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"Neuzuwanderer sind deutlich besser qualifiziert" als Deutsche

"Das hat natürlich auch positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und Sozialstaat", sagt Herbert Brücker, Autor der aktuellen Studie über die Qualifikation von Neuzuwanderern. Besonders das Rentensystem profitiere.

Herbert Brücker im Gespräch mit Manfred Götzke | 24.05.2013
    Manfred Götzke: Erinnern Sie sich noch an Thilo Sarrazin, den ehemaligen Berliner Finanzsenator mit Hang zu leicht biologistischen Thesen, dem Deutschland ja mittlerweile eine Rassismusrüge der Vereinten Nationen zu verdanken hat? Der Mann hat ja in seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" den Niedergang unseres Landes durch zu viele zu niedrig qualifizierte Einwanderer an die Wand gemalt. Und jetzt zeigt eine Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung: So ziemlich das Gegenteil ist der Fall. Diejenigen, die heute nach Deutschland einwandern, sind in der Regel höher qualifiziert als der Durchschnittsdeutsche.

    - Autor dieser Studie ist Professor Herbert Brücker. Herr Brücker, widerlegen Ihre Studien also einen Thilo Sarrazin und einen Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky?

    Herbert Brücker: Teilweise – Thilo Sarrazin ganz klar, weil er das Bild gezeichnet hat, dass die Kinder von Zuwanderern schlecht integriert sind und dass dadurch der Sozialstaat leidet und die deutsche Bevölkerung an Qualifikation verliert. Und wir beobachten jetzt das Gegenteil. Die Neuzuwanderer sind deutlich besser qualifiziert als der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung. Und das hat natürlich auch positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und Sozialstaat. Man muss allerdings auch sagen, dass die große Mehrheit der Zuwanderer, die schon lange im Land leben, die wir während der Gastarbeiteranwerbung gezielt nach Deutschland geholt haben, dann sind ihre Familienangehörigen gekommen, die sind im Durchschnitt schlechter qualifiziert als die deutsche Bevölkerung. Und daher kommen erhebliche Teile der Integrationsprobleme, die wir in Deutschland auch haben, also insofern hat Herr Buschkowsky nicht völlig unrecht, wenn er über diese Probleme dieser Menschen redet.

    Götze: Also man muss ganz klar von den Neuzuwanderern sprechen. Wer ist denn heute der Prototyp eines Neuzuwanderers?

    Brücker: Ja, ich würde sagen, der Prototyp eines Neuzuwanderers hat einen Hochschulabschluss, meistens im Ausland erworben, in Spanien, in Italien. Er oder sie – wir haben inzwischen fast mehr Neuzuwanderinnen – arbeiten allerdings häufig nicht ausbildungsadäquat. Häufig arbeiten sie im Hotel- und Gaststättengewerbe, in Dienstleistungsbereichen, die nur mittlere Qualifikation oder manchmal auch geringere Qualifikationen erfordern.

    Götze: Das verwundert ja zum Teil, denn die Bundesregierung hat ja versucht, durch das Anerkennungsgesetz und auch dass neue Zuwanderungsgesetz genau das zu verhindern, dass der Arzt aus dem Ausland hier Taxi fährt. Das funktioniert also noch nicht?

    Brücker: Das funktioniert noch nicht oder noch nicht optimal, das ist also weltweit ein Problem, nicht nur in Deutschland. In Deutschland stellt es sich ein bisschen verschärft. Das liegt daran, dass wir ein völlig anderes Bildungs- und Ausbildungssystem haben als andere Länder. Wir haben die duale Berufsausbildung, dadurch haben wir Probleme, die Abschlüsse anzuerkennen. Da kann auch ein Gesetz nicht helfen. Sodass nur von einem sehr kleinen Teil gerade bei den mittleren Qualifikationen bei den Zuwanderern die Abschlüsse anerkannt werden können. Und dadurch ergeben sich diese Probleme. Aber dann muss man zudem auch sehen, auch wenn ein Abschluss formal anerkannt worden ist, heißt es noch nicht, dass er sich am Arbeitsmarkt bewährt. Das heißt, dass jemand dann auch einen entsprechenden Job bekommt.

    Götze: Da sind also noch Potenziale zu schöpfen. Sie haben vorhin die Italiener und die Spanier angesprochen – ist dieser Zuzug besonders gut qualifizierter Einwanderer, ist der schon eine Folge der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa, in den Krisenländern?

    Brücker: Ja, unsere Zahlen sind teilweise noch ein wenig veraltet, die stammen aus der Zeit vor dem richtig großen Boom. Aber da dürfte sich nicht viel geändert haben. Wir wissen schon in den Herkunftsländern, dass die Anteile der Hochschulabsolventen dort massiv gestiegen sind in den letzten zehn Jahren. Das spiegelt sich dann wiederum in der Einwanderungsstruktur. Und es gilt generell weltweit, dass qualifizierte Menschen viel mehr wandern als geringer qualifizierte Menschen, vor allen Dingen Hochschulabsolventen.

    Götze: Wie wird sich das alles auf den deutschen Arbeitsmarkt, auf die Renten, auf die Sozialsysteme auswirken? Können wir unsere demografischen Probleme durch diese Einwanderung möglicherweise lösen?

    Brücker: Wir können nicht alle Probleme dadurch lösen, aber es ergeben sich positive Effekte. Die Wirkungen auf den Arbeitsmarkt sind weitgehend neutral, die gesamtwirtschaftliche Arbeitslosenquote sinkt leicht. Nachteile haben nur Ausländer, die bereits im Lande leben, die Personen ohne Migrationshintergrund, die einheimische Bevölkerung profitiert. Die großen Gewinne ergeben sich aber für den Sozialstaat, vor allen Dingen durch die Rentenversicherungssysteme. Die Zuwanderer sind sehr jung. Junge Menschen bezahlen über den Lebenszyklus sehr viel mehr in die Rentenversicherungssysteme ein, als sie später mal herausbekommen werden. Und das gilt insbesondere für die Zuwanderer, weil die ja sehr jung sind. Und davon profitiert der Sozialstaat, vor allen Dingen die Rentenversicherungssysteme.

    Götze: Vielleicht können Sie noch mal kurz nennen, was die Hauptgründe für die Zuwanderung sind. Sie haben gesagt, Gesetze sind es nicht unbedingt. Ist es vielleicht der Bologna-Prozess, der da eine Rolle spielt?

    Brücker: Ja, für die qualifizierte Zuwanderung. Also, wir beobachten seit zehn Jahren einen sehr starken Anstieg in der Qualifikation, also der Anteil der Hochschulabsolventen hat sich verdoppelt von 20 auf über 40 Prozent. Und zeitgleich haben wir den Bologna-Prozess gehabt, also bei mir im Seminar sitzen inzwischen 25, 30 Prozent Erasmus-Studenten an der Universität. Und durch die Angleichung der Bildungssysteme, und dass man einen Teil der Module in diesem Bildungssystem auch im Ausland absolvieren kann, ist es halt sehr, sehr attraktiv, auch mal im Ausland zu studieren. Dadurch entsteht Mobilität, und ein Teil dieser Menschen bleibt dann später hier oder auch ein Teil der Deutschen in anderen Ländern.

    Götze: Das heißt, Deutschland hat, was Strukturen, was Gesetze angeht, so ziemlich alles richtig gemacht?

    Brücker: Nein, das ist ein Prozess, der bezieht sich auf die Europäische Union. Und dort geschieht gegenwärtig drei Viertel der Zuwanderung. Künftig, wenn die Eurokrise vorbei ist, wenn die wirtschaftlichen Bedingungen sich in anderen Ländern erholen werden, wird diese Zuwanderung stark zurückgehen. Wir brauchen dann Menschen aus anderen Regionen der Welt, aus sogenannten Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union. Und da gibt es noch viel zu tun, da sind die Wanderungshürden noch relativ groß. Wir haben dort deswegen auch nur eine sehr kleine Zuwanderung. Dort braucht es neben gesetzlichen Veränderungen gezielte Anwerbestrategien. Da muss noch viel gemacht werden.

    Götze: Deutschland profitiert von der Einwanderung, vor allem aus Europa, weil die Neueinwanderer besser qualifiziert sind als die Durchschnittsdeutschen, sagt Professor Herbert Brücker vom IAB. Vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.