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Neurowissenschaft
Langzeitstudie will Altern des Gehirns ergründen

Während der eine mit 90 noch geistig fit ist, zeigt der andere schon früh Zeichen von Demenz. Eine schottische Langzeitstudie soll klären, warum die kognitive Leistungsfähigkeit im Alter nachlässt und weshalb dies unterschiedlich stark ausfällt.

Von Katrin Zöfel |
    Es muss ein ungeheurer Aufwand gewesen sein. 1936 und 1947 ließen die Behörden in Schottland jeweils alle elfjährigen Schulkinder auf ihre Intelligenz hin testen. Das waren jedes Mal mehr als 70.000 Kinder, die in nur 45 Minuten insgesamt 71 Fragen beantworten mussten.
    "Man befürchtete damals, dass die Intelligenz der Menschen im Schnitt sinken würde, deshalb die Tests. Aber es gab diesen Verfall natürlich gar nicht, im Gegenteil: Ernährung und Ausbildung wurden besser, also wurden die Menschen immer intelligenter."
    Doch die Befürchtung der Behörden von damals beschert der Wissenschaft von heute einen Schatz, sagt die Forscherin Tara Spires-Jones. Ihr Chef Ian Deary von der Universität von Edinburgh entdeckte 1997 im Keller der Universität die Aktenkisten mit den Testergebnissen – und erkannte, dass er die Grundlage für eine weltweit einmalige Studie vor sich hatte.
    "Er überzeugte gut 1.000 der damaligen Teilnehmer, an einer weiteren Studie teilzunehmen. Er wollte wissen, wie sich ihre Intelligenz im Alter verändert hatte. Sie absolvierten also mit 70 Jahren im Jahr 2006 noch einmal den gleichen Test wie damals 1947 mit elf. Außerdem wurden sie rundum durchgecheckt: mit Hirnscans, Blutwerten und Fragen zu ihrem Lebensweg und ihren Lebensbedingungen. Wir wissen über diese Leute ziemlich gut Bescheid."
    Die Tests werden alle drei Jahre also im Alter von 73 und 76 Jahren wiederholt. Der nächste Test ist für 2015 angesetzt. Bisher herausgefunden haben Deary, Spires-Jones und ihre Kollegen, dass ein Faktor über die geistige Fitness im Alter entscheidet. Wer im Alter von elf Jahren beim Intelligenztest besonders gut abschnitt, kam auch mit über 70 noch auf gute Testwerte. Sport, Ernährung und Bildungsniveau dagegen hatten den Studienergebnissen zufolge einen geringeren Einfluss. Schon durch die lange Zeitspanne von der Schulzeit bis weit ins Rentenalter ist diese Studie weltweit einmalig, doch selbst damit geben sich die Forscher nicht zufrieden.
    "Gut 100 Studienteilnehmer haben zugesagt, uns nach ihrem Tod ihr Gehirn zu spenden. Das heißt, wir können uns den biologischen Zustand ihres Gehirns anschauen, und dann in Beziehung setzen zu dem, was wir über ihre kognitiven Fähigkeiten zu Lebzeiten wissen."
    Die erste Studienteilnehmerin ist vor einigen Monaten gestorben. Ihrem Gehirn entnahmen die Wissenschaftler 37 Gewebeproben. Endgültige Ergebnisse werden sie so schnell nicht liefern können, schon allein, weil sie bisher nur ein Gehirn zur Verfügung haben. Doch sie können Hypothesen prüfen, die sich aus Studien an Zellkulturen, Mäusegehirnen oder dem Gehirn von Menschen mit Alzheimer oder Demenz ergeben.
    "Wir suchen nach Eiweißen, von denen wir wissen, dass sie für die gesunde Funktion des Gehirns wichtig sind, und nach solchen, die für Krankheiten wie Alzheimer typisch sind, oder nach kleinen Lecks in Blutgefäßen, wie sie bei vaskulärer Demenz vorkommen. Wir schauen, wie viele Synapsen, also Verbindungen, die Nervenzellen untereinander haben, wie aktiv diese Synapsen noch waren, ob wir abgestorbene Nervenzellen finden, und ob bestimmte Zellen, die Nervenzellen schützen, noch vorhanden sind."
    Die Liste der Merkmale ist fast unendlich lang. Denn die Forscher wollen die Chance, die sie durch die Hirnspenden bekommen, so gut wie möglich nutzen.
    "Es ist relativ einfach, jemanden, der krank ist, davon zu überzeugen, dass er nach seinem Tod sein Hirn der Forschung zur Verfügung stellt. Demjenigen ist klar, dass er damit helfen kann, die Krankheit, die er hat, zu verstehen und vielleicht einmal zu heilen."
    Jemand, der gesund ist, käme, sagt sie, wohl selten auf die Idee, einen Forscher anzurufen, um sein Gehirn zu spenden.