Der Literaturkritiker Jörg Magenau, Jahrgang 1961, hat, wie er in der Danksagung zu seiner Walser-Biographie schreibt, "vielfältige Gespräche" mit Martin Walser geführt und dabei eine "wunderbare Zusammenarbeit" erfahren. Das Ergebnis ist diese erste umfassende Walser-Biographie. Magenau schreibt sich behutsam an einen komplexen Charakter heran: Er zieht die biographischen Fäden, verbindet damit das literarische und essayistische Werk und skizziert dazu den zeitgeschichtlichen Hintergrund. Das ist eine vielfach analytisch überzeugende, stilistisch weithin souveräne Energieleistung. Magenau entwirft das Porträt eines leicht aufbrausenden Temperaments, das in seiner Komplexität sympathisch ist: eine höchst sensible, das heißt auch erregbare, vital und spontan reagierende Person. Ärger und begeisterte Zustimmung begleiten sie.
Sehr früh entwickelte Walser einen genauen Sinn für soziale Unterschiede und Abhängigkeitsverhältnisse. Als der Vater, der am Bodensee im 700-Einwohner-Dorf Wasserburg eine Gastwirtschaft mit Kohlenhandel betreibt, 1938 stirbt, ist Martin zehn Jahre alt. Durch harte körperliche Arbeit - zum Beispiel durch Verteilen von vielen Zentnern Kohle - trägt er zum Unterhalt der Familie bei. Hier bildet sich der Erfahrungsfundus für literarische Lebensthemen: Machtverhältnisse, Konkurrenz, wirtschaftliche Existenzangst. Und daß man sie mildern oder ihnen entkommen kann durch das geschickte Wort, durch Sprachmächtigkeit. Walser, der nach dem Abitur bald beim Süddeutschen Rundfunk kleine Couplets schreibt, unterwegs ist als Reporter für alles, dann Hörspiele und Features verfaßt, schreibt schließlich auch Prosa. Sie ist Kafka, über den er promoviert, nachempfunden.
Erst als er sich an Prousts Geschichtsschreibung des Alltags orientiert und seinen eigenen realistischen Schreibstil findet - mit Handlung und richtigen Charakteren - wird er erfolgreich. Vom Erstling "Ehen in Philippsburg" über "Halbzeit" oder "Die Gallistl'sche Krankheit" bis hin zu "Ein fliehendes Pferd" und "Das Schwanenhaus" sind das literarisch oft aufregende Fassungen bundesrepublikanischer Mentalitäts- und Alltagsgeschichte. In ihnen zeigt Walser, wie Magenau herausarbeitet, immer wieder Figuren, die Vertreter, Makler, Fahrer oder Schriftsteller sind, die leiden: Leiden an sich und ihrer Umwelt, als Opfer einer kapitalistischen Konkurrenz- und Profitgesellschaft. Magenaus Biographie hat freilich Schwächen, vor allem da, wo sie den Weg des politischen Essayisten und engagierten Bürgers Walser rekonstruiert. Zunächst durchaus zuverlässig rekapituliert Magenau das Bekannte: Wie Walser 1964 den Frankfurter Auschwitz-Prozeß besucht und programmatisch festhält: "Laßt uns von Zeit zu Zeit daran denken, daß wir für immer schuldig sind." Wie er offensiv die Meinungsstandards der Aufklärung, die große Bedeutung kritischer Medienöffentlichkeit für die Demokratie vertritt und als Radikaldemokrat durch Mitbestimmungsmodelle sogar den "Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit" gelöst wissen will. Dann, nach einem Flirt Anfang der 70-er Jahre mit der DKP, der ihn isoliert, vollzieht er Ende der 70-er Jahre, stets bedrängt von Verarmungsängsten, wie Magenau betont, eine Wende.
Walser wechselt in Meinung und Vokabular die Seiten: vom Aufklärer und "Sozialisten" zum politischen Romantiker. Aufklärung, Intellektuelle, Kritik, Öffentlichkeit werden für ihn negative Reizwörter. Konstrukte wie Nation, Volk, "Deutschtum" gewinnen an Bedeutung. Als der Weggefährte Jürgen Habermas auf Distanz geht und der Fernsehjournalist Tilman Jens ihm Stammtischparolen vorwirft, sieht sich Walser einer Verleumdungskampagne seitens der "Linken" ausgesetzt. Walser "verteidigt", wie Magenau schreibt,"Positionen der Rechten". Er folgt seiner Neigung zu "Rechthaberei", "kindlichem Trotz" und der knallig auf dem Buchumschlag plazierten Devise: "Ich bin kein Damenkränzchen!" Magenau folgt nun seinerseits weithin leider der Diktion und historischen und zeitgeschichtlichen Interpretation, mit der Walser in seinen Erklärungen zu Klemperers Tagebüchern, zur angeblichen "Instrumentalisierung" von Auschwitz oder zum Versailler Vertrag ungenaue, mißverständliche Sprache spricht.
Wenn Walser zum Beispiel unentwegt polemisiert gegen "linksliberale" "Diskursfürsten", "intellektuelle Intellektuelle", gegen "politisch korrektes Gutmenschentum", das im "Meinungsdienst" von Aufklärung und "Emanzipation" in einer "vorgedachten" und "normierten" Formelsprache die Erinnerung an Auschwitz sowie den Lebensalltag der Bundesrepublik regele, dann dröselt Magenau diese prekäre Wortmelange nicht auf, sondern pflichtet ihr hilflos bei. Magenau: "Der zunehmenden Normiertheit im Umgang mit der NS-Vergangenheit setzt er seine unnormierte Version der Geschichte entgegen, dem öffentlichen Gedächtnis die persönliche Erinnerung. Für ihn ist die Vergangenheit weder bewältigt, noch bewältigbar. Sie ist, wie sie ist." Walsers ungenaue Sprache wiederholt Magenau mit ungenauen Wortungetümen wie "reglementiertes Vergangenheitsbewältigungsprechen" oder "Ideenexplosionsheftigkeit". Immerhin legt Magenaus Biographie auch nahe, dass manche der Walserschen Sentenzen nur so hingesagt zu sein scheinen: aus bloßem Interesse an den Buchverkauf fördernder dauernder Medienpräsenz. Frappant ist gleichwohl die Miß- und Verachtung, die Walser an den Tag legt gegenüber "aufklärerischen" Institutionen wie der Geschichtsschreibung, der Kritik oder den sogenannten "Medien". Wenn er zum Beispiel schreibt: "Keine Macht ist so illegitim wie die der Medien", blendet er aus, daß Medien und Öffentlichkeit, erstritten mit einem hohen Blutzoll, Wesenselemente der Demokratie sind. Festzuhalten bleibt: Wer wie der Rezensent etliche der Romane Walsers schätzt, findet in Magenaus Biographie gute Argumente dafür. Wer über den politischen Essayisten den Kopf schüttelt, den läßt der Biograph streckenweise allein.
Jörg Magenau: Martin Walser. Eine Biographie. Rowohlt Verlag Hamburg. 2005.
624 S. 24,90 Euro.
Sehr früh entwickelte Walser einen genauen Sinn für soziale Unterschiede und Abhängigkeitsverhältnisse. Als der Vater, der am Bodensee im 700-Einwohner-Dorf Wasserburg eine Gastwirtschaft mit Kohlenhandel betreibt, 1938 stirbt, ist Martin zehn Jahre alt. Durch harte körperliche Arbeit - zum Beispiel durch Verteilen von vielen Zentnern Kohle - trägt er zum Unterhalt der Familie bei. Hier bildet sich der Erfahrungsfundus für literarische Lebensthemen: Machtverhältnisse, Konkurrenz, wirtschaftliche Existenzangst. Und daß man sie mildern oder ihnen entkommen kann durch das geschickte Wort, durch Sprachmächtigkeit. Walser, der nach dem Abitur bald beim Süddeutschen Rundfunk kleine Couplets schreibt, unterwegs ist als Reporter für alles, dann Hörspiele und Features verfaßt, schreibt schließlich auch Prosa. Sie ist Kafka, über den er promoviert, nachempfunden.
Erst als er sich an Prousts Geschichtsschreibung des Alltags orientiert und seinen eigenen realistischen Schreibstil findet - mit Handlung und richtigen Charakteren - wird er erfolgreich. Vom Erstling "Ehen in Philippsburg" über "Halbzeit" oder "Die Gallistl'sche Krankheit" bis hin zu "Ein fliehendes Pferd" und "Das Schwanenhaus" sind das literarisch oft aufregende Fassungen bundesrepublikanischer Mentalitäts- und Alltagsgeschichte. In ihnen zeigt Walser, wie Magenau herausarbeitet, immer wieder Figuren, die Vertreter, Makler, Fahrer oder Schriftsteller sind, die leiden: Leiden an sich und ihrer Umwelt, als Opfer einer kapitalistischen Konkurrenz- und Profitgesellschaft. Magenaus Biographie hat freilich Schwächen, vor allem da, wo sie den Weg des politischen Essayisten und engagierten Bürgers Walser rekonstruiert. Zunächst durchaus zuverlässig rekapituliert Magenau das Bekannte: Wie Walser 1964 den Frankfurter Auschwitz-Prozeß besucht und programmatisch festhält: "Laßt uns von Zeit zu Zeit daran denken, daß wir für immer schuldig sind." Wie er offensiv die Meinungsstandards der Aufklärung, die große Bedeutung kritischer Medienöffentlichkeit für die Demokratie vertritt und als Radikaldemokrat durch Mitbestimmungsmodelle sogar den "Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit" gelöst wissen will. Dann, nach einem Flirt Anfang der 70-er Jahre mit der DKP, der ihn isoliert, vollzieht er Ende der 70-er Jahre, stets bedrängt von Verarmungsängsten, wie Magenau betont, eine Wende.
Walser wechselt in Meinung und Vokabular die Seiten: vom Aufklärer und "Sozialisten" zum politischen Romantiker. Aufklärung, Intellektuelle, Kritik, Öffentlichkeit werden für ihn negative Reizwörter. Konstrukte wie Nation, Volk, "Deutschtum" gewinnen an Bedeutung. Als der Weggefährte Jürgen Habermas auf Distanz geht und der Fernsehjournalist Tilman Jens ihm Stammtischparolen vorwirft, sieht sich Walser einer Verleumdungskampagne seitens der "Linken" ausgesetzt. Walser "verteidigt", wie Magenau schreibt,"Positionen der Rechten". Er folgt seiner Neigung zu "Rechthaberei", "kindlichem Trotz" und der knallig auf dem Buchumschlag plazierten Devise: "Ich bin kein Damenkränzchen!" Magenau folgt nun seinerseits weithin leider der Diktion und historischen und zeitgeschichtlichen Interpretation, mit der Walser in seinen Erklärungen zu Klemperers Tagebüchern, zur angeblichen "Instrumentalisierung" von Auschwitz oder zum Versailler Vertrag ungenaue, mißverständliche Sprache spricht.
Wenn Walser zum Beispiel unentwegt polemisiert gegen "linksliberale" "Diskursfürsten", "intellektuelle Intellektuelle", gegen "politisch korrektes Gutmenschentum", das im "Meinungsdienst" von Aufklärung und "Emanzipation" in einer "vorgedachten" und "normierten" Formelsprache die Erinnerung an Auschwitz sowie den Lebensalltag der Bundesrepublik regele, dann dröselt Magenau diese prekäre Wortmelange nicht auf, sondern pflichtet ihr hilflos bei. Magenau: "Der zunehmenden Normiertheit im Umgang mit der NS-Vergangenheit setzt er seine unnormierte Version der Geschichte entgegen, dem öffentlichen Gedächtnis die persönliche Erinnerung. Für ihn ist die Vergangenheit weder bewältigt, noch bewältigbar. Sie ist, wie sie ist." Walsers ungenaue Sprache wiederholt Magenau mit ungenauen Wortungetümen wie "reglementiertes Vergangenheitsbewältigungsprechen" oder "Ideenexplosionsheftigkeit". Immerhin legt Magenaus Biographie auch nahe, dass manche der Walserschen Sentenzen nur so hingesagt zu sein scheinen: aus bloßem Interesse an den Buchverkauf fördernder dauernder Medienpräsenz. Frappant ist gleichwohl die Miß- und Verachtung, die Walser an den Tag legt gegenüber "aufklärerischen" Institutionen wie der Geschichtsschreibung, der Kritik oder den sogenannten "Medien". Wenn er zum Beispiel schreibt: "Keine Macht ist so illegitim wie die der Medien", blendet er aus, daß Medien und Öffentlichkeit, erstritten mit einem hohen Blutzoll, Wesenselemente der Demokratie sind. Festzuhalten bleibt: Wer wie der Rezensent etliche der Romane Walsers schätzt, findet in Magenaus Biographie gute Argumente dafür. Wer über den politischen Essayisten den Kopf schüttelt, den läßt der Biograph streckenweise allein.
Jörg Magenau: Martin Walser. Eine Biographie. Rowohlt Verlag Hamburg. 2005.
624 S. 24,90 Euro.
