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Neues Stück von Virtuellestheater
Wenn Mensch und Schnecke verschmelzen

In dem aktuellen Stück "Children of Compost" der Theatermacher "virtuellestheater" geht es um Zukunftsfragen: das Zusammenleben von Mensch und Tier, globale Erwärmung und das Mergen von Mensch und Schnecke. Dem Theaterabend mangelt es jedoch nicht nur an Stringenz, sondern auch an spielerischem Engagement.

Von Oliver Kranz | 27.08.2018
    Die Schnecke steht für Langsamkeit.
    Die Schnecke trotzt der Herausforderung des Klimawandels und könnte dem Mensch als Gattung eine neue Zukunft aufzeigen - spekulieren die Theatermacher in "Children of Compost" (Dmitry Bayer / unsplash.com)
    Eine Musikerin im silbrig schimmernden Kostüm klimpert auf dem Keyboard, während auf einer LED-Wand in der Bühnenmitte eine Computeranimation zu sehen ist – Ruinen, die aus dem Meer emporragen. Die Stimme der Erzählerin kommt aus dem Off: "I will meet you on a planet surrounded by water…"
    Menschen, die unter Wasser atmen können
    Eine apokalyptische Zukunftsvision: Der Meeresspiegel ist so stark gestiegen, dass in Berlin nur noch die oberen Stockwerke der Häuser zu sehen sind. Die Menschen, die dort leben, haben sich genetisch an die neuen Lebensumstände angepasst – sie können tauchen und unter Wasser atmen.
    "Ausgangspunkt von den meisten Produktionen von virtuellestheater ist das Nachdenken über Zukunft, also darüber zu spekulieren, was andere mögliche Zukünfte sein könnten. Hier gibt es mehrere Themenkomplexe, die uns inspiriert haben", erklärt Fee Römer, die Dramaturgin der Produktion.
    "Einmal von Donna Haraway das Buch "Staying with the Trouble", also die Frage: was ist ein Zusammenleben von Mensch und Tier und was bedeutet es, wenn man die Vormachtstellung des Menschen infrage stellt? Und der andere Themenkomplex ist die Frage nach globaler Erwärmung. In was für einer Welt leben wir eigentlich gerade?"
    Plastikmüll
    Plastikmüll (picture alliance / Julian Stratenschulte/dpa)
    Schnecken trotzen dem Klimawandel
    In der Produktion werden so viele Themen durchgespielt, dass man leicht durcheinander kommen kann. Es geht um Menschen, die nach der Klimakatastrophe neue Gemeinschaften bilden – zum Beispiel die Children of Compost, die im Titel des Stücks auftauchen. Es wird geschildert, wie Plastikmüll, der im Meer herumschwimmt, neue Inseln bildet, die nach und nach zu Kontinenten heranwachsen, und es werden Tiere vorgestellt, die den Herausforderungen des Klimawandels trotzen – Schnecken. Auf der Bühne übergießen sich drei Akteure mit Schleim und rutschen auf dem Boden herum.
    Der Spaß am Rutschen verflüchtigt sich, als die Akteure bemerken, dass sie auf dem glitschigen Boden kaum noch aufstehen können.
    "Wir haben viel darüber nachgedacht: wie würde das aussehen, was würde das heißen, wenn aufgrund von gentechnischen Fortschritten Menschen mit Schnecken mergen könnten. Ein ganz entscheidendes Merkmal an der Schnecke ist der Schleim. Was ermöglicht das? Und was ermöglicht das auch nicht?"
    Sagt Janne Nora Kummer, die gemeinsam mit Max Gadow Regie geführt hat und auf der Bühne steht. Das Bild der beiden, die im Schleim immer wieder ausrutschen und nicht aufstehen können, obwohl sie versuchen, sich gegenseitig zu stützen, prägt sich ein. In den meisten anderen Szenen geschieht eher wenig. Die Performer sagen Texte auf oder lesen sie von bereitliegenden Manuskriptseiten ab. Das hat den Charme eines akademischen Vortrags. Mit dem modernen Theater, das man erwartet, wenn man den Gruppennamen "virtuellestheater" liest, hat es nichts zu tun. Es geht weder ums Internet, noch um andere virtuelle Räume. Auf der Videowand sind Filmaufnahmen von verschmutzten Meeren und die Ruinenszenerie eines Computerspiels zu sehen.
    Etwas mehr Stringenz wäre nötig
    "Es gibt einen Text, den schreiben wir, während wir arbeiten. Es gibt ein Video, es gibt performative Handlungen auf der Bühne, es gibt Musik, es gibt Sound. In allen diesen Sachen sind die Leute, die daran arbeiten, autonom."
    Fee Römer betont, dass die Gruppe dadurch eine Vielschichtigkeit der Perspektiven erreichen will. Wenn das Video etwas anderes erzähle als der Text, werde klar, dass es nicht die eine Wahrheit gibt. - Doch es entsteht nur Verwirrung. Geht es um Umweltschutz oder um zukünftige Gesellschaftsmodelle? Soll der Mensch sich Tiere zunutze machen oder seine Vormachtstellung aufgeben und andere Lebewesen als gleichberechtigt ansehen? Janne Nora Kummer erklärt:
    "Es gibt keine Ideologie, die wir vermitteln wollen, sondern es sind immer Versuche, die vielen kleinen Teile zusammenzusetzen, sie zu explodieren, sie wieder zusammenzusetzen. Das spiegelt sich hoffentlich auch in der Verwendung verschiedener Medien wieder."
    Etwas mehr Stringenz wäre trotzdem gut, stärkeres spielerisches Engagement ebenso - sonst rauschen die Texte, die unnötigerweise auf Englisch vorgetragen werden, einfach nur vorbei. Die Inszenierung ist nicht viel mehr als eine Materialsammlung - ein paar Videos zum Thema Umweltschutz, gekoppelt mit Vorträgen, Computeranimationen und Elektromusik – kein Theaterabend, der im Gedächtnis bleibt.