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Neurologie und Lernen

Messe. - Seit fünf Tage dreht sich in Stuttgart alles um Erziehung und Bildung, heute endet die didacta, Europas größte Bildungsmesse. Neben der Fachmesse gab es ein umfangreiches Rahmenprogramm mit rund 1000 Veranstaltungen inklusive zahlreicher Sonderschauen, Foren und Workshops. Auf einem dieser Foren stand die Hirnforschung im Mittelpunkt.

Von Mirko Smiljanic |
    Mittlerweile wissen Forscher ziemlich genau, wie Nervenzellen miteinander kommunizieren. Die Nervenfasern leiten die Informationen in Form elektrischer Impulse weiter, und an den Verknüpfungsstellen zweier Stränge mit Hilfe von chemischen Botenstoffen, den Neurotransmittern. Gleichgültig ob jemand Vokabeln paukt oder Radio hört - dieser Prozess ist die Basis für das Verarbeiten aller Informationen. Von Lernen sprechen Neurologen, wenn die Signale immer wieder die gleichen Wege nehmen. Vergleichbar mit einem verschneiten Park, den Menschen besuchen,...

    wenn man dann am Abend den Park von oben anschaut, sieht man einen Trampelpfad, also eine gebrauchsabhängig entstandene Spur, und genauso geht's im Gehirn zu. Da laufen nicht Leute rum im Tiefschnee, aber da laufen Impulse über Nervenverbindungen, und die werden um so stärker, je öfter sie gebraucht werden, und das ist Lernen, jegliches Lernen findet so statt.

    Übung - sagt Professor Manfred Spitzer, Direktor der Psychiatrischen Klinik der Universität Ulm - macht den Meister, wer sich lange mit einem Thema beschäftigt, baut den Trampelpfad zur Autobahn aus. Allerdings gibt es Grenzen: Neu erlernte Informationen werden zunächst in einem Kurzzeitspeicher hinterlegt und erst nach und nach in den Langzeitspeicher überführt. Konsequenz: Die Tagesration langfristig speicherbarer Inhalte ist begrenzt. Es sein denn, das Hirn hat eine hohe Plastizität, ist also formbar. Kinder etwa speichern in kurzer Zeit extrem viel Wissen. Eine Fähigkeit, die mit dem 17. Lebensjahr abrupt endet, worüber Erwachsene nicht traurig sein müssen.

    Dadurch, dass die Lernschritte mit jeder neuen Erfahrung ganz klein sind, kann man überhaupt nur die kleinen Veränderungen vornehmen, um immer besser zu werden, also den wahren Wert, die man ja approximieren will, den man erreichen will, immer besser zu erreichen, und deswegen ist es so, dass das immer langsamere Lernen mit zunehmenden Alter nicht schlechter ist, sondern die Voraussetzung dafür, dass wir immer besser und immer genauer werden: Dass wir mit zunehmendem Alter immer langsamer lernen, das muss so sein!


    Eine Ausnahme sind Menschen mit besonders ausgeprägten Begabungen. Sprachgenies lernen auch mit 35 Jahren noch fast nebenbei bis dato unbekannte Sprachen. Die neurologischen Gründe besonderer Begabungen sind heute noch unbekannt, seriöse Antworten - sagt Manfred Spitzer - gibt es in frühestens zwei Jahren. Erste Antworten gibt es aber auf eine andere Frage: Lässt sich Lernleistung biochemisch verbessern? Ja, sagen Neurologen, und verweise auf Alzheimermedikamente.

    Das ist eine Substanz, die läuft unter dem Generalbegriff der Cholinesterase-Hemmstoffe, das sind Stoffe, die letztlich den einen Neurotransmitter Acetylcholin, der in unserem Hirn mit Lerngeschwindigkeit zu tun hat, besser verfügbar macht.

    Daneben gibt es mittlerweile einen florierenden Markt mit so genannten smart drugs, den "schlauen Pillen". Wissenschaftlich bewiesen ist die Wirkung dieser Mixturen aus Aminosäuren, Vitaminen, Lipiden und Lecithin, Hormonen nicht. Trotzdem könnten diese brain booster in wenigen Jahren schon das Lernverhalten ändern.

    Nehmen wir mal an, Sie machen eine Sprachreise und wollen in einem Crashkurs in irgendeiner Sprache machen, dass Sie das nur noch machen, wenn Sie ein Medikament einnehmen, weil dieses Medikament den Erfolg dieser Lernepisode, die ein paar Wochen dauert, noch mal wesentlich steigert.

    Für Kinder sind lernfördernde Medikamente völlig ungeeignet! Sie müssen an ganz anderer Stelle unterstützt werden. Lernen funktioniert nur mit einem Repertoire sozialer Techniken. Dazu zählen...

    still sitzen, zuhören, konzentrieren, mal an was dran bleiben, in der Gruppe etwas lösen, zusammen arbeiten, das sind die Dinge. Und da spreche ich vor allem von sozialen und emotionalen Fähigkeiten, die ein Kind entwickeln muss, und dazu muss man dem Kind die Fähigkeiten geben.