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„#neuland“-Ausstellung in Frankfurt
Spontane Eröffnung im Netz

Um Falschmeldungen zu erkennen, hilft Medienkompetenz. Damit beschäftigt sich eine neue Ausstellung in Frankfurt, die wegen der Corona-Krise kurzfristig ins Netz umziehen musste. Das geschieht positiv und spielerisch, auch wenn sie dort ihrem aufklärerischen Anspruch nicht ganz gerecht wird.

Von Christoph Möller | 26.03.2020
18.03.2020 Frankfurt Museum für Kommunikation - Neue Ausstellung „#neuland“.
Spontan und kreativ: Angesichts der Corona-Krise wurde die Ausstellung "#neuland: Ich, wir & die Digitalisierung" kurzfristig in Teilen ins Netz verlagert (Museum für kommunikation Frankfurt)
Gestern Abend, 19 Uhr, auf der Webseite www.ausstellung-neuland.de: Helmut Gold, Direktor des Museums für Kommunikation Frankfurt, begrüßt das Publikum im Internet.
"In dieser langjährigen Zeit im Museumsgeschäft habe ich schon erlebt, dass Ausstellungen auch eröffnet wurden, obwohl noch nicht alles fertig war, weil oft bis zur letzten Minute und darüber hinaus noch was zu tun war. Jetzt habe ich die einzigartige Situation, dass wir eine fertige Ausstellung haben, aber wir können sie nicht eröffnen."
Das Video ist aufgezeichnet. Ein Live-Stream mit den Kuratorinnen im Ausstellungsraum war am Ende dann doch zu heikel: Zu viele Personen in einem zu kleinen Raum. Und sowieso: Die spontane Verlagerung der Eröffnung von "#neuland: Ich, wir & die Digitalisierung" ins Internet war schon kompliziert genug, erklärt Kuratorin Tine Nowak.
Spielerisch und positiv
"Wir hatten wirklich wenig Zeit, um was vorzubereiten. Wir haben letzte Woche dann überlegt, wenn diese Ausstellungseröffnung nicht stattfinden kann, was können wir denn dann machen? Und dann haben wir ein bisschen auf unsere digitalen Kompetenzen zurückgegriffen und haben einen Rundgang gefilmt. Allerdings nicht, dass eine von uns Kuratorinnen filmt, sondern, es ist wie ein Flug durch die Ausstellung."
Die Ausstellung untersucht die Auswirkung der Digitalität auf das Individuum. Man merkt, dass das Video, das jetzt dauerhaft im Netz zu sehen ist, etwas eilig zusammengeschustert worden ist. Die Kamerabewegung ist wackelig. Die Musik arg pathetisch.
Doch der filmische Rundgang vermittelt einen guten Eindruck, wie es sein könnte, die Ausstellung wirklich zu betreten: Da ist ein heller, länglicher Raum im ersten Stock des Museums. Die stählernen Ausstellungswände sehen aus wie Gerüste. Das passt: Auch das Internet ist ein Gerüst, ein Netzwerk. An einem großen analogen Spieltisch kann man mit zwei Spielfiguren versuchen, den "Mount Dislike", der einen Vulkan darstellen soll, am Ausbruch zu hindern. Dafür muss man einen Hindernisparcours überwinden und damit verbundene Likes sammeln. Die Message: den Phänomenen im Netz spielerisch und positiv begegnen. Ganz am Anfang der Ausstellung begrüßt Angela Merkel die Besuchenden – zumindest in Form eines Plakats – mit ihrem Ausspruch "das Internet ist für uns alle Neuland" aus dem Jahr 2013.
Tine Nowak: "Das liegt daran, dass bis heute dieses Hashtag, auch, wenn man mal auf sozialen Netzwerken wie Twitter guckt, auch verwendet wird, wenn man die Diskrepanz zwischen den innovativen Vorstellungen und dem Sich-Beschweren, wie wenig weit wir sind mit der Digitalisierung, wenn man dem so ein bisschen folgt, dann sieht man das auch."
Das Zitat steht aber auch für ein anderes Problem: Im Netz werden Dinge häufig verkürzt oder falsch wiedergegeben. Auch das Merkel-Zitat. Es bezog sich auf die Überwachung von Merkels Handy durch den US-amerikanischen Geheimdienst und hat, trotz aller Verballhornung im Netz, einen wahren Kern, der häufig übersehen wird.
Tine Nowak: "Der Kontext ist natürlich einer, der schon real ist. Darauf kommen wir auch in der Ausstellung zu sprechen. Dass wir im Internet einerseits die Freiheit haben, unsere Identität zu gestalten, aber auch Identifikationsmöglichkeiten sowohl vom Staat, von Geheimdiensten oder Firmen, uns natürlich auch versuchen, irgendwie dort einzufangen."
Wie steht es um das Individuum im Digitalzeitalter? Sei es Angela Merkel – oder man selbst. "#neuland" versucht die großen Fragen der Digitalisierung in einem ziemlich vollgepackten Ausstellungsraum zu verhandeln. Fragen, die während der Corona-Pandemie noch mal eine ganz neue Dynamik bekommen: Wie führen wir Beziehungen, wenn Grenzen für Teile der Bevölkerung geschlossen sind? Wie lernen wir, wenn die Klassenzimmer dicht sind?
Corona zwingt ins Digitale
Tine Nowak: "All diese Bereiche werden jetzt gerade noch mal neu ausgehandelt, weil jetzt plötzlich auch Bevölkerungsgruppen, die sich bisher nicht in das Digitale integrieren mussten, plötzlich gezwungen sind, all das neu zu lernen und sich dort einzubringen. Weil man vielleicht doch mit den Enkeln in Kontakt bleiben möchte. Weil man doch irgendwie im Büro miteinander arbeiten will, obwohl man im Homeoffice ist. Und darum werden eigentlich die Fragen, die wir stellen, umso dringender. Weil gerade im Moment, haben wir gar nicht so viel Zeit, immer über Datenschutz nachzudenken, sondern wir versuchen gerade überall erstmal Lösungen zu finden."
Der Teil von "#neuland: Ich, wir & die Digitalisierung", der jetzt im Internet aufbereitet worden ist, ist eine passende Begleitung für dieses große, auch digitale Sozialexperiment. Ob die wirkliche, analoge Ausstellung ihrem aufklärerischen Anspruch gerecht wird, ist schwer zu sagen – das Rundgangs-Video gibt die Ausstellung nur sehr verkürzt wieder, aber die Ausstellungsmacherinnen bemühen sich. Die Corona-Situation ist auch für sie Neuland.