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Neues Museum in Rom
Palazzo Merulana zeigt Mussolini-Verehrer neben Antifaschisten

Ein Museum mit faschistischer Kunst? So sehen es Roms Neofaschisten. Die anderen begrüßen das neue Museum Palazzo Merulana mit seiner Kunst aus der Zeit des Faschismus als Einrichtung, die das Avantgardistische des römischen Kunstschaffens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts würdigt.

Von Thomas Migge | 21.05.2018
    Ausstellungsobjekte im neueröffneten Museum Palazzo Merulana in Rom
    Das neueröffnete Museum Palazzo Merulana in Rom (imago stock&people)
    Wird im neuen Museum Palazzo Merulana in Rom faschistische Kunst gezeigt? Davon sind Roms neofaschistische Organisationen, wie etwa die Casa Pound und ihr recht aktives Kulturzentrum, das der zukünftigen Regierungspartei Lega bedenklich nahesteht, fest überzeugt. Casa Pound verweist auf die ihrer Meinung nach "bedeutenden faschistischen Maler" der "Römischen Schule der Via Cavour", jener Künstlergruppe, deren Werke seit kurzem im Palazzo Merulana ausgestellt werden. Doch die Künstler dieser Gruppe politisch über einen Kamm zu scheren sei dumm und falsch, meint Kunsthistorikerin Francesca Villanti, Mitkuratorin des neuen Museums:
    "Für die Mitglieder dieser Gruppe war es vor allem wichtig, ganz eigene Wege des expressionistischen Schaffens zu entwickeln. Es ist deshalb eigentlich nicht richtig, von einer 'Schule' zu sprechen, sondern eher von einer gemeinsamen expressionistischen Attitüde. Einig waren sich diese Maler nur darin, dass Italien künstlerisch auf dem Weg einer Wiedergeburt sei."
    Alle waren expressionistisch und experimentell
    Und jedes der Mitglieder dieser Künstlergruppe hatte seine eigenen Vorstellungen zum italienischen Faschismus. Giorgio De Chirico zum Beispiel hielt sich eher fern vom Regime, Mario Sironi vergötterte Mussolini und Mario Mafia war ein entschiedener Gegner des Faschismus. Im neuen Museum, das Hauptwerke von Giacomo Balla, Mario Sironi, von de Chirico, Antonio Donghi, Giuseppe Capogrossi und vielen anderen zeigt, kommt das Politische jener Zeit nur am Rande vor. Die Künstler werden nicht als Pro- und Kontrafaschisten vorgestellt. So politisch und künstlerisch verschieden sie untereinander auch waren - das ist der Tenor des neuen Museums - ihnen allen gemein war ein expressionistisch-experimenteller Ansatz.
    Die römische Unternehmersfamilie Cerasi hat sich ganz auf die Werke dieser Schule spezialisiert. Ihre Sammlung ist die weltweit wichtigste zu dieser Künstlergruppe. Das neue Museum zeigt nun zum ersten Mal an einem Ort die verschiedenen Ausdrucksformen des expressionistischen Ansatzes der einzelnen Maler.
    Neues durch Krieg und Zerstörung
    Ihren Namen hat diese Künstlergruppe von der Adresse zweier ihrer Mitglieder, Antonietta Raphaël und Mario Mafai, die in der Via Cavour Nummer 325 wohnten. Ab 1927 wurde diese große Wohnung zu einem der aktivsten kulturellen Treffpunkte Roms: Hier verkehrten zahllose Intellektuelle und Künstler. Sie erhofften sich vom faschistischen Regime einen enormen kulturellen Aufschwung. Von einer dramatischen kulturellen Zäsur wie nach 1933 in Hitler-Deutschland konnte in Italien nach der Machtübernahme Mussolinis 1922 keine Rede sein, erklärt der auf diese historische Epoche spezialisierte Kunsthistoriker Antonello Negri:
    "Die Jahre bis 1943 waren eine Zeit weit reichender künstlerischer Entwicklung. Sie hatten ihren Urknall mit dem Entstehen des Futurismus, einer italienischen Avantgarde, deren Hohepriester der Schriftsteller Filippo Tommaso Marinetti war. In dessen 'futuristischem Manifest' war die Rede vom Neuen, das nur durch Krieg und das Zerstören des Althergebrachten entstehen könne. Was das für die Künste bedeutet, zeigt diese Ausstellung."
    Erstaunlich große Vielfalt
    Während das Dritte Reich in Sachen Kunst eine neoklassizistische Formensprache anstrebte, favorisierte der italienische Faschismus Kunstformen, die sich vom akademischen Diskurs abwandten, avantgardistisch waren: die Farb- und Formenexplosionen von Giacomo Balla, die metaphysischen Bilder von Giorgio De Chirico und die die Dynamik moderner Maschinen verherrlichenden abstrakten Gemälde von Fortunato Depero. Kunsthistoriker Antonello Negri:
    "Es existierte eine erstaunlich große Vielfalt und Kreativität, der solange keine Grenzen gesetzt waren, bis ein Künstler nicht allzu offen antifaschistisch auftrat. Aber selbst erklärte Antifaschisten wie etwa der Schriftsteller und Maler Carlo Levi durften noch 1937 in Rom ihre Werke zeigen, obwohl das viele Polemiken provozierte."
    Es ist also vollkommen falsch, die Mitglieder dieser Schule als Maler des Regimes zu deklarieren, wie das jetzt neofaschistische Organisationen in Rom tun. Wer aufmerksam die Säle des neuen Museums im Palazzo Merulana besichtigt und die ausführlichen biographischen Erklärungstafel zu den einzelnen Malern liest, begreift, dass die von Roms Neofaschisten propagierte Gleichung "Kunst unter dem Faschismus gleich faschistische Kunst" die Realität gefährlich verzerrt und ganz bewusst verfälscht.