"Ich bin eigentlich nur Sänger geworden, weil ich mit 16 von zuhause weggelaufen bin, um Patti Smith zu sehen. Ich hatte Tickets, und dies daheim erwähnt und meine Eltern waren strikt dagegen, denn für sie als fromme Christen war das eine Sünde! Also bin ich einfach weggerannt, und es hat sich gelohnt! Danach wollte ich nur noch Musiker werden. Auch wenn die Rückfahrt der Horror war, ich den Zug verpasste, und am Bahnhof auf einer Bank schlafen musste."
Tim Booth ist froh, wieder über neue Musik sprechen zu können. Die britische Presse hatte schon lange immer wieder darüber spekuliert, ob oder ob nun keine neue Musik erscheinen würde. Nachdem sich James 2001 getrennt hatten, versuchte sich Frontmann Tim Booth als Schauspieler.
Unter anderem als Serienmörder in einem Batman-Film. Er arbeitete an mehreren Soloprojekten, schrieb eine Fernsehdokumentation und gründete eine Familie. Doch 2007 rauften sich die sieben Herren aus Manchester wieder zusammen, und es folgte eine ausgedehnte Tour durch Großbritannien. Hier und da veröffentlichte die Band mal eine EP, aber die Frage, ob es nun wirklich ein neues Album geben würde, beantwortete Tim Booth in Interviews immer ausweichend.
Jetzt ist "La petite mort" endlich erschienen. Und auch wenn die Entstehung sehr schmerzhaft für Tim Booth war, fühlt er sich erleichtert.
Jetzt ist "La petite mort" endlich erschienen. Und auch wenn die Entstehung sehr schmerzhaft für Tim Booth war, fühlt er sich erleichtert.
"Als ich das Album geschrieben und aufgenommen habe, sind kurz nacheinander meine Mutter und meine beste Freundin gestorben. Deshalb beschäftigt sich das Album auch mit dem Tod und auch mit der Wiedergeburt. Denn der Tod kann auch eine Geburt, ein Eintritt in etwas Neues sein. Das war dieses Album auch für mich. Deshalb habe ich es auch "La petite mort" genannt. Das kann nämlich der kleine Tod bedeuten, oder aber die Ruhe - der Friede nach einem Orgasmus."
Und wenn es mal nicht um den Tod oder die Wiedergeburt geht, dann geht es um Sex wie im Song "Curse curse"
Wenn man viel in Hotelzimmern ist, kommt es oft vor, dass man allein in seinem Zimmer rumhängt, während im Nebenzimmer zwei Leute richtig leidenschaftlichen hemmungslosen Sex haben, und man selber sitzt da total frustriert, und sauer, dass man nur Zuhörer sein kann - eben ein ungeladener Gast.
Da kann man entweder an die Tür klopfen, oder einen Song darüber schreiben. Also habe ich mir vorgestellt, der Orgasmus käme gar nicht durch tollen Sex, sondern durch ein Fußballtor. Und daraus wurde dieser Song."
Erfahrungen mit dem Tod
Aber es gibt nicht nur lustige Songs auf dem Album. Auch wenn die typisch tanzbaren James-Stücke dabei sind, mit viel Gitarren, ein bisschen Elektro, und dem typischen leicht näselnden Gesang von Tim Booth, gibt es auch sehr getragene, ruhige Stücke mit ernsthaften Texten.
Dabei wechseln sich Klavier und Akustikgitarre ab, und Booth klingt manchmal fast schon zerbrechlich. Mit Anfang 40 ist Tim Booth ein Mann, der eine Menge Erfahrungen gemacht hat, die vielleicht andere Musiker nicht gemacht haben.
Dabei wechseln sich Klavier und Akustikgitarre ab, und Booth klingt manchmal fast schon zerbrechlich. Mit Anfang 40 ist Tim Booth ein Mann, der eine Menge Erfahrungen gemacht hat, die vielleicht andere Musiker nicht gemacht haben.
"Ich habe mit 21 meine erste Nahtoderfahrung gemacht. Ich habe eine genetisch bedingte Leberkrankheit, und musste damals erst mal damit klarkommen. Aber ich wollte gar nicht wiederbelebt werden. Ich fand das so friedlich! Vor vier Jahren habe ich meine zweite Nahtod-Erfahrung gemacht, weil ich fast ertrunken wäre, und wieder habe ich mich so friedlich gefühlt. Als dann Anfang dieses Jahres meine Mutter in meinen Armen starb, fühlte es sich wunderschön an! Es war wie eine Geburt! Keiner sagt einem, wie schön der Tod eigentlich ist. Und es war faszinierend darüber nachzudenken, dass sie ihren letzten Atemzug in meinen Armen tat, und ich meinen ersten in ihren.
Anders war es, als einige Monate später meine beste Freundin starb, weil wir noch so einiges untereinander nicht geklärt hatten. Da fühlte es sich schlimm und traurig an, und machte mich aggressiv. Das waren ganz verschiedene Seiten vom Tod, die ich jetzt verstehe, die mich aber auch inspiriert haben."
All das macht ihn feinfühliger, vielleicht entspannter. Ihm geht es schon lange nicht mehr um Charterfolge wie "Sit down" damals Anfang der 90er, sondern darum ein Statement zu setzen.
"Ich bin nächste Woche bei einer Politiksendung im britischen Fernsehen, weil ich einen Song darüber geschrieben habe, warum eigentlich Frauen dafür verurteilt werden, ihre Sexualität zu zeigen, und Männer nicht. Männer haben Frauen und ihre Sexualität schon so lange unterdrückt, dass wir es nicht einmal mehr merken, dass wir irgendwie in Schubladen denken. Wenn ich auf solche Dinge aufmerksam machen kann, bin ich genauso glücklich, wenn nicht sogar glücklicher, als über einen Charterfolg."