Archiv


Neutronen als Wünschelrute

Technik. - In Flugzeugkabinen ist die Luft meist sehr trocken - aus gutem Grund. Denn Feuchtigkeit in der Kabinenluft kann sich an den kalten Flugzeugwänden niederschlagen, elektrische Kurzschlüsse verursachen und sogar auf die Fluggäste hinunterregnen. Um das Problem zu untersuchen, nutzen Forscher Mikroskope ganz besonderer Art: Sie arbeiten mit Neutronenstrahlen als Teilchenkamera.

Von Björn Schwentker |
    "Wir sind jetzt im Eingang von der Experimentierhalle, hier stehen die Experimente direkt um den Reaktor herum."

    Mehrere Stockwerke hoch ist die große Experimentierhalle des Forschungsreaktors FRM II der TU München, und so groß wie mehrere Einfamilienhäuser. Trotzdem: Alles wirkt hier beengt, Physiker Burkhard Schillinger ist umgeben von einem Wirrwarr aus Gerüsten, Messinstrumenten, Computern und dicken Mauern.

    "Das ist Schwerbeton, spezieller Abschirmbeton. 1,80 Meter ungefähr."

    Dahinter produziert der Reaktor der Garchinger Anlage Neutronen. Durch luftleere Rohre fliegen sie in die Halle, zu elf eng gedrängten Messplätzen, an denen Forscher im Schichtbetrieb arbeiten. Denn die Garchinger Neutronen sind begehrt: Mit ihnen lässt sich in das Innere vom Materialien wie etwa Stahl blicken. Ähnlich wie mit Röntgenstrahlung, nur genauer. Burkhard Schillinger steuert auf seinen eigenen Messplatz zu.

    "Jetzt gehen wir hier einfach geradeaus weiter, dann stoßen Sie direkt drauf."

    Das Rad, an dem Burkhard Schilling kurbelt, bewegt sich ganz leicht, doch die Betontür, die er damit zur Seite schiebt, wiegt 30 Tonnen. Dahinter liegt eine kleine Kammer. In der Wand ist ein Loch. Aus dem kommen, wenn bei geschlossener Tür die Versuche laufen, die Neutronen. Mit ihnen schießt der Physiker, wenn man so will, auf Flugzeuge. Genauer gesagt: auf Flugzeugteile.

    "Kollegen von der TU Hamburg Harburg haben hier einen Versuchsstand aufgebaut, der ein gesamtes Stück Airbus Außenwand simuliert. Das heißt, wir haben einen Kasten, darin ein Stück Isoliermaterial. Und über das Isoliermaterial wird feuchte Luft geströmt, Und Sie können diese feuchte Luft so steuern, dass Sie einen gesamten Transatlantikflug simulieren. Mit allen Druckverhältnissen, Feuchtigkeitsverhältnissen und Temperaturverhältnissen."

    Während der achtstündigen Flugsimulation durchdringen die Neutronen die Flugzeugwand, und eine Spezialkamera macht davon Bilder. Ihre Besonderheit: Sie zeigen, wo sich im Inneren der Wand Wasser ansammelt. Es macht im Flieger große Probleme: Feuchte Luft aus der Passagierkabine dringt durch die Isolierung der Außenwand, und schlägt sich am kalten Metallrumpf als Flüssigkeit oder Eis nieder.

    "Wenn sich so 400, 500 Kilo Wasser ansammeln, dann entspricht das schon dem Gewicht von einigen Passagieren, das Sie jedes Mal unnütz mitbringen. Feuchte Isolierung isoliert natürlich viel schlechter, das heißt, das Problem verstärkt sich sogar."

    Am Boden des Fliegers können große Pfützen entstehen, die hin und her schwappen und den Flug instabil machen. Kondenswasser, das in der Wand bleibt, kann schimmeln oder elektrische Kurzschlüsse verursachen und sogar aus der Decke tropfen - dann sitzen die Passagiere sprichwörtlich im Regen. Um das zu verhindern, wollen die Forscher wissen, wo sich Flüssigkeit im Inneren der Flugzeugwand ansammelt: Im Isoliermaterial? Oder direkt an der Außenwand? Das zeigen die Neutronen-Bilder, von denen Burkhard Schillinger schon etliche aufgenommen und im Computer gespeichert hat.

    "Wir sehen hier einen Streifen von Feuchtigkeit, der sich ansammelt, wobei wir noch zu klären haben, ob die Feuchtigkeit sich direkt in Eis niederschlägt, oder ob sie den Umweg über flüssig nimmt."

    Nun wollen die Wissenschaftler testen: Hilft es, die Isolierung zu durchlöchern, damit das Wasser ablaufen kann? Und wie muss man Wände und Streben bauen, damit das Wasser sich nicht dort ansammelt? Die Kooperationspartner in Hamburg Harburg werden das mit neuen Modellen von Flugzeugteilen ausprobieren. Ob sie besser geworden sind, werden sie mit bloßem Auge nicht sehen können - sondern nur mit dem Garchinger Neutronenstrahl. Darum werden sie ihre Flugzeugteile eins nach dem anderen in die Enge der Garchinger Messkammern zwängen: Wände, Türen und am liebsten sogar ganze Deckenelemente.

    "Sofern wir die Geometrie hier unterbringen können natürlich. Es ist ein bisschen schwierig, dann eine Flugzeugdecke hier unterzubringen, oder die ganze Tür."