Doris Schäfer-Noske: Frage an Stefan Koldehoff. Herr Koldehoff, ist es denn ebenfalls ein kritischer Blick auf Paris, den wir hier sehen?
Stefan Koldehoff: Es ist eher so etwas wie eine Selbstvergewisserung. Das war ja etwas Unerhörtes. Da immigriert dieser junge Mann 1947 in die Vereinigten Staaten und erdreistet sich, kurz darauf durchs Land zu reisen, fast 30.000 Fotos zu machen und zum ersten Mal nach dem glorreich gewonnen Zweiten Weltkrieg dieser amerikanischen Nation einen wirklich ungeschminkten Spiegel in Gestalt dieser ausgewählten rund 80 Fotos vorzuhalten. Da ist es nicht mehr das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, sondern da ist auch viel Tristesse, das ist soziales Elend. Da ist aber auch ganz viel Alltag. Und genau dasselbe findet einige Jahre vorher eben schon statt, als er nach Paris zurückkehrt, so um 1951 herum. Es hat fast den Anschein, als wolle er vier, fünf Jahre nach seiner eigenen Immigration gucken, ob das denn so in Ordnung war, diese Entscheidung, die alte Welt zu verlassen, in die neue Welt zu gehen. Und aus dieser Ambivalenz, aus diesem ewigen Gegenüber, zwischen dem Neuen und dem Alten, den europäischen Traditionen, dem amerikanischen Modernismus, der aber nun doch nicht genau das hält, was er mal versprochen hat, leben diese Fotos. Es sind zum Teil sentimentale Blicke. Es sind Blicke an die Stadtränder, wo Zirkuswagen stehen. Es sind Blicke in die Metro, auf Familien, die in den Tuilerien Picknick machen. Es sind zum Teil hoch moderne Aufnahmen. Es gibt einen Schweizer Fotografen, Beat Streuli, der in den vergangenen Jahren Aufsehen damit gemacht hat, dass er mit einem Teleobjektiv in Menschenmassen hinein fotografiert hat und bestimmte einzelne, besonders selbstbewusste Gesichter sozusagen herausgezogen hat. Das macht Robert Frank schon Anfang der 50er Jahre. Es ist zum einen eine sehr persönliche Ausstellung über diesen Mann und sein Lebensweg. Es ist zum Zweiten eine Ausstellung, die viel Globalisierung voraus nimmt, alte Welt gegen neue Welt. Und es sind drittens vor allen Dingen hervorragende Aufnahmen.
Schäfer-Noske: Wie unterscheiden sich denn die Paris-Bilder eines Robert Frank von denen eines Robert Vano zum Beispiel, der ja auch den berühmten Kuss fotografiert hat?
Koldehoff: Es ist, glaube ich, vor allen Dingen das Faktum, dass Robert Frank alles bildwürdig findet, dass er nicht auf den entscheidenden Augenblick den Cartier-Bresson vielleicht definiert hat oder Doisneau manchmal sehr ironischer, aber doch sehr auf Pointe angelegte Fotos versucht nachzuvollziehen. Sondern er nimmt im Grunde das vorweg, was einige Jahre später "Streetphotography" heißen wird. Er lässt sich treiben durch diese Stadt, er sucht nicht nach den besonderen Motiven, sondern hat die Kamera, Kleinbildformat natürlich, anders ginge das nicht, immer schussbereit und fotografiert tatsächlich auch das, was ihm, aus welchen Gründen auch immer, weil es ein bestimmtes sentimentales Gefühl anrührt, weil es eine bestimmte schöne Komposition ist, weil eine Mauer, die in eine Straße überführt, plötzlich einen harten Schatten wirft, was ihm da bildwürdig erscheint. Es gibt keine Kriterien. Und gerade das macht diese Fotos so gut.
Schäfer-Noske: Einige Exponate werden jetzt in Essen erstmals gezeigt, zum Teil wurden sie neu vergrößert. Woher stammen diese Bilder?
Koldehoff: In der Regel aus Robert Franks Archiv. Es gibt ein gemeinsames Projekt des Folkwang-Museums beziehungsweise der großartigen, wohl in Deutschland wichtigsten Fotokuratorin, die dort arbeitet, Ute Eskildsen. Die hat gemeinsam mit Robert Frank und dem, man darf es in diesem Fall ruhig mal nennen, dem Steidl Verlag in Göttingen begonnen, das Archiv von Robert Frank aufzuarbeiten, viele ganz, ganz wichtige Fotobüchern, die nicht mehr lieferbar sind, neu aufzulegen, auch die Filme, die es von Robert Frank gibt. Und in einigen Tagen wird auch dieses berühmte Buch "Die Amerikaner", das Sie angesprochen haben, in einer ganz neuen Ausgabe, neu gestaltet mit sogar einigen neuen Fotos, neu herauskommen.
Schäfer-Noske: Das Folkwang-Museum in Essen hat ja auch schon vor ein paar Jahren eine Ausstellung zu Robert Frank gezeigt, damals unter dem Titel "Hold Still -Keep Going". Damals war auch der Künstler selbst auf dem Podium anwesend. Ist das diesmal auch so?
Koldehoff: Nein, das schafft er diesmal nicht mehr. Er ist inzwischen 84, bald 85 Jahre alt und verlässt New York nur noch selten, wenn, dann höchstens, um nach Neuschottland, nach Mabou in seinen anderen Wohnort zu fahren. Aber Europa, das wollte man ihm diesmal nicht mehr zumuten.
Schäfer-Noske: Stefan Koldehoff war das über die Paris-Bilder von Robert Frank, zu sehen im Folkwang-Museum in Essen.
Stefan Koldehoff: Es ist eher so etwas wie eine Selbstvergewisserung. Das war ja etwas Unerhörtes. Da immigriert dieser junge Mann 1947 in die Vereinigten Staaten und erdreistet sich, kurz darauf durchs Land zu reisen, fast 30.000 Fotos zu machen und zum ersten Mal nach dem glorreich gewonnen Zweiten Weltkrieg dieser amerikanischen Nation einen wirklich ungeschminkten Spiegel in Gestalt dieser ausgewählten rund 80 Fotos vorzuhalten. Da ist es nicht mehr das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, sondern da ist auch viel Tristesse, das ist soziales Elend. Da ist aber auch ganz viel Alltag. Und genau dasselbe findet einige Jahre vorher eben schon statt, als er nach Paris zurückkehrt, so um 1951 herum. Es hat fast den Anschein, als wolle er vier, fünf Jahre nach seiner eigenen Immigration gucken, ob das denn so in Ordnung war, diese Entscheidung, die alte Welt zu verlassen, in die neue Welt zu gehen. Und aus dieser Ambivalenz, aus diesem ewigen Gegenüber, zwischen dem Neuen und dem Alten, den europäischen Traditionen, dem amerikanischen Modernismus, der aber nun doch nicht genau das hält, was er mal versprochen hat, leben diese Fotos. Es sind zum Teil sentimentale Blicke. Es sind Blicke an die Stadtränder, wo Zirkuswagen stehen. Es sind Blicke in die Metro, auf Familien, die in den Tuilerien Picknick machen. Es sind zum Teil hoch moderne Aufnahmen. Es gibt einen Schweizer Fotografen, Beat Streuli, der in den vergangenen Jahren Aufsehen damit gemacht hat, dass er mit einem Teleobjektiv in Menschenmassen hinein fotografiert hat und bestimmte einzelne, besonders selbstbewusste Gesichter sozusagen herausgezogen hat. Das macht Robert Frank schon Anfang der 50er Jahre. Es ist zum einen eine sehr persönliche Ausstellung über diesen Mann und sein Lebensweg. Es ist zum Zweiten eine Ausstellung, die viel Globalisierung voraus nimmt, alte Welt gegen neue Welt. Und es sind drittens vor allen Dingen hervorragende Aufnahmen.
Schäfer-Noske: Wie unterscheiden sich denn die Paris-Bilder eines Robert Frank von denen eines Robert Vano zum Beispiel, der ja auch den berühmten Kuss fotografiert hat?
Koldehoff: Es ist, glaube ich, vor allen Dingen das Faktum, dass Robert Frank alles bildwürdig findet, dass er nicht auf den entscheidenden Augenblick den Cartier-Bresson vielleicht definiert hat oder Doisneau manchmal sehr ironischer, aber doch sehr auf Pointe angelegte Fotos versucht nachzuvollziehen. Sondern er nimmt im Grunde das vorweg, was einige Jahre später "Streetphotography" heißen wird. Er lässt sich treiben durch diese Stadt, er sucht nicht nach den besonderen Motiven, sondern hat die Kamera, Kleinbildformat natürlich, anders ginge das nicht, immer schussbereit und fotografiert tatsächlich auch das, was ihm, aus welchen Gründen auch immer, weil es ein bestimmtes sentimentales Gefühl anrührt, weil es eine bestimmte schöne Komposition ist, weil eine Mauer, die in eine Straße überführt, plötzlich einen harten Schatten wirft, was ihm da bildwürdig erscheint. Es gibt keine Kriterien. Und gerade das macht diese Fotos so gut.
Schäfer-Noske: Einige Exponate werden jetzt in Essen erstmals gezeigt, zum Teil wurden sie neu vergrößert. Woher stammen diese Bilder?
Koldehoff: In der Regel aus Robert Franks Archiv. Es gibt ein gemeinsames Projekt des Folkwang-Museums beziehungsweise der großartigen, wohl in Deutschland wichtigsten Fotokuratorin, die dort arbeitet, Ute Eskildsen. Die hat gemeinsam mit Robert Frank und dem, man darf es in diesem Fall ruhig mal nennen, dem Steidl Verlag in Göttingen begonnen, das Archiv von Robert Frank aufzuarbeiten, viele ganz, ganz wichtige Fotobüchern, die nicht mehr lieferbar sind, neu aufzulegen, auch die Filme, die es von Robert Frank gibt. Und in einigen Tagen wird auch dieses berühmte Buch "Die Amerikaner", das Sie angesprochen haben, in einer ganz neuen Ausgabe, neu gestaltet mit sogar einigen neuen Fotos, neu herauskommen.
Schäfer-Noske: Das Folkwang-Museum in Essen hat ja auch schon vor ein paar Jahren eine Ausstellung zu Robert Frank gezeigt, damals unter dem Titel "Hold Still -Keep Going". Damals war auch der Künstler selbst auf dem Podium anwesend. Ist das diesmal auch so?
Koldehoff: Nein, das schafft er diesmal nicht mehr. Er ist inzwischen 84, bald 85 Jahre alt und verlässt New York nur noch selten, wenn, dann höchstens, um nach Neuschottland, nach Mabou in seinen anderen Wohnort zu fahren. Aber Europa, das wollte man ihm diesmal nicht mehr zumuten.
Schäfer-Noske: Stefan Koldehoff war das über die Paris-Bilder von Robert Frank, zu sehen im Folkwang-Museum in Essen.