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New York
Meditation über eine dem Untergang geweihte Gesellschaft

William Faulkners "The Sound and the Fury" wird als Theaterstück am Public Theater von New York gezeigt. Es ist eine anspruchsvolle Meditation über eine Gesellschaft, die dem Untergang geweiht ist. Dabei erweist sich für den Roman das Theater als kongeniales Medium.

Von Andreas Robertz | 20.05.2015
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    William Faulkner, amerikanischer Schriftsteller (picture alliance / dpa / DB)
    Romanadaptionen am Theater gehören mittlerweile zum festen Repertoire. Der Umgang mit ursprünglich theaterfremden Texten bietet einen enormen Freiraum für Regisseure und Ensembles. Durch ihre Übersetzungsleistung auf die Bühne werden sie selber zu Autoren. Seit das amerikanische Theaterensemble Elevator Repair Service 2010 in einem achtstündigen Marathon F. Scott Fitzgeralds Roman "The Great Gatsby" auf die Bühne des Public Theaters brachte, gilt es als Spezialist für literarische Adaptionen. Es folgten "The Select" nach dem Roman "The Sun also Rises" von Ernest Hemingway und William Faulkners "The Sound and the Fury", das nun am Public Theater zu sehen ist. Der Roman, Faulkners vierter, erschien 1929 und handelt vom langsamen Verfall einer einst wohlhabenden Aristokratenfamilie in den amerikanischen Südstaaten zu Beginn des letzten Jahrhunderts.
    Erinnerungen dissoziativ erzählt
    In Erinnerungen vermischen sich oft Zeit und Ort, sie sind assoziativ und willkürlich. Aber in Benjys Fall sind diese Erinnerungen auch noch dissoziativ erzählt, das heißt, die erinnerte Wahrnehmung ist vom Inhalt der Erinnerungen getrennt. Benjy, das ist der stumme, geistig zurückgebliebene Sohn der Compson Familie und der Protagonist, aus dessen Perspektive das erste Kapitel aus William Faulkners Roman "The Sound and the Fury" erzählt wird. Dieses erste Kapitel wurde mit seiner Technik des inneren Monologs zu einem Meilenstein des modernen Romans, ist aber auch einer der kompliziertesten und unzugänglichsten Texte der amerikanischen Literatur, der oft mit Teilen von James Joyce' "Ulysses" verglichen wurde. Umso schwieriger scheint es, ein solch dichtes Geflecht aus Erinnerungen und Eindrücken für die Bühne zu übersetzen. Doch gerade dies reizte das experimentelle Ensemble, erklärt dessen Gründer und Regisseur des Abends Jon Collins:
    "Das Publikum kommt um acht und geht um zehn. Da ist eine Spannung zwischen Faulkners nicht-linearer Erzählstruktur und der linearen Zeit, die man im Theater verbringt."
    Und das Theater erweist sich als kongeniales Medium für den Roman. Die Bühne ist der Salon einer reichen Südstaatenvilla, deren Verfall an den abgewetzten Teppichen und Sofas zu erkennen ist. 14 Spieler verkörpern Benjy, seine geliebte Schwester Caddy, seine Brüder Jason und Quentin, die Eltern, die schwarze Köchin Dilsey und deren drei Kinder, die auf Benjy aufpassen müssen. Die Schauspieler wechseln ständig die Rollen, Frauen spielen Männer und Schwarze Weiße. Dialoge mischen sich mit gelesenen oder projizierten Passagen aus dem Buch und jedem gesprochenen Satz wird ein "sagte er", oder "sagte sie" angehängt. Ein Soundtrack aus alten Dixieland-Melodien, Geräuschen herumrennender Kinder, dem Schlagen eines Golfballs und dem Weinen und Kreischen von Benjy - seiner einzigen Kommunikationsmöglichkeit - liegt zeitversetzt unter dem Geschehen, als hätten sich Bild- und Tonspur eines Films verschoben. Hin- und wieder bricht ein wilder absurder Tanz mit seltsam abgebrochenen Gesten aus, als wäre die Erinnerung daran nur ungenau, doch die Energie noch sehr präsent.
    Die Vorgänge auf der Bühne bestehen hauptsächlich darin, Benjy zu beruhigen, umzuziehen, nach Draußen zu lassen und zu füttern. Irgendwo in einer Ecke trinkt der Vater, und ein schwarzes Hausmädchen versucht, die lärmenden Kinder zur Ordnung zu bringen. Die einzige Konstante in dieser Kakophonie von Dialogen und Erinnerungen ist die kranke Mutter, die alle 30 Minuten in den Salon kommt und sich über den Lärm beschwert. Dann laufen die Kinder in ihre Arme und liegen in ihrem Schoss - die einzigen Momente von Frieden. Besonders stark ist die Erinnerung an die Schwester Caddy, die bei einer Beerdigung auf einen Baum steigt, um die Erwachsenen im Inneren des Hauses zu beobachten. Benjy assoziiert ihre dreckige Unterhose und den Geruch des Baumes mit dieser Szene. Der böse Bruder Jason hingegen hat immer die schwarzen Angestellten mit Nigger beschimpft und durchs Haus gejagt.
    "Der Hintergrund der Geschichte ist die Zeit nach dem Bürgerkrieg als alles noch von Rassismus korrumpiert war, aber erzählt durch die Perspektive äußerster Unschuld."
    Muster und Einzelheiten
    Wer mit William Faulkners Roman nicht vertraut ist, dem hilft auch das im Programheft abgedruckte und auf die Bühnenwand projizierte "Who is Who" nichts. Er ist heillos im Labyrinth der Erinnerungen und einzelnen Erzählstränge verloren. Dies mag allerdings auch ein Vorteil sein, denn je weniger man zu verstehen versucht, umso mehr gibt man sich dem Abend einfach hin. Und entdeckt wie bei einem expressionistischen Gemälde, das man lang genug angesehen hat, Muster und Einzelheiten, die plötzlich so klar sind, als wäre man selbst in Benjys Kopf. Dann leuchtet der Abend auf wie bei einem Wetterleuchten, das Gefühl für Zeit ist aufgehoben und man kann kaum glauben, wohin die zweieinhalb Stunden, die der Abend währt, gegangen sind. "The Sound and the Fury" ist eine anspruchsvolle Meditation über eine Gesellschaft, die dem Untergang geweiht ist, ein spannendes Theaterexperiment über das Wesen der Erinnerung und nicht zuletzt die Hommage an einen großen Roman.