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Neues vom Hausautor

Die Berliner Schaubühne hat etwas, das nicht jedes Theater hat: einen Hausautor. Das ist seit fünf Jahren Marius von Mayenburg. Drei Stücke von ihm wurden bereits an der Schaubühne aufgeführt, jetzt hat er ein viertes abgeliefert und damit dazu beigetragen, dass nicht immer nur die Arbeit von Regisseuren zu bestaunen und bewerten ist. Das Stück heißt "Eldorado" und inszeniert hat es wie immer Thomas Ostermeier.

Von Hartmut Krug | 12.12.2004
    Anton und Thekla richten sich eine Villa am grünen Stadtrand im Grünen ein. Die Familie soll der geschützte Ort für das private Glück sein, während draußen Krieg und Aufruhr toben, Menschen ermordet und ganze Stadtteile zerstört werden. Daran interessiert den in der Immobilienbranche arbeitenden Anton vor allem der geschäftliche Aspekt: er sucht die zerbombten Areale zum Wiederaufbau an den Mann zu bringen. Oder an die Frau. Wie an seine reiche Schwiegermutter, die sich nicht nur einen an ihrem Geld interessierten jungen Mann als Sexualobjekt hält, sondern ihr Geld zugleich gut anzulegen sucht.

    Wie alle Stücke von Marius von Mayenburg erzählt auch "Eldorado" Geschichten aus einem Familienleben. Doch wird der alltägliche familiäre Horror, der Mayenburgs Stücke prägt und in seinem Erstling "Feuergesicht" in Tod und Mord gipfelt, in "Eldorado" nicht mehr so grell ausgestellt. Indem von einem äußeren Kriegszustand nur allgemein berichtet wird, als sei es ein Zeitungsbericht, werden die Menschen zwar verunsichert, doch der Fokus des Autors erweitert sich damit keineswegs auf politische und gesellschaftliche Verhältnisse. Auch "Eldorado" bleibt ein atmosphärisches Zeitstück im Gewand einer Familiengeschichte.

    Bühnenbildner Jan Pappelbaum hat die wechselnden Spielorte des Stückes nicht realistisch abgebildet. Sein so atmosphärisches wie faszinierendes Bühnenbild zeigt einen Wald mit fünf mächtigen Stämmen. Der Regisseur lässt die Szenen pausenlos ineinander übergehen, indem die Menschen hinter den Bäumen schnell verschwinden oder auftauchen. Ein Klavier und ein Ledersessel sind reale Zeichen in einer surrealen Szenerie, die das bedrohliche und Irritierende des Alltags von Menschen mit neurotisch-psychotischen Ängsten verdeutlicht. Wenn Thekla ihre Karriere als Pianistin aufgibt, sind auch kriegerische Bedrohungsphantasien im Konzertsaal der Grund. Fehler in dieser Gesellschaft führen zur Katastrophe. Anton wird wegen Unregelmäßigkeiten sofort entlassen.
    Katastrophen über Katastrophen: Theklas Klavierschülerin verzweifelt, weil sie die Trennung von ihrer Lehrerin als Fehler erkennt. Und Anton, der seiner schwangeren Frau vorspielt, weiterhin zur Arbeit zu gehen, wird von dieser des Seitensprungs verdächtigt. Wenn seine Schwiegermutter, unterstützt von ihrem groben jugendlichen Freund, ihr investiertes Geld zurückfordert, flüchtet sich Anton zunächst in Verrücktheit und auf einen oft für surreale Auftritte genutzten Schrank.

    Sowohl Anton wie zuvor sein Chef erhängen sich, doch beide leben auch irgendwie weiter. Mit seiner Schilderung scheiternder Beziehungen und privater als gesellschaftlicher Ängste bietet Marius von Mayenburgs thematisch komprimiertes und sprachlich konzentriertes Stück, das Regisseur Ostermeier geschickt immer wieder etwas verrätselt, wunderbare Angebote für die Schauspieler. Die diese an der Schaubühne großartig nutzen.

    Dieter Mann, Gast vom Deutschen Theater, spielt den Vorgesetzten mit enormer sprachlicher und böser darstellerischer Prägnanz, während Ingrid Andree der alten Mutter einen selbstsicheren, herrlich trockenen Witz gibt. Die jungen Darsteller, an ihrer Spitze Stephanie Eidt als Thekla, aber auch Matthias Matschke als ihr Mann, Judith Engel als verunsicherte Klavierschülerin und André Szymanski als junges Sexobjekt einer alten Frau, fügen sich in ein wunderbares Ensemblespiel, das einem eher soliden Stück zu großer Uraufführungswirkung verhilft.