"Die Idee ist, einen Qualitätsmarkt zu etablieren – Wir haben das Marktsegment, was wir dieses Jahr füllen werden, das NX.one, ein Qualitätssegment für IPOs und Kapitalerhöhungen. Dieses Segment spiegelt eigentlich den Geburtsgedanken des Mittel- und Osteuropamarktes wieder. Das ist auch der Gedanke, den wir hier in Frankfurt hatten, als wir darüber nachgedacht haben, wir wollen was entsprechendes zu dem Neuen Markt, aber für Mittel- und Osteuropa machen."
Doch Frankfurt am Main ist weit weit weg vom Geschehen in Osteuropa und so wurde Wien ausgewählt – eine kleine Börse, die sich mit diesem Projekt als internationales Handelszentrum profilieren wollte. Hierzu Michael Radtke:
"Ich denke das hat höchste Priorität für die Wiener. Bei der Deutschen Börse AG laufen auch viele große Projekte, aber trotzdem ist die Newex kein Projekt, was unter ferner Liefen läuft. Das Thema Osteuropamarkt ist das, wo man den zusätzlichen Gewinn schöpfen kann, das ist das Interessante, die anderen Märkte sind weitgehend beackert und das ist das, wo es in Zukunft sehr interessant wird."
An der Newex haben drei Jahre lang bis zu 60 Mitarbeiter aus beiden Börsenhäusern gemeinsam getüftelt. Es wurden mehrere Roadshows im In- und Ausland, West- und Osteuropa veranstaltet, eine Art moderner Wanderzirkus zu Marketingszwecken: Viele Gespräche führten die neuen Partner mit osteuropäischen Unternehmen und Börsen. Am 3. November des vergangenen Jahres war es dann endlich so weit: Die Newex startete den Handel mit über einhundert überwiegend russischen Titeln auf der Liste. Im ersten Handelsmonat betrug der Gesamtumsatz der neuen Börse bescheidene 30 Millionen Euro, doch was unter guten Vorzeichen und hoffnungsvoll begann, kippte schließlich ab: Die Anleger verloren das Interesse, bereits im Dezember brachen die Umsätze völlig weg. Es gab Tage ohne jedes Handelsgeschäft. Damit fehlt der Newex bis jetzt das Wichtigste einer neuen Börse - die Liquidität. Experten halten die Wiener Osteuropabörse zunehmen für einen Flop. Doch Newex-Vorstand Michael Radtke bleibt Optimist:
"Es ist kein Flop, weil die Newex mit dem IPO-Markt und dem Qualitätsmarkt, den wir uns vornehmen, der erst kommen wird, überhaupt nicht gestartet ist. Es gibt ihn theoretisch, man könnte reingehen, aber es ist nicht gestartet. Alles, was wir jetzt haben, ist eigentlich Training, um das Fein-Tuning zu machen, wenn wir unseren IPO-Markt starten, wenn das dieses Jahr kommen wird. Wir haben bereits einen existierenden sonstigen Handel und vom sonstigen Handel macht jeder den Erfolg des IPO-Markts abhängig. Das ist das einzige Problem, das wir haben."
Die IPOs, auf neudeutsch 'Initial Public Offer' also neue Börsengänge, sollen das erste von drei Segmenten der neuen Börse füllen, später auch einmal Kapitalerhöhungen – dieses erste Segment der Newex heißt NX.one. Bisher blieb hier - wie dargestellt - das Geschäft jedoch aus. Als zweites Qualitätssegment ist das NX.Plus gedacht, für große Titel mit hoher Kapitalisierung und für doppelt gelistete Aktien, also zum Beispiel in Wien, Warschau oder Moskau. Bis heute sind gerade mal acht Unternehmen im Bereich NX.Plus vertreten. Die restlichen einhundert Notierungen, hauptsächlich aus Russland, werden im Freiverkehr angeboten – doch auch da ist der Wiener Handel ins Stocken geraten. Die Konkurrenz im eigenen Hause macht das Geschäft an der Newex noch schwieriger. Alfred Parmentier vom Bankhaus Trinkaus & Burkhardt:
"Das ist auch teilweise eine Arbitragesituation zwischen den regionalen Börsen in Deutschland und der Newex. Wenn die gleichen Papiere an den beiden verschiedenen Börsen gehandelt werden und in Deutschland teilweise billiger angeboten werden, weil mehr Stücke hier an den Markt gelangen, mehr Verkäufer am Markt sind, dann kann es durchaus passieren, dass die Kurse unter denen der Newex liegen und viele Marktteilnehmer beide Preissegmente auf ihren Monitoren verfolgen und schauen, dass man die Stücke, die hier an den Markt gegeben werden, billig bekommt, und dann die Stücke, wenn man sie nicht im Buch für längere Zeit behalten möchte, dann an der Newex zum Verkauf wieder anbietet."
Die Handelsteilnehmer der Newex beklagen auch die umständliche Gesetzgebung in Österreich, z.B. hohe Straf- und Verzugszinsen, die schon wenige Tage nach einer Transaktion berechnet werden:
"Die Österreicher, bzw. die Newex ist ziemlich rigoros bei der Auslegung dieser Regularien und macht ohne große Ankündigung von dem Exekutionsrecht Gebrauch. So dass der Kunde, wenn er den Zeitpunkt, wo er normalerweise das Geschäft regulieren soll, noch nicht wahrgenommen hat, da geht die Newex hin und macht eine Inquisition, fast wie im Mittelalter, dass man das Geschäft zwangsexekutiert. Das verschreckt viele Anleger und macht den Handelsplatz Newex nicht viel attraktiver. Also man sollte schon, wie es im internationalen Handel üblich ist, von der Möglichkeit Gebrauch machen, es flexibler auszuleben. Das ist eigentlich ein Unding."
Mittlerweile hat die Newex den Abrechnungstermin von drei auf fünf Tage verlängert, weitere Liberalisierungen sollen folgen. Der Newex Vorstand Michael Radtke:
"Das wird der Gesetzgeber dieses Jahr ändern und abschaffen. Die Strafzinsen wird es in Österreich nicht geben, das betrifft nicht nur Newex sondern auch die Wiener Börse. Da konnten wir als Börse nichts machen. Wir konnten bloß den Gesetzgeber überzeugen, dass es den Finanzplatz Wien in Zukunft international absolut hemmen wird. Und das wird dieses Jahr geändert."
Dass die Newex nicht aus den Startlöchern kommt, liegt aber nicht nur an Formalitäten. Auch nicht an der aktuell schlechten Börsenkonjunktur. Schließlich sind nicht nur die erwarteten Anleger ausgeblieben, sondern auch der erhoffte Ansturm der osteuropäischen Unternehmen. Etwa die Hälfte der notierten Titel stammen aus der russischen Rohstoffbranche. So z.B. der Ölriese Lukoil, der als "Ladenhüter" an der Newex gilt. Für viele Firmen aus Russland bedeutet die Notierung in Wien einen Prestigegewinn. Das ist bei Firmen aus den EU-Beitritts- Kandidatenländern anders. Aus etwa Polen – dem Land mit dem bestentwickelten Kapitalmarkt in der Region – werden nur drei Titel an der Newex notiert. Für den Vorstand der Warschauer Börse Wieslaw Rozlucki keine Überraschung:
"Was wäre das für uns für ein Geschäft, wenn unsere besten Titel in Wien notiert wären, wenn sie doch schon seit Jahren in London und New York, sowie an deutschen Börsen gehandelt werden. Unsere Warschauer Börse ist zwar klein, aber vor Wien braucht sie sich nicht zu verstecken. Wir können mehr Titel, höhere Kapitalisierung und größeren Umsatz als die gesamte Wiener Börse vorweisen. Als Handelsplatz sind wir für Anleger mindestens genauso glaubwürdig und im Gegenteil zu Wien befinden wir uns im starken Wachstum. Ganz nüchtern gesehen: Durch den Börsengang unserer Unternehmen an die Newex würden sie keine Vorteile gewinnen: Weder Prestige, noch großes Kapital. Dafür aber einen klaren Nachteil – nämlich die weitere Umsatz- und Handelsfragmentarisierung."
Das erklärt auch den Grund, weshalb die meisten osteuropäischen Börsen kein Interesse an einer Kooperation mit der Newex zeigen. Außerdem sei das Angebot aus Wien nicht ganz klar gewesen, begründen viele. Dazu der Vorstand Michael Radtke:
"Es ist die Frage, was man unter konkreten Vorschlägen meint. Wir haben gesagt, wir sind offen in jeder Hinsicht, können uns alles vorstellen, aber es gibt eine Palette, vielleicht zum Teil solche, die wir gar nicht bedacht haben. Hier besteht die Möglichkeit einer Beteiligung direkt an der Newex Shareholder, da gibt es viele Möglichkeiten, wie man sich beteiligen könnte. Man muss sich überlegen, welche Kooperation man eingeht, wir sind offen für jede Vorstellung, ja.
Trotz dieser kooperativen Haltung wird die Wiener Initiative in Osteuropa als reine Konkurrenz angesehen. Auch die Versicherung des Vorstands Michael Radtke hilft dabei nicht viel:
"Die Deutsche und die Wiener Börse wollen keinen Markt aufbauen, als westlichen Konkurrenz zu den Heimatmärkten vor Ort. Im Gegenteil, wir haben einen Osteuropamarkt und bestimmte Werte in Zukunft, die nochmals herausgehoben, und dem westlichen Investor präsentiert werden sollen."
Genau das glaubt im Osten keiner. Die Newex will nur die besten Titel aus der Region anbieten und den Gewinn selber abschöpfen – das ist die allgemeine Ansicht. Diese Vermutung hat letztes Jahr sogar Gespräche über eventuelle Börsenkonsolidierungen in den Kandidatenländern angekurbelt. Schnell kam man aber zu einem pragmatischen Ergebnis. Das Vorstandsmitglied der Warschauer Börse Piotr Szeliga:
"Wenig plus wenig ergibt wenig und kostet viel. Insofern fehlt die Motivation für den großen Aufwand. Das Wichtigste im Moment ist für unsere noch kleinen Märkte die Angleichung mit dem europäischen Markt, auch damit die Unterschiede im Osten möglichst bald wegfallen. Eine der Möglichkeit, über die wir jetzt nachdenken, wäre z. B. ein gemeinsames Handelssystem"
Stabil funktionierende Börsen sind für die ehemaligen Ostblockländer viel wichtiger als es in Westeuropa bewusst ist. Es geht auch dort ums Geld, aber nicht nur darum. Jede nationale Börse trägt heute dazu bei, dass in ihrem Land eine Aktienkultur überhaupt erst entstehen kann. - Das war nicht mal in Deutschland einfach, geschweige denn in Ländern, wo die Bildung des Privatvermögens fünf Jahrzehnte lang bekämpft wurde. Da es sich um kleine und erst entstehende Märkte handelt, ist die Existenz der osteuropäischen Börsen auch ohne die Newex schwer genug. Nur drei von ihnen – die in Warschau, Budapest und in Lubljana – sind schon heute auf dem europäischen Standard und Mitglieder in den wichtigsten internationalen Börsenorganisationen.
Der größte und modernste Handelsplatz in der Region ist die Warschauer Börse. Über 40 Prozent aller Titel gehören dort dem Technologie-Sektor an und sorgen traditionell für die höchsten Gewinne. Im Crashjahr 2000 machte der polnische Neuer Markt immer noch ein Plus von satten 46 Prozent. Auffallend ist auch der hohe Anteil der Termingeschäfte an der jungen Börse. Obwohl der Terminmarkt dort erst seit zwei Jahren läuft, ist er schon heute vergleichbar mit mittleren europäischen Börsen, etwa in Amsterdam. Letztes Jahr führte die Warschauer Börse auch ein neues elektronisches Handelssystem ein. Dadurch wird die Börse auch für die westlichen Investoren attraktiver.
Der Anteil von ausländischen Anlegern auf dem Warschauer Parkett widerlegt die These der Newex-Initiatoren, dass westliche Marktteilnehmer nicht direkt in Osteuropa handeln wollten. Schon heute schafft ausländisches Kapital gut 40 Prozent des Umsatzes in Warschau und 70 Prozent in Budapest. Darunter sind auch große deutsche Fondsgesellschaften. Im Freiverkehr in Deutschland dagegen werden mit polnischen Aktien relativ wenige Umsätze gemacht. Der Vorstand der Warschauer Börse Wieslaw Rozlucki:
"Wenn jemand oft mit polnischen Aktien handelt, dann ist er an einer direkten Marktteilnahme in Warschau interessiert. Das bestätigen auch die Zahlen aus Frankfurt oder Berlin, wo im Vergleich mit London sehr wenig Aktien aus den Kandidatenländern gehandelt werden. Ich habe den Eindruck, dass die deutschen Anleger, die sich ernsthaft mit den Emerging Markets in Osteuropa beschäftigen, schon längst direkt bei uns einkaufen. Und die Nische von Gelegenheitsanlegern, die die Newex bedienen will, ist möglicherweise noch viel zu klein, um daraus ein gutes Geschäft machen zu können"
Ein gutes Geschäft steht dagegen in Warschau auch dieses Jahr bevor. Aufgrund der anlaufenden Rentenreform sollen sich fast zehn Millionen Arbeitnehmer an Pensions- und Aktienfonds beteiligen. Das versetzt die Investoren schon heute in Hoch -Stimmung. Norbert Czypionka, Vorstand der Fondsgesellschaft DWS Polska und Geschäftsführer der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer:
"Hier sehen wir also ein enormes Potenzial, dass es zu einer Vervielfachung des Marktvolumens in den nächsten Jahren kommen wird. Um eine bessere Performance zu bekommen, wird man nicht um die Börse rumkommen. Dann werden hier erhebliche Mittel auf der Warschauer Börse investiert werden, was durch die höhere Nachfrage nach Aktien den Kurs nach oben bewegen wird."
Wer solche Perspektiven auf dem Heimatmarkt hat, der geht nicht nach Wien. Für die meisten osteuropäischen Unternehmen bleibt der Markt in London die erste Adresse im Ausland. Dort ist der Umsatz mit polnischen Aktien fast 30 mal höher, als etwa in Frankfurt. Nicht mehr lange – meint der Newex-Vorstand Michael Radtke. Mit den ersten Börsengängen, die er dieses Jahr an der Newex erwartet, soll in Wien ein Qualitätsmarkt entstehen, der direkt mit London konkurrieren will. Hierzu Radtke:
"Im Moment gehen Sie nach London, weil nichts da ist. Aber warten Sie mal ab, wenn Newex läuft, wenn das Qualitätssegment Newex sich füllt, wird es anders aussehen und die Blicke werden von London, von einem Markt, der mit Freiverkehr vergleichbar ist, auf ein Qualitätsmarkt rübergehen. Natürlich werden auch in Zukunft noch in London die Werte gehandelt werden, aber es ist ein anderer Markt."
Dennoch bleibt derzeit an der Newex der Freiverkehr mit den doppelgelisteten Titeln der einzig messbare Markt. Und der läuft schlecht. Jetzt scheinen die Initiatoren in Wien und Frankfurt über die Rettungsmaßnahmen nachzudenken. Eines gilt als sicher: Der Handelsplatz Wien ist auch mit Osteuropa verglichen kein leuchtender Stern. Im Moment scheinen sich Veränderungen im Bereich Freiverkehr anzubahnen. Zeit dafür wird es: Obwohl auch in Wien mit Xetra gehandelt wird, sammelte die Newex nur 20 Handelsteilnehmer. In Frankfurt wären es auf Anhieb 430. Da liegt es auf der Hand, beide Märkte zu einem werden zu lassen. Der Vorstand Michael Radtke:
"Ich gehe davon aus, dass wir in kürzester Zeit auch einen Freiverkehr an der Newex haben, wo die Umsätze, auf die die Marktteilnehmer warten, darauf stehen. Wobei ich nicht sagen will, in welchem Land der läuft. Wir sehen Newex als eine internationale Börse, es gibt da verschiedene Überlegungen. Das heißt ja nicht, dass ein Freiverkehr in Wien laufen muss, es könnte auch in Frankfurt laufen. Jetzt ist das einzige Thema, dass wir im Moment in der Gruppe Deutsche Börse zwei mal den sonstigen Handel haben, einmal in Frankfurt und dann noch in Wien und das werden wir jetzt abstellen."
Doch noch sind das nicht mehr als naheliegende Pläne, um den Handel mit osteuropäischen Aktien endlich ans Laufen zu bringen. Und eins weiß der Vorstand ganz sicher: Das Osteuropageschäft ist zwar erst im Kommen, aber gerade deswegen ist es leicht zu unterschätzen. Michael Radtke:
"Ich liebe Mittel- und Osteuropa und ich liebe Russland. Und wenn jetzt jemand zu mir kommt, so wie kürzlich ein Journalist und sagt, russische Unternehmen sind nur was für Spekulanten, dann sage ich: Mein Lieber Herr, was hätten sie geschrieben, wenn es sich bei Holzmann um ein russisches Unternehmen gehandelt hätte, da hätte die Schlagzeile gelautet, typisch Russland. Das zu dem Thema."
Nun bleibt aber doch eine Frage offen: Wie soll man jetzt bei der Newex titeln? Ein Journalist aus Österreich meinte kürzlich: Newex – noch new und schon fast ex...
Doch Frankfurt am Main ist weit weit weg vom Geschehen in Osteuropa und so wurde Wien ausgewählt – eine kleine Börse, die sich mit diesem Projekt als internationales Handelszentrum profilieren wollte. Hierzu Michael Radtke:
"Ich denke das hat höchste Priorität für die Wiener. Bei der Deutschen Börse AG laufen auch viele große Projekte, aber trotzdem ist die Newex kein Projekt, was unter ferner Liefen läuft. Das Thema Osteuropamarkt ist das, wo man den zusätzlichen Gewinn schöpfen kann, das ist das Interessante, die anderen Märkte sind weitgehend beackert und das ist das, wo es in Zukunft sehr interessant wird."
An der Newex haben drei Jahre lang bis zu 60 Mitarbeiter aus beiden Börsenhäusern gemeinsam getüftelt. Es wurden mehrere Roadshows im In- und Ausland, West- und Osteuropa veranstaltet, eine Art moderner Wanderzirkus zu Marketingszwecken: Viele Gespräche führten die neuen Partner mit osteuropäischen Unternehmen und Börsen. Am 3. November des vergangenen Jahres war es dann endlich so weit: Die Newex startete den Handel mit über einhundert überwiegend russischen Titeln auf der Liste. Im ersten Handelsmonat betrug der Gesamtumsatz der neuen Börse bescheidene 30 Millionen Euro, doch was unter guten Vorzeichen und hoffnungsvoll begann, kippte schließlich ab: Die Anleger verloren das Interesse, bereits im Dezember brachen die Umsätze völlig weg. Es gab Tage ohne jedes Handelsgeschäft. Damit fehlt der Newex bis jetzt das Wichtigste einer neuen Börse - die Liquidität. Experten halten die Wiener Osteuropabörse zunehmen für einen Flop. Doch Newex-Vorstand Michael Radtke bleibt Optimist:
"Es ist kein Flop, weil die Newex mit dem IPO-Markt und dem Qualitätsmarkt, den wir uns vornehmen, der erst kommen wird, überhaupt nicht gestartet ist. Es gibt ihn theoretisch, man könnte reingehen, aber es ist nicht gestartet. Alles, was wir jetzt haben, ist eigentlich Training, um das Fein-Tuning zu machen, wenn wir unseren IPO-Markt starten, wenn das dieses Jahr kommen wird. Wir haben bereits einen existierenden sonstigen Handel und vom sonstigen Handel macht jeder den Erfolg des IPO-Markts abhängig. Das ist das einzige Problem, das wir haben."
Die IPOs, auf neudeutsch 'Initial Public Offer' also neue Börsengänge, sollen das erste von drei Segmenten der neuen Börse füllen, später auch einmal Kapitalerhöhungen – dieses erste Segment der Newex heißt NX.one. Bisher blieb hier - wie dargestellt - das Geschäft jedoch aus. Als zweites Qualitätssegment ist das NX.Plus gedacht, für große Titel mit hoher Kapitalisierung und für doppelt gelistete Aktien, also zum Beispiel in Wien, Warschau oder Moskau. Bis heute sind gerade mal acht Unternehmen im Bereich NX.Plus vertreten. Die restlichen einhundert Notierungen, hauptsächlich aus Russland, werden im Freiverkehr angeboten – doch auch da ist der Wiener Handel ins Stocken geraten. Die Konkurrenz im eigenen Hause macht das Geschäft an der Newex noch schwieriger. Alfred Parmentier vom Bankhaus Trinkaus & Burkhardt:
"Das ist auch teilweise eine Arbitragesituation zwischen den regionalen Börsen in Deutschland und der Newex. Wenn die gleichen Papiere an den beiden verschiedenen Börsen gehandelt werden und in Deutschland teilweise billiger angeboten werden, weil mehr Stücke hier an den Markt gelangen, mehr Verkäufer am Markt sind, dann kann es durchaus passieren, dass die Kurse unter denen der Newex liegen und viele Marktteilnehmer beide Preissegmente auf ihren Monitoren verfolgen und schauen, dass man die Stücke, die hier an den Markt gegeben werden, billig bekommt, und dann die Stücke, wenn man sie nicht im Buch für längere Zeit behalten möchte, dann an der Newex zum Verkauf wieder anbietet."
Die Handelsteilnehmer der Newex beklagen auch die umständliche Gesetzgebung in Österreich, z.B. hohe Straf- und Verzugszinsen, die schon wenige Tage nach einer Transaktion berechnet werden:
"Die Österreicher, bzw. die Newex ist ziemlich rigoros bei der Auslegung dieser Regularien und macht ohne große Ankündigung von dem Exekutionsrecht Gebrauch. So dass der Kunde, wenn er den Zeitpunkt, wo er normalerweise das Geschäft regulieren soll, noch nicht wahrgenommen hat, da geht die Newex hin und macht eine Inquisition, fast wie im Mittelalter, dass man das Geschäft zwangsexekutiert. Das verschreckt viele Anleger und macht den Handelsplatz Newex nicht viel attraktiver. Also man sollte schon, wie es im internationalen Handel üblich ist, von der Möglichkeit Gebrauch machen, es flexibler auszuleben. Das ist eigentlich ein Unding."
Mittlerweile hat die Newex den Abrechnungstermin von drei auf fünf Tage verlängert, weitere Liberalisierungen sollen folgen. Der Newex Vorstand Michael Radtke:
"Das wird der Gesetzgeber dieses Jahr ändern und abschaffen. Die Strafzinsen wird es in Österreich nicht geben, das betrifft nicht nur Newex sondern auch die Wiener Börse. Da konnten wir als Börse nichts machen. Wir konnten bloß den Gesetzgeber überzeugen, dass es den Finanzplatz Wien in Zukunft international absolut hemmen wird. Und das wird dieses Jahr geändert."
Dass die Newex nicht aus den Startlöchern kommt, liegt aber nicht nur an Formalitäten. Auch nicht an der aktuell schlechten Börsenkonjunktur. Schließlich sind nicht nur die erwarteten Anleger ausgeblieben, sondern auch der erhoffte Ansturm der osteuropäischen Unternehmen. Etwa die Hälfte der notierten Titel stammen aus der russischen Rohstoffbranche. So z.B. der Ölriese Lukoil, der als "Ladenhüter" an der Newex gilt. Für viele Firmen aus Russland bedeutet die Notierung in Wien einen Prestigegewinn. Das ist bei Firmen aus den EU-Beitritts- Kandidatenländern anders. Aus etwa Polen – dem Land mit dem bestentwickelten Kapitalmarkt in der Region – werden nur drei Titel an der Newex notiert. Für den Vorstand der Warschauer Börse Wieslaw Rozlucki keine Überraschung:
"Was wäre das für uns für ein Geschäft, wenn unsere besten Titel in Wien notiert wären, wenn sie doch schon seit Jahren in London und New York, sowie an deutschen Börsen gehandelt werden. Unsere Warschauer Börse ist zwar klein, aber vor Wien braucht sie sich nicht zu verstecken. Wir können mehr Titel, höhere Kapitalisierung und größeren Umsatz als die gesamte Wiener Börse vorweisen. Als Handelsplatz sind wir für Anleger mindestens genauso glaubwürdig und im Gegenteil zu Wien befinden wir uns im starken Wachstum. Ganz nüchtern gesehen: Durch den Börsengang unserer Unternehmen an die Newex würden sie keine Vorteile gewinnen: Weder Prestige, noch großes Kapital. Dafür aber einen klaren Nachteil – nämlich die weitere Umsatz- und Handelsfragmentarisierung."
Das erklärt auch den Grund, weshalb die meisten osteuropäischen Börsen kein Interesse an einer Kooperation mit der Newex zeigen. Außerdem sei das Angebot aus Wien nicht ganz klar gewesen, begründen viele. Dazu der Vorstand Michael Radtke:
"Es ist die Frage, was man unter konkreten Vorschlägen meint. Wir haben gesagt, wir sind offen in jeder Hinsicht, können uns alles vorstellen, aber es gibt eine Palette, vielleicht zum Teil solche, die wir gar nicht bedacht haben. Hier besteht die Möglichkeit einer Beteiligung direkt an der Newex Shareholder, da gibt es viele Möglichkeiten, wie man sich beteiligen könnte. Man muss sich überlegen, welche Kooperation man eingeht, wir sind offen für jede Vorstellung, ja.
Trotz dieser kooperativen Haltung wird die Wiener Initiative in Osteuropa als reine Konkurrenz angesehen. Auch die Versicherung des Vorstands Michael Radtke hilft dabei nicht viel:
"Die Deutsche und die Wiener Börse wollen keinen Markt aufbauen, als westlichen Konkurrenz zu den Heimatmärkten vor Ort. Im Gegenteil, wir haben einen Osteuropamarkt und bestimmte Werte in Zukunft, die nochmals herausgehoben, und dem westlichen Investor präsentiert werden sollen."
Genau das glaubt im Osten keiner. Die Newex will nur die besten Titel aus der Region anbieten und den Gewinn selber abschöpfen – das ist die allgemeine Ansicht. Diese Vermutung hat letztes Jahr sogar Gespräche über eventuelle Börsenkonsolidierungen in den Kandidatenländern angekurbelt. Schnell kam man aber zu einem pragmatischen Ergebnis. Das Vorstandsmitglied der Warschauer Börse Piotr Szeliga:
"Wenig plus wenig ergibt wenig und kostet viel. Insofern fehlt die Motivation für den großen Aufwand. Das Wichtigste im Moment ist für unsere noch kleinen Märkte die Angleichung mit dem europäischen Markt, auch damit die Unterschiede im Osten möglichst bald wegfallen. Eine der Möglichkeit, über die wir jetzt nachdenken, wäre z. B. ein gemeinsames Handelssystem"
Stabil funktionierende Börsen sind für die ehemaligen Ostblockländer viel wichtiger als es in Westeuropa bewusst ist. Es geht auch dort ums Geld, aber nicht nur darum. Jede nationale Börse trägt heute dazu bei, dass in ihrem Land eine Aktienkultur überhaupt erst entstehen kann. - Das war nicht mal in Deutschland einfach, geschweige denn in Ländern, wo die Bildung des Privatvermögens fünf Jahrzehnte lang bekämpft wurde. Da es sich um kleine und erst entstehende Märkte handelt, ist die Existenz der osteuropäischen Börsen auch ohne die Newex schwer genug. Nur drei von ihnen – die in Warschau, Budapest und in Lubljana – sind schon heute auf dem europäischen Standard und Mitglieder in den wichtigsten internationalen Börsenorganisationen.
Der größte und modernste Handelsplatz in der Region ist die Warschauer Börse. Über 40 Prozent aller Titel gehören dort dem Technologie-Sektor an und sorgen traditionell für die höchsten Gewinne. Im Crashjahr 2000 machte der polnische Neuer Markt immer noch ein Plus von satten 46 Prozent. Auffallend ist auch der hohe Anteil der Termingeschäfte an der jungen Börse. Obwohl der Terminmarkt dort erst seit zwei Jahren läuft, ist er schon heute vergleichbar mit mittleren europäischen Börsen, etwa in Amsterdam. Letztes Jahr führte die Warschauer Börse auch ein neues elektronisches Handelssystem ein. Dadurch wird die Börse auch für die westlichen Investoren attraktiver.
Der Anteil von ausländischen Anlegern auf dem Warschauer Parkett widerlegt die These der Newex-Initiatoren, dass westliche Marktteilnehmer nicht direkt in Osteuropa handeln wollten. Schon heute schafft ausländisches Kapital gut 40 Prozent des Umsatzes in Warschau und 70 Prozent in Budapest. Darunter sind auch große deutsche Fondsgesellschaften. Im Freiverkehr in Deutschland dagegen werden mit polnischen Aktien relativ wenige Umsätze gemacht. Der Vorstand der Warschauer Börse Wieslaw Rozlucki:
"Wenn jemand oft mit polnischen Aktien handelt, dann ist er an einer direkten Marktteilnahme in Warschau interessiert. Das bestätigen auch die Zahlen aus Frankfurt oder Berlin, wo im Vergleich mit London sehr wenig Aktien aus den Kandidatenländern gehandelt werden. Ich habe den Eindruck, dass die deutschen Anleger, die sich ernsthaft mit den Emerging Markets in Osteuropa beschäftigen, schon längst direkt bei uns einkaufen. Und die Nische von Gelegenheitsanlegern, die die Newex bedienen will, ist möglicherweise noch viel zu klein, um daraus ein gutes Geschäft machen zu können"
Ein gutes Geschäft steht dagegen in Warschau auch dieses Jahr bevor. Aufgrund der anlaufenden Rentenreform sollen sich fast zehn Millionen Arbeitnehmer an Pensions- und Aktienfonds beteiligen. Das versetzt die Investoren schon heute in Hoch -Stimmung. Norbert Czypionka, Vorstand der Fondsgesellschaft DWS Polska und Geschäftsführer der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer:
"Hier sehen wir also ein enormes Potenzial, dass es zu einer Vervielfachung des Marktvolumens in den nächsten Jahren kommen wird. Um eine bessere Performance zu bekommen, wird man nicht um die Börse rumkommen. Dann werden hier erhebliche Mittel auf der Warschauer Börse investiert werden, was durch die höhere Nachfrage nach Aktien den Kurs nach oben bewegen wird."
Wer solche Perspektiven auf dem Heimatmarkt hat, der geht nicht nach Wien. Für die meisten osteuropäischen Unternehmen bleibt der Markt in London die erste Adresse im Ausland. Dort ist der Umsatz mit polnischen Aktien fast 30 mal höher, als etwa in Frankfurt. Nicht mehr lange – meint der Newex-Vorstand Michael Radtke. Mit den ersten Börsengängen, die er dieses Jahr an der Newex erwartet, soll in Wien ein Qualitätsmarkt entstehen, der direkt mit London konkurrieren will. Hierzu Radtke:
"Im Moment gehen Sie nach London, weil nichts da ist. Aber warten Sie mal ab, wenn Newex läuft, wenn das Qualitätssegment Newex sich füllt, wird es anders aussehen und die Blicke werden von London, von einem Markt, der mit Freiverkehr vergleichbar ist, auf ein Qualitätsmarkt rübergehen. Natürlich werden auch in Zukunft noch in London die Werte gehandelt werden, aber es ist ein anderer Markt."
Dennoch bleibt derzeit an der Newex der Freiverkehr mit den doppelgelisteten Titeln der einzig messbare Markt. Und der läuft schlecht. Jetzt scheinen die Initiatoren in Wien und Frankfurt über die Rettungsmaßnahmen nachzudenken. Eines gilt als sicher: Der Handelsplatz Wien ist auch mit Osteuropa verglichen kein leuchtender Stern. Im Moment scheinen sich Veränderungen im Bereich Freiverkehr anzubahnen. Zeit dafür wird es: Obwohl auch in Wien mit Xetra gehandelt wird, sammelte die Newex nur 20 Handelsteilnehmer. In Frankfurt wären es auf Anhieb 430. Da liegt es auf der Hand, beide Märkte zu einem werden zu lassen. Der Vorstand Michael Radtke:
"Ich gehe davon aus, dass wir in kürzester Zeit auch einen Freiverkehr an der Newex haben, wo die Umsätze, auf die die Marktteilnehmer warten, darauf stehen. Wobei ich nicht sagen will, in welchem Land der läuft. Wir sehen Newex als eine internationale Börse, es gibt da verschiedene Überlegungen. Das heißt ja nicht, dass ein Freiverkehr in Wien laufen muss, es könnte auch in Frankfurt laufen. Jetzt ist das einzige Thema, dass wir im Moment in der Gruppe Deutsche Börse zwei mal den sonstigen Handel haben, einmal in Frankfurt und dann noch in Wien und das werden wir jetzt abstellen."
Doch noch sind das nicht mehr als naheliegende Pläne, um den Handel mit osteuropäischen Aktien endlich ans Laufen zu bringen. Und eins weiß der Vorstand ganz sicher: Das Osteuropageschäft ist zwar erst im Kommen, aber gerade deswegen ist es leicht zu unterschätzen. Michael Radtke:
"Ich liebe Mittel- und Osteuropa und ich liebe Russland. Und wenn jetzt jemand zu mir kommt, so wie kürzlich ein Journalist und sagt, russische Unternehmen sind nur was für Spekulanten, dann sage ich: Mein Lieber Herr, was hätten sie geschrieben, wenn es sich bei Holzmann um ein russisches Unternehmen gehandelt hätte, da hätte die Schlagzeile gelautet, typisch Russland. Das zu dem Thema."
Nun bleibt aber doch eine Frage offen: Wie soll man jetzt bei der Newex titeln? Ein Journalist aus Österreich meinte kürzlich: Newex – noch new und schon fast ex...