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New Orleans - das Trauma nach Katrina

Erst kam der Orkan. Dann kam das Wasser. Und anschließend der Untergang einer ganzen Stadt. Auch ein halbes Jahr nach Katrina und der Hochwasserkatastrophe ist die Zukunft von New Orleans immer noch ungewiss - denn das Versprechen des amerikanischen Präsidenten, die Stadt wieder aufzubauen, höhere Dämme zu bauen und New Orleans für die Zukunft zu rüsten, hat sich nicht erfüllt. Stattdessen ist New Orleans eine Stadt, die immer noch traumatisiert ist. Siegfried Buschschlüter berichtet.

    Pableaux Johnson ist Journalist, lebt seit vielen Jahren in New Orleans, kennt sich aus in seiner Stadt. Fast zwei Stunden lang fährt er uns durch die von Katrina betroffenen Gebiete, und nun geht es in die am schlimmsten heimgesuchten Gegenden.

    Der Lower Ninth Ward, ein zu 98 Prozent von Schwarzen bewohnter Stadtteil. Ein Bild der Verwüstung, auch jetzt noch, sieben Monate nach dem Hurricane. Von den Häusern stehen nur noch die Grundmauern, und hier und da Autowracks, von den Fluten des über die Dämme getretenen Kanals in seltsamer Formation aufgebockt.

    Die Wracks, die Trümmer, der Schutt und der Müll, was sich nach dem Hurricane angesammelt hatte, sagt Pableaux, ist absolut unfassbar.

    Erschütternd, tragisch, traurig, so sieht Chris Rose, Journalist und Autor des Buches "Ein Toter auf dem Dachboden" Hurricane Katrina und die Folgen. Die Geschichte, über die er seit sieben Monaten regelmäßig in der Zeitung "Times Picauyune" schreibt, habe sein Leben völlig verändert.

    Ein Großteil der Trümmer ist inzwischen weggeschafft, viele Häuser sind ausgeräumt, oft steht nur noch die Fassade. Und nun warten sie auf die Heimkehrer oder den Abriss.
    Fast überall hat der Wasserstand seine Spuren hinterlassen, wie eine Visitenkarte. Nicht der höchste Pegel ist auf den Hauswänden markiert, sondern der Stand, auf dem das Wasser blieb, bevor es nach Tagen, in einigen Bezirken nach Wochen zurückging. Kaum ein Haus, das verschont blieb. Kaum ein Ort, der sicher war.

    So erschütternd auch sieben Monate nach der Katastrophe die Bilder von den Verwüstungen sind, wichtig ist, sagt Pableaux Johnson, was man nicht sieht.

    Hunderte von Eichen, die die Straßen, die Stadt und ihre Bewohner vor dem grellen Licht schützten, Schatten im heiß-schwuelen Sommer spendeten, Bäume, sechshundert Jahre alt und mehr, von Katrina gefällt, ganze Alleen gelichtet, in braune Blätter und Äste verwandelt, was Jahrhunderte immergrün war.

    Unvergessen auch, was man vor sieben Monaten erlebt und nicht fassen konnte.

    Jetzt fahren wir durch ein Gebiet, das vor Monaten einem See glich. Mitten drin ein Krankenhaus, das Baptist Memorial Hospital, Schauplatz eines verzweifelten Überlebenskampfes von Aerzten, Krankenschwestern und Pflegepersonal. Und rund 2.000 Patienten. Geschichten aus der Hölle, nennt sie Pableaux.

    Mitten drin als freiwilliger Helfer Bill Quigley, Professor für Jura an der Loyola Universitaet in New Orleans.

    Seine Frau ist Krankenschwester. Für Krebskranke. Es war so üblich, erzählt er, dass in Katastrophenfällen das Personal gebeten wurde, das Krankenhaus nicht zu verlassen. Um sich keine Sorgen um ihre Familien machen zu müssen, konnten die Bediensteten ihre Angehörigen zu sich ins Krankenhaus bitten.
    Und so fand sich auch Bill Quigley an der Seite seiner Frau wieder, erlebte mit, wie der Strom ausfiel, dann der Notstromgenerator, wie die Wassermassen stiegen, bis drei Meter hoch, wie die Patienten - zuerst die Babies, die Kleinkinder und die Schwerkranken - auf das Dach transportiert wurden, wo sie mit Hubschraubern der Küstenwache in Sicherheit gebracht wurden.

    Die Babies, darunter Frühgeburten, wurden gerettet, doch von ihren Müttern getrennt. Niemand wusste genau, wohin sie gebracht wurden. Für die, die zurückblieben, gab es kein Trinkwasser mehr und keine Medikamente, auch für Krebskranke nicht, mit starken Schmerzen.

    Bill Quigley und seine Frau konnten sich schließlich in einem Boot retten. Verbitterung spricht aus ihm, als er aufzählt, wer in jenen chaotischen Tagen, als eine ganze Stadt zu versinken drohte, zurückblieb: "Die Ärmsten, die Schwerstkranken, die Ältesten, die Jüngsten und die Behinderten".

    Mehr als 25 Jahre lang hat Bill Quigley als Anwalt für gemeinnützige Organisationen gearbeitet, hat sich gegen die Todesstrafe engagiert, für Bildungsreform, Freiheitsrechte und gewaltfreien Widerstand.

    "Ich war fünfzehnmal in Haiti", sagt er, "ich war im Irak, bin beschossen worden und habe mich in gefährlichen Situationen befunden."

    Aber New Orleans Ende August 2005 habe eine ungewöhnliche Stresssituation dargestellt, weil sich die Menschen verlassen vorkamen und keinen Ausweg sahen.

    Das Krankenhaus ist nach wie vor geschlossen, wird vielleicht abgerissen. Seine Frau hat ihren Arbeitsplatz verloren und viele Freunde und Bekannte.

    So hart getroffen hat es Julie Gornay nicht. Sie wurde rechtzeitig evakuiert, wusste aber wochenlang nicht, ob sie je zurückkehren werde.

    Julie hat lange in Deutschland gelebt, war Englischlehrerin und arbeitet seit ihrer Rückkehr nach New Orleans für ein Reisebüro. Abends geht sie zur Schule und lässt sich als Krankenschwester ausbilden. Die Erinnerungen an Katrina seien traumatisch, sagt sie: "Wir trinken mehr Alkohol."

    Nüchtern und anklagend zugleich ist die Bilanz Bill Quigleys. Die staatlichen Schulen seien geschlossen, Tausende von Lehrern und städtischen Bediensteten seien entlassen worden, Hunderttausende von Häusern in unbewohnbarem Zustand. "So langsam beginnt uns bewusst zu werden", sagt er, "dass New Orleans, wie wir es kannten, nicht wiederkommen wird und wir einen wesentlichen Teil unserer Stadt verlieren werden."

    Chris Rose sieht es ähnlich. Viele verständen nicht das Ausmaß der Katastrophe, dass das Leben so vieler Menschen auf den Kopf gestellt wurde.

    Der Wiederaufbau werde lange dauern, sagt er, und viel Geduld erfordern.