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Neurowissenschaft
Die Komplexität der Willenskraft

Für eine erfolgreiche Umsetzung der guten Vorsätze ist sie unverzichtbar: die Willenskraft. Berliner Forscher sind der Willensstärke genauer auf den Grund gegangen und haben festgestellt: Sie ist komplexer als bisher gedacht.

Von Martin Hubert | 30.12.2013
    Der eine zaudert und weicht vor den kleinsten Schwierigkeiten zurück. Der andere hört nicht auf, bis er seinen Vorsatz verwirklicht hat. Manche Menschen haben eben einen schwachen, andere einen stärkeren Willen. Wenn Willensstärke aber so unterschiedlich verteilt ist, kann sich dahinter eine einheitliche Kraft verbergen? Professor Henrik Walter von der psychiatrischen Universitätsklinik der Berliner Charité bestreitet das und versteht Willensstärke als eine Metapher, hinter der sich verschiedene Fähigkeiten verbergen.
    "Es beruht zum Beispiel auf der Fähigkeit, sich nicht ablenken zu lassen und eine Absicht abzuschirmen. Es beruht auf der Fähigkeit, Handlungsimpulse zu unterdrücken, es beruht auf der Fähigkeit, Emotionen zu regulieren. Und all das sind wahrscheinlich verschiedene Prozesse. Und unser Forschungsprojekt geht jetzt dahin, dass wir sagen, wir wollen diese so uniform wirkende Willenskraft in seine verschiedenen Teilprozesse aufteilen und diese untersuchen und miteinander in Verbindung bringen."
    Henrik Walters Team untersuchte 120 Versuchspersonen, um die unterschiedlichen Facetten ihrer Willensstärke zu messen. Zunächst aber mussten die Probanden Fragebögen ausfüllen, mit denen ihre generelle Willensstärke festgestellt wurde. Danach unterzogen sie sich Verhaltenstests. Wie gut können sie Gefühle unterdrücken, sich auf ein Ziel konzentrieren und daran festhalten? Manche Tests untersuchten sogar zwei Fähigkeiten gleichzeitig. Zum Beispiel die Fähigkeiten, sich nicht ablenken zu lassen und Versuchungen zu widerstehen.
    "Also die Leute müssen auf einen Bildschirm gucken und eine Aufgabe lösen. Dann erscheinen auf der anderen Seite des Bildschirms interessante Fotos, zum Beispiel erotische Fotos. Und Sie können die Aufgabe umso besser machen, je weniger sie dahin gucken, dass ist also eine Versuchung, der sie widerstehen müssen. Oder sie müssen irgendwohin gucken, um eine Aufgabe zu lösen, dann erscheint da ein ekliges Bild. Da wollen Sie eigentlich weggucken. Aber um die Aufgabe lösen zu können, müssen sie weiter dahin gucken. Das heißt, sie müssen sozusagen etwas ertragen und erdulden können, auch ein Aspekt von Willenskraft."
    Nach dem Ende der Versuchsreihen hatten die Forscher viele Daten zu den einzelnen Aspekten gesammelt. Nun versuchten sie sie miteinander zu korrelieren, also Beziehungen zwischen ihnen herzustellen. Und sie fragten, welche der spezifischen Fähigkeiten mit der generellen Willensstärke der Versuchspersonen in Beziehung standen, die mit dem Fragebogen ermittelt wurde. Das Ergebnis:
    "Diese einzelnen Funktionen korrelieren nicht miteinander. Sie korrelieren auch nicht einzeln mit den Fragebögen, aber wenn man alles zusammennimmt, korrelieren sie mit dem Fragebogen. Das ist ein erstes Ergebnis, was offenbar zeigt, dass wir Recht haben, nämlich das nicht so ist, dass das jetzt eine mysteriöse Kraft ist, sondern eine komplexe Fähigkeit, die aus einzelnen Fähigkeiten besteht."
    Für Henrik Walter heißt das: Man muss differenzieren , wenn man die Willensstärke eines einzelnen Menschen berechnen will. Auch wenn jemand in manchen Einzelfähigkeiten Schwächen zeigt, kann seine Willensstärke insgesamt recht hoch sein.
    "Es könnte zum Beispiel sein, dass der eine vielleicht sehr gut in der Lage ist, Versuchung zu widerstehen, aber sehr schlecht, Unangenehmes auszuhalten und umgekehrt. Und beide würden in der Summe die gleiche Willenskraft haben aber aus verschiedenen Gründen. Und dann ist es natürlich klar, wenn man jetzt guckt, wie viel kann ich jemanden zumuten?, dass ich dem, der der Versuchung schlecht widerstehen kann, der ist natürlich dort willensschwächer und der andere vielleicht in dem anderen und dann entsteht jetzt die philosophische Frage: "as sollten wir das bei der Zurechnung von Verantwortlichkeit in Betracht ziehen?"
    In künftigen Studien möchte Henrik Walter untersuchen, wie diese komplex aufgebaute Willenskraft im Gehirn verankert und genetisch beeinflusst ist Das könnte künftig vielleicht helfen, die Verantwortlichkeit oder Gefährlichkeit von Straftätern besser zu beurteilen. Aber heute schon kann er jedermann raten, genauer zu prüfen, für welche guten Vorsätze er eine reale Chance auf Umsetzung hat - und für welche nicht.