    In der Bank hinter mir sitzt eine amerikanische Touristin. Sie ist entzückt von der Landschaft. Afrikanische Prärie. Es sind nur wenige Gäste im Park, an diesem Tag vielleicht zwei Dutzend. Zwei Dutzend Besucher in einem Naturschutzgebiet, das anderthalb mal so groß ist wie das Saarland!

    Vorne im Jeep sitzen der Fahrer und ein Ranger, der hier und da durch das Fernglas schaut. Er erklärt uns die Eigenheiten der Tier- und Pflanzenwelt des Gorongosa-Nationalparks.

    Wir sehen ein paar Antilopen, hier und da huscht eine nervöse Warzenschweinfamilie mit aufgestelltem Schwanz durchs Gebüsch. Auch Paviane gibt es. Sie sitzen im Gras, pflücken etwas und schauen uns gleichgültig hinterher. Was wir auf unserer dreistündigen Fahrt nicht sehen, sind Löwen, Elefanten, Büffel.

    "Wir könnten sicherlich noch ein paar Löwen vertragen. Der Park misst immerhin 4000 Quadratkilometer. Wir bräuchten generell mehr Tiere."

    Der Ranger spricht das Dilemma von Gorongosa an. Tiere, vor allem Löwen und Elefanten – die die Besucher aus aller Welt nach Afrika locken – diese Tiere sucht man fast vergebens im Park. In den 60er-Jahren gilt der Park in Herzen Mosambiks als einer der artenreichsten auf dem Kontinent. Aus aller Welt kommen Stars und Sternchen um sich Hunderte von Löwen und Tausende von Elefanten anzuschauen. Doch der Bürgerkrieg nach der Unabhängigkeit 1975 macht aus Gorongosa ein Schlachthaus.

    Im Nationalpark verläuft eine Frontlinie der verfeindeten Armeen. In der Kriegszeit bleibt der Park sich selbst überlassen. Ein Schlachtfest für Wilderer, die vom Krieg aushungerten Soldaten und die Landbevölkerung.

    "1992 war der Krieg zu Ende. Leute kamen danach hierher und mussten feststellen: Hier gibt es nicht mehr viel. Und nachts war es im Park still. Und das ist ein Dschungel. Normalerweise sind Dschungel sehr lebendig in der Nacht – aber 1994 war hier totale Stille."
    Vasco Galante gehört zum Managerstab des Parks und verantwortet das Marketing.

    "Das Einzige was man hier sehen konnte, waren Krokodile. Sie sind wahre Überlebenskünstler. Und Ende der 90er-Jahre sagten einige: Wenn Gorongosa überhaupt eine Zukunft hat, dann als Vogelparadies. Es gibt viele Vögel hier, sie wenigstens haben den Krieg überlebt."

    Der Aderlass an Tieren, den der Gorongosa-Park in 20 Jahren Bürgerkrieg erleben musste, ist nahezu beispiellos in Afrika. 95 Prozent des Wildbestandes wurden ausgelöscht. Das einstige Tierparadies war faktisch tot. Bis Anfang dieses Jahrhunderts Greg Carr, ein US-Amerikanischer Multimillionär und Philanthrop, eine Art Pacht über den Park übernommen hat.

    Ein sinnvolles Projekt in einem Land, das zu den ärmsten der Welt zählt? Ja, glaubt Vasco Galante vom Managerstab des Parks.

    "Es gibt ein Abkommen zwischen dem Management des Parks – repräsentiert durch die Carr-Stiftung - und der Regierung Mosambiks bzw. dem Ministerium für Tourismus. Das Abkommen läuft über 20 Jahre. 99 Prozent der hier angestellten sind Mosambikaner. Der Park ist in Besitz des Staates (15.44) Natürlich hat die Regierung große Herausforderungen zu bestehen. Aber Gorongosa kann dazu beitragen, mehr Touristen nach Mosambik zu bringen. Tourismus kann helfen, das Land zu entwickeln."

    Über 300 Angestellte zählt der Park mittlerweile. Vom Koch über Wildhüter bis hin zu Wissenschaftlern und Sozialarbeitern.

    Auf der Gehaltsliste des Parks steht auch Domingos João Muala. Bis vor fünf Jahren war er Lehrer in der Region.

    Wir laufen auf einem lehmigen Pfad durch den Dschungel, hohe Bäume recht und links. Es ist sehr schattig hier. Unser Ziel: Das nahegelegene Dorf Vinho – in und um Vinho leben 1800 Familien.

    "Das Dorf Vinho steht direkt an der Grenze zum Gorongosa Nationalpark. Die Menschen, die in Vinho leben, haben immer auf ihre Art und Weise vom Park profitiert. Dieses Dorf ist deshalb unseren Aktivitäten wohl gesonnen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen wegen der Schule, zum anderen wegen der Krankenstation, die der Park finanziert hat. Aber auch weil viele der Bewohner im Nationalpark Arbeit gefunden haben – Frauen wie Männer."

    Die Parkgrenze hier im Süden markiert nicht etwa ein Zaun, sondern ein mächtiger Fluss. Träge fließt der von roter Erde gefärbte Strom dahin. Hohes, gelbes Schilfgras säumt das Ufer. Wir rudern in einem Kunststoffboot über den Fluss. Die Landschaft ist topfeben. Wir laufen auf schmalen Pfaden und erreichen schließlich die Krankenstation. Ein gemauerter Zweckbau. Nicht größer als drei Autogaragen. Mütter mit ihren Kindern sitzen unter dem schattigen Vordach. Manche der Babys haben wässrige Augen.

    Das Behandlungszimmer ist spartanisch eingerichtet. Der Pfleger wickelt routiniert einen Fall nach dem anderen ab.

    "Wir haben es hier hauptsächlich mit Malariafällen zu tun. Es werden zwar weniger, aber es ist immer noch sehr kritisch. Die Zahl der Infektionen sinkt leicht, weil die Leute mehr und mehr Moskitonetze nutzen. Und wir informieren mehr. Viele hier leiden auch unter Durchfall, Hautkrankheiten und Tuberkulose.

    Hat sich etwas durch den Park verändert?

    Klar, wir haben jetzt eine Schule im Dorf. Dann diese Station mit zwei Pflegern, es gibt jetzt eine Geburtsstation, das ist ganz klar eine Verbesserung!""

    Der Park als Gönner und Arbeitgeber: die Schule in der neun Lehrer 700 Schüler unterrichten und diese Krankenstation sind Geschenke. Für Domingos ist das Projekt auf dem richtigen Weg. Aber es gibt auch altbekannte Probleme.

    "Trotz der Schule, trotz der Krankenstation, die Leute jagen weiter im Park. Warum? Das Hospital hilft zwar bei Erkrankungen, aber satt werden die Leute dadurch nicht. Sie wollen etwas zu essen haben. Es gibt immer diesen Konflikt. Die einen bemühen sich hier eine Infrastruktur aufzubauen, die anderen machen halt weiter mit der Jagd auf Tiere, so wie sie es immer schon kannten."

    Um die Bevölkerung vom Sinn des Parks zu überzeugen, werden nicht nur Schulen oder Krankenstationen gebaut, sondern auch 20 Prozent der Einkünfte durch den Tourismus an die Dörfer weitergegeben. Auch setzt der Park mehr und mehr auf Wildhüter.

    Doch die Wilderei ist nicht das einzige Problem. In Gorongosa kommt es immer mehr zur Konfrontation zwischen Mensch und Tier. 250.000 Menschen leben in unmittelbarer Nachbarschaft. Neue Siedlungen entstehen, demnächst sollen zwei Zementfabriken hier errichtet werden. Wie eine Schlinge zieht sich die Zivilisation um Gorongosa.

    In den Bergen des Gorongosa-Gebirges. Wasser fällt auf 10, 20 Metern Breite in die Tiefe, gleich einem weißen, undurchdringlichen Vorhang. Nicht nur ein Naturspektakel, auch ein Naturparadies. Sattes Grün, dazu die Gischt, die dicht wie Nebel in diesem Felskessel herum wabert. Die bis zu 1800 Meter hohen Berge um mich herum sind mit wilden, saftigen Wiesen überzogen, hier und da ein paar Baumgruppen.

    Aber auch in diesem entlegenen und schwer zugänglichen Gebiet gibt es Zeichen der Zivilisation. Die Menschen leben auf über 1000 Höhenmetern und betreiben Ackerbau. Im Krieg haben sie hier Zuflucht gesucht. Auch soll es hier versteckte Goldminen gebe. Seit dem letzten Jahr gehört dieses Gebiet zum Nationalpark. Wichtiger Speicher für das Wasser und für die Klimaregulierung sind die Bäume. Von denen sind nicht mehr viele übrig.

    "Wir werden hier nicht den ganzen Berg zupflanzen! Unser Augenmerk gilt den kritischen Zonen. Kritische Zonen, darunter verstehen wir in erster Linie die Flussquellen und die Ufer der Flüsse. Auch die Flächen, die in der Nähe der Bäche liegen und landwirtschaftlich genutzt werden oder wurden. Das hat für uns Priorität, dort hat die Erosion bereits eingesetzt. Und wir machen diese Arbeit nicht alleine."

    Mit 60 Mitstreitern forstet Pedro Muagura das Gorongosa-Gebirge wieder auf. 100.000ende von topfpflanzengroßen Setzlingen haben er und seine Mitstreiter mittlerweile in die steilen Hänge gepflanzt.
    Pedro Muagura ist ein Mann mit Leidenschaft. Der Mittvierziger hat in seinem Leben Millionen von Bäumen eingepflanzt. Ihm gelingt es die Bewohner der Berge von dem Projekt zu überzeugen. Auch die alte Frau, die mir Pedro vorstellt. Sie war eine der Gegnerinnen des Projekts. Heute ist die Bergbewohnerin eine der größten Befürworterinnen der Wiederaufforstung.
    "Wir habe hier Bäume gefällt, ohne die Auswirkungen zu erahnen. Durch diesen Park und das Projekt haben wir verstanden, welche Bedeutung die Bäume für den Wasserhaushalt haben."

    Die zweite Aufgabe von Pedro und seinen Mitarbeitern ist weitaus heikler: Die Menschen davon zu überzeugen, das neu ernannte Naturschutzgebiet – die Berge von Gorongosa - zu verlassen. Nicht von heute auf morgen, aber in den nächsten Jahren. Eine Herkulesaufgabe und schwierige Überzeugungsarbeit für Pedro Muagura. Vor allem die Alten müssen davon überzeugt werden den Berg zu verlassen.

    Auch die traditionellen Führer und die Jungen sollen den Wert und Nutzen des Projekts besser kennenlernen. Deshalb lädt das Management die Leute beispielsweise in den Nationalpark ein. So wie einst Domingos, der ehemaligen Lehrer.

    "Als man anfing mit der Wiederherstellung des Parks, habe ich mich gefragt: Was soll das? Als ich noch in meinem Dorf hier in der Nähe lebte, hatte ich keine Vorstellung, was der Park eigentlich will. Worte wie Restauration, Tiere, Bäume- all das hat nicht viel Sinn für mich gemacht. Ich bin dann mal hierher eingeladen worden und habe mir das angesehen. Die sprachen von der Bedeutung der Tiere, der Pflanzen die Touristen usw. Und da habe ich begonnen zu verstehen. Bis dahin habe ich in unserem Dorf Fleisch gekauft – und es war mir egal woher das Fleisch kam – auch aus dem Park. Die Tiere hier haben – das weiß ich jetzt – einen viel höheren Wert als das man ihn in Proteinen messen könnte."

    Noch denken nicht alle so wie Domingos. 20 Jahre lang wird der Hauptteil der Kosten von der Carr-Stiftung in den Vereinigten Staaten getragen. Am Ende wird das Projekt vielleicht 40 Millionen Dollar verschlingen. Ob sich in 20 Jahren der Park selber trägt, ob er den alten Glanz zurückerhält und in Konkurrenz zu den anderen afrikanischen Parks treten kann, weiß niemand.

    Die Sonne versinkt am Horizont in einem Schleier von Wolken. In der flachen Savanne des Gorongosa-Parks endet die Safari-Rundfahrt. Die Dämmerung bricht schnell herein. Ganz hinten ragen die Zacken des Gorongosa-Gebirges auf. In der Steppe grasen Antilopen. Sie heben sich kaum von der sich verdunkelnden Landschaft ab. Es gibt wieder Tiere in Gorongosa.