Archiv


Nibelungen-Tanz

Der österreichische Choreograf Johann Kresnik beglückt mit seinem "choreografischen Theater" seit 40 Jahren die Bühnen, indem er provoziert und übliche Ästhetiken sprengt, wie in Bonn mit seinem neuen Stück "Der Ring des Nibelungen: Das Rheingold / Die Walküre". Das Bühnenbild stammt ebenfalls von einem Österreicher: Gottfried Helnwein.

Von Wiebke Hüster |
    Auch wer sich noch einmal genauestens ins Gedächtnis gerufen hat, wie das Personal von Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen" heißt und in welchen Beziehungen Fafner und Fasolt zu Wotan und Freia, oder Siegmund und Sieglinde zu einander stehen, wer die Rheintöchter sind und dass der eifersüchtige Hüter des Goldes Alberich heißt und ein Zwerg ist - auch wer sich denkbar sorgfältig auf Johann Kresniks choreographische Version der ersten beiden Teile des "Ring" vorbereitet hatte, ging nicht klüger aus der Bonner Oper als jene, die sich überraschen ließen.

    Genau darin aber liegt das entscheidende Kriterium für die Beurteilung von Inszenierungen berühmter Stoffe. Noch dem, der sie genau kennt, sollte die neue Inszenierung auch eine andere Sichtweise eröffnen. Dies ist in Bonn nicht der Fall. Dort hat man mit nicht unbeträchtlichem Aufwand Kresnik darin unterstützt, seine üblichen Methoden auf den "Ring" anzuwenden. Gottfried Helnwein hat seine Tänzer an- beziehungsweise ausgezogen und die Bühne schön gruselig möbliert.

    Im ersten Teil ist alles schwarz und düster. Auf der Leinwand sehen wir brennende Ölquellen, auf der Bühne stehen fahrbare Schmelzöfen mit brennenden Tabletts obendrauf herum. Die Götter tragen schwarze Soldatenuniformen mit Fantasieemblemen und schwarzen Gummireitstiefeln, die Rheintöchter sind weiß angemalte Nackte mit Faschingsperücken.

    Bayernkönig Ludwig II. darf zu seinem weiß angemalten Piller wenigstens eine goldbetreßte fesche Jacke anziehen. Er frisst dem Wagner die Noten aus der Hand. Im zweiten Teil ist alles grell weiß, damit sich das Theaterblut leuchtender abhebt - es ist dem Künstler Helnwein vielleicht einen Tick zu rotebeetefarben geraten. Ein paar Krankenhausbetten werden beturnt und die Walküren stöhnen albern herum, während sie sich blutige Soldatenkleidung aus den Schwesternkitteln herausziehen. Mann, ist das wieder subtil.

    Friedrich Nietzsche, der arme Irre, wird in einer zeltähnlichen Zwangsjacke auf dem Bühnenboden mit Zeltheringen befestigt, bis Wagner mit ihm tauscht. Ach ja, und Wagners Frauen fallen übereinander her wie eifersüchtige Ringerinnen, dass die Brüste wackeln. Später kriechen sie alle unter dem Reifrock des Riesen hervor und reiben ihren Komponisten mit frisch gekochten Spaghetti. Mein Gott, wie teuer bezahlt doch mancher Künstler für sein Genie.

    Aber - Trost in bedürftiger Stunde - das ganze Spektakel dauert nicht lange - genau neunzig Minuten, dann ist Kresnik mit den Opern "Rheingold" und "Die Walküre" durch. Bei diesem Tempo fehlt natürlich die Zeit, um mit der Originalmusik herumzutrödeln. Das passt auch. Kresnik ist schließlich von allen bekannten Choreographen derjenige, der sich am wenigsten für Musik und Tanz interessiert. So sieht das dann auch aus: Egal ob Wotan oder Brünnhilde, Zwerg oder Riese, man schmeißt sich die Beine hinter die Ohren und springt mit gegrätschten Beinen herum wie im Grundkurs für asiatischen Kampfsport. Gernot Schedlbergers Komposition könnte auch irgendeine Filmmusik sein. Motive, Themen, Variationen? Fehlanzeige.

    So klingt die vom Band eingespielte Musik, die der Komponist zuvor mit dem Beethovenorchester Bonn aufgenommen hat. Und so klingt, was die beiden links und rechts des Portals plazierten Pianisten von sich geben.

    Und wozu das alles? "Der Schlaf der Vernunft gebiert wieder Ungeheuer", orakelt die Dramaturgie im Programmheft und zitiert ein Lob Heiner Müllers für den Radikalkünstler Helnwein - dessen "exzellente Malerei sei der Spiegel der Schrecken des Jahrhunderts" und das, meint Dramaturg Klimke, könne man auch über Kresnik sagen. Hat jetzt jeder Schreckenandiewandmaler mal den anderen gelobt?

    Aber nicht nur jeder steckt hier schreckensmäßig mit jedem anderen Gesellschaftskritiker unter einer Textdecke. Alles hängt auch mit allem zusammen. Religionskriege und der Kapitalismus mit Wagners untergehenden Göttern, Sex mit Spaghetti, Wagnerverehrung vor allem aber mit Perversität. Dabei war Wagner eigentlich ok, hatte ja Bakunin gelesen. Aber Bayreuth ist nicht okay, das beweisen Filmeinspielungen. Man stelle sich vor, an derselben Stelle, an der Hitler dort im Frack aufmarschierte, standen dann Strauß und Genscher, und heute Merkel und Stoiber. Also; wenn das nicht eine Kontinuität ist, eine ganz eine schlimme.