Archiv


Nicht allwissend und nicht verantwortlich

Als sich dem Kreterkönig Midas die Möglichkeit eröffnete, einen Wunsch seiner Wahl zu äußern, zögerte er nicht lange: Reichtum war es, den er erstrebte, unermesslichen Reichtum. Alles, so wünschte er, alles, was er berühre, möge sich in Gold verwandeln. So kam es dann auch zum Leidwesen des Königs. Denn, so schreibt es Ovid in seinen Metamorphosen, sein Leben wurde ihm zur Qual. Selbst das Wasser, das durch seine Kehle floss, gerann zu Gold und blieb ihm im Halse stecken. Er gewann den erstrebten Reichtum und verlor sein Leben. Wörtlich heißt es bei Ovid über Midas:

Kirsten Selbmann |
    Als sich dem Kreterkönig Midas die Möglichkeit eröffnete, einen Wunsch seiner Wahl zu äußern, zögerte er nicht lange: Reichtum war es, den er erstrebte, unermesslichen Reichtum. Alles, so wünschte er, alles, was er berühre, möge sich in Gold verwandeln. So kam es dann auch zum Leidwesen des Königs. Denn, so schreibt es Ovid in seinen Metamorphosen, sein Leben wurde ihm zur Qual. Selbst das Wasser, das durch seine Kehle floss, gerann zu Gold und blieb ihm im Halse stecken. Er gewann den erstrebten Reichtum und verlor sein Leben. Wörtlich heißt es bei Ovid über Midas:

    Wollte er Speisen mit gierigem Biss zerkleinern, überzog rötliches Metall die Speisen, kaum dass der Zahn sie berührte. Hatte er den Spender der Gabe, den Weingott, mit reinem Wasser vermischt, so hätte man flüssiges Gold durch seine Kehle rinnen sehen können. Entsetzt über das neuartige Unheil, wünscht der arme Reiche seinen Schätzen zu entfliehen. Was er eben noch erfleht hat, hasst er. Selbst die größte Fülle kann seinen Hunger nicht stillen; brennender Durst dörrt ihm die Kehle aus, und wie er es verdient, quält ihn das verhasste Gold.

    Wäre Midas ein moderner König, hätte ihm das nicht passieren sollen. Denn moderne Könige, die gewählten Politiker dieser Tage, haben wissenschaftliche Berater. Diese Berater sitzen in Gremien und sollen sicherstellen, dass Politiker nicht wegen Unkenntnis über zu befürchtende Nachteile falsche Entscheidungen treffen. Die Wissenschaft hat seit den 50er Jahren Einzug in die Politik gehalten. Heute ist sie mehr gefragt denn je. Und das liegt zum größten Teil an der Wissenschaft selbst. Der Bielefelder Wissenschaftssoziologe Peter Weingart:

    Die klassische Wissenschaft des 19. Jahrhunderts war zu einem erheblichen Teil Grundlagenforschung mit der Maßgabe, dass die Anwendung von Wissen zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen würde. Inzwischen verwischen die Grenzen zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung, so dass die Produktion von Wissen oftmals auch gleichzeitig die Anwendung von Wissen ist. Das wiederum bringt Risiken für die Gesellschaft mit sich, wenn man nicht warten kann, bis man alle Folgen des produzierten Wissens erforscht hat, dann kann man auch Überraschungen erleben.

    Akademische Wissensproduktion mit dem einzigen Ziel der Wahrheitssuche: damit ist es spätestens vorbei seit Kernphysiker am Bau der Atombombe beteiligt waren. Das Klonen von Säugetieren ist eines von vielen weiteren Beispielen dafür, dass Wissenschaft zunehmend anwendungsorientiert ist. Das bedeutet auch, sie ist verknüpft mit sozialen Interessen wie Status, Macht und wirtschaftlichem Gewinn.

    Dem Dolly-Schöpfer Ian Wilmut ging es bei seinen Experimenten um die preiswerte Produktion von transgenen Schafen, die für den Menschen nützliche Wirkstoffe herstellen. Die alte Frage der Grundlagenforschung danach, wann ein Zellkern die Fähigkeit verliert, einen vollständigen Organismus zu reproduzieren, spielte für den schottischen Geldgeber PPL-Therapeutics allenfalls eine Nebenrolle.

    Wolfgang van den Daele, Professor für Soziologie an der Freien Universität Berlin und Mitglied des Nationalen Ethikrats, sieht zwei Gründe, warum Wissenschaft und Experten in der Politik und im Alltag an Einfluss gewinnen: Das Herauslösen der Wissenschaft aus ihrer Isolation und die immer größer werdende Menge an Wissen, die produziert wird.

    Also die Wissenschaft ist ja ein gut etabliertes System. Früher war sie mal am Rande der Gesellschaft, jetzt sitzt sie mitten im Kern der Gesellschaft, in den Machtstrukturen der Gesellschaft. Sie ist gut finanziert, die Leute produzieren in allen Bereichen immer mehr Wissen und es ist eben schwer, Wissen, was es gibt, nicht zu benutzen. Es ist einfach rational, überlegenes spezialistisches technisches Wissen zu nutzen und das führt zu einer Verwissenschaftlichung von allen möglichen Handlungsbereichen, also in der Pädagogik, oder im Management, so in den technischen Wissenschaften ja sowieso.

    Die moderne Wissenschaft eröffnet der Gesellschaft und ihren Entscheidungsträgern fortlaufend neue Wahlmöglichkeiten. Die Debatte um die medizinische Forschung an Stammzellen ist nur ein Beispiel: Soll trotz ethischer Bedenken an Stammzellen geforscht werden, weil das Fortschritte bei der Heilung schwerer Krankheiten wie Leukämie bringen könnte? Welche möglicherweise problematischen Folgen wird es haben, wenn man die Gewinnung solcher Zellen aus Embryonen ermöglicht? Solche Fragen sind es, mit denen sich Politiker neuerdings vermehrt herumschlagen müssen. Peter Weingart hält es für ein Merkmal der Wissensgesellschaft, dass die Wissensproduktion solche Fragen verstärkt hervorbringt.

    Ein weiteres Merkmal ist, dass sich zunehmend alle Entscheidungsträger in der Gesellschaft auf Wissen berufen müssen. Das heißt also, Entscheidungen zu treffen, die nicht durch entsprechendes Wissen abgesichert sind, wird zunehmend unmöglich. Das bedeutet wiederum, dass auch politische Legitimität sich nicht allein nur auf die Wahl durch die Wahlberechtigten stützen kann, sondern gleichzeitig auch immer auf Wissen stützen muss.

    Die gestiegene Bedeutung der Wissenschaft für die Gesellschaft verdankt sie also einem sich selbst verstärkenden Effekt: Die erfolgreiche Wissenschaft produziert Entscheidungsprobleme, die sich, wenn überhaupt, nur mit Hilfe von wissenschaftlichen Experten lösen lassen. Noch einmal Peter Weingart:

    Wenn wir kein Wissen davon hätten, wie die klimatischen Zusammenhänge für den ganzen Globus sind und wenn wir keine Computer hätten, die uns das Ganze auch noch als Modell ausrechnen, dann würden wir auch die Fragen nicht stellen. Und in Folge dessen bedingen Komplexität von Fragestellungen und die Masse des Wissens einander. Je mehr Wissen wir produzieren, desto komplexer werden die Fragen, die wir stellen.

    Und je komplexer die Fragen, desto schwieriger werden die Entscheidungen für die Politik. Aus diesem Grund brauchen Politiker die Wissenschaftler. Diese stellen nicht nur das für politische Entscheidungen notwendige Wissen bereit oder helfen bei der Entscheidung für oder gegen den Einsatz bestimmter Technologien. Wissenschaftler sollen auch bestimmte Risiken überhaupt erkennen, Sensorium sein, sozusagen der siebte Sinn der Politik. Denn ein Merkmal moderner Risiken besteht nach einer Definition des Soziologen Ulrich Beck darin, dass man sie sinnlich nicht erfahren kann. Man schmeckt, fühlt, sieht dem Rindfleisch nicht an, ob es gefährlich ist. Moderne Risiken existieren nur wegen des Wissens um sie.

    Moderne Risiken wie [...] die sich dem unmittelbaren menschlichen Wahrnehmungsvermögen vollständig entziehende Radioaktivität, aber auch Schad- und Giftstoffe in Luft, Wasser, Nahrungsmitteln und damit einhergehende Kurz- und Langzeitfolgen bei Pflanze, Tier und Mensch [...] setzen systematisch bedingte, oft irreversible Schädigungen frei. Sie bleiben im Kern meist unsichtbar, basieren auf kausalen Interpretationen, stellen sich also erst und nur im Wissen um sie her.

    Wissenschaftliche Experten bearbeiten und diskutieren solche Fragen in den Kommissionen, Beiräten und Ausschüssen des Parlaments oder der Regierung. Sie äußern sich zu speziellen Problemen bei Anhörungen, erstellen Gutachten und forschen im Auftrag der Politik. Bei besonders komplexen Problemen wie dem Klimawandel werden auf Empfehlung des Wissenschaftsrats sogar ganze Institute gegründet, wie zum Beispiel 1992 das Potsdamer Klimafolgen-Forschungsinstitut PIK. Es soll aufklären über die Folgen des globalen Klimawandels, der, so der Ökonom Ottmar Edenhofer vom PIK, längst unaufhaltsam ist:

    Die Frage ist nur noch, ob wir in der Lage sind, den Klimawandel so zu steuern, dass in der Zukunft katastrophale Ereignisse vermieden werden. Ich nenne zwei Phänomene: den Zusammenbruch der Nordatlantikströmung und die Veränderung der Monsundynamik. Der Zusammenbruch der Nordatlantikströmung würde bedeuten, dass es trotz der globalen Erderwärmung in Europa kälter werden könnte.

    Diese Forschungseinrichtung ist nur eines der zahlreichen Institute, die nach dem Weltklimagipfel in Rio gegründet wurden. Das Problem des Klimawandels war erkannt. Nun sollten dessen Folgen abgeschätzt und mögliche Entwicklungen vorausgesagt werden. Und die Politik beauftragte die Wissenschaft, Ideen zu liefern, wie den Klimaveränderungen begegnet werden könnte.

    Damit die Wissenschaft wiederum ihre Ideen an die Politik zurückgeben kann, wurde das IPCC geschaffen. IPCC steht für Intergovernmental Panel on Climate Change. Es ist ein Forum, in dem Wissenschaftler aus aller Welt ihre Ergebnisse zum Klimawandel zusammentragen. Dann versuchen sie sich über die wichtigsten Erkenntnisse zu einigen, also zu einem weltweiten wissenschaftlichen Konsens zu gelangen. Die alle fünf Jahre erscheinenden Sachstandberichte des IPCC gelten als die wissenschaftlich umfassendste und für die Politik maßgebliche Bewertung der Klimaänderung.

    Die Politik muss aber den Empfehlungen des IPCC nicht folgen. Ihr allein obliegen die Entscheidungen. Und sie lässt sich eben nicht allein leiten von wissenschaftlichen Argumenten. Ulla Burchardt, SPD-Abgeordnete im Deutschen Bundestag:

    Ansonsten spielt natürlich eine Rolle, wie umsetzungsnah sind bestimmte Vorschläge, die gemacht werden, oder man braucht es als allgemeine Orientierung, die man im Kopf hat, um mit Kollegen noch weiter zu diskutieren, nach besseren Lösungen zu suchen. Insgesamt muss man sagen, dass Wissenschaft Politikern die Bewertung von Sachverhalten nicht abnehmen kann.

    Es gehört zu einem Wesensmerkmal demokratisch gewählter Politiker, dass sie kurzfristig für eine bestimmte Klientel etwas bewegen wollen, um vor Wahlen sagen zu können: Seht her, das haben wir in den vergangenen vier Jahren für euch geleistet. Die Crux des Klimas ist seine Langsamkeit. Entscheidungen wirken sich, wenn überhaupt, erst in 50 oder gar 100 Jahren aus. Unbequeme Entscheidungen damit zu rechtfertigen, dass sie in 50 Jahren nutzbringend wirken, ist mit der gegenwärtig üblichen politischen Rhetorik schwer vermittelbar. Gesucht werden schnelle Lösungen, die niemandem weh tun. Und da die Regierungen für den Klimawandel keine bequemen Wege sehen, beauftragen sie kluge Köpfe, Wissenschaftler. Diese sollen solche Lösungen finden und das Problem aus der Welt schaffen.

    Ottmar Edenhofer vom Klimafolgen-Forschungsinstitut sieht dementsprechend seine Aufgabe als Wissenschaftler darin, Lösungen für ein ökologisches Problem anzubieten, die die politischen und ökonomischen Interessen gleichermaßen berücksichtigen.

    Ich denke, die große Herausforderung wird sein, dass die Wissenschaft lernen muss, nicht nur Probleme zu identifizieren, sondern auch Management-Perspektiven aufzureißen. Also etwa den Politikern Hinweise zu geben, wie sie eine Klimapolitik machen könnten, die hauptsächlich Gewinner hat und wenig Verlierer.

    Der Wissenschaftler als Problemmanager, einer der nicht nur Empfehlungen gibt, sondern die Anweisung für deren Umsetzung gleich mitliefert. Eine Erwartung von Politikern an Wissenschaftler, so zum Beispiel von Ulla Burchardt, stellvertretende Vorsitzende des Bundestagausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung:

    Viele legen uns dann ihre Empfehlungen vor die Tür und sagen: Nun macht ,mal schön! und die Umsetzungsbedingungen, teilweise auch die verteilten Zuständigkeiten in einem föderalen Staat in einer Zeit, wo nicht mehr alles nur national entschieden wird, sondern wo die internationalen Kräfteverhältnisse eine ganz entscheidende Rolle .. spielen, wird für meine Begriffe von vielen Wissenschaftlern viel zu wenig mit reflektiert.

    Sobald Wissenschaftler die öffentliche Arena betreten und in den politischen Entscheidungsprozess eingebunden werden, sind sie politische Akteure. Sie sind nicht mehr reine Wissenschaftler, die politisch neutral einzig auf der Grundlage ihres Spezialwissens der Politik Ratschläge erteilen. Bei politisch und wissenschaftlich komplexen Fragen äußern Experten ihre Meinung, sie werten. So zum Beispiel die Wissenschaftler im Nationalen Ethikrat, einem direkt vom Bundeskanzler berufenen Gremium, das die öffentliche Debatte um die Gentechnik anstoßen soll. Der Berliner Geistes- und Sozialwissenschaftler Wolfgang van den Daele über seine Funktion als Mitglied des Nationalen Ethikrates:

    Ich hab schon das Gefühl, dass ich, soweit ich das kann, Einfluss ausüben will durch Beiträge zur Meinungsbildung in diesem Nationalen Ethikrat. Das ist natürlich eine politische Mission, die ich da wahrnehme. Ich meine, man hat überhaupt keinen Einfluss, wenn man nur sagt, ich bin dafür oder ich bin dagegen. Wen soll das interessieren. Einfluss kann man nur dadurch ausüben, dass man Argumente und Belege und Gesichtspunkte ins Spiel bringt, die Leute zum Nachdenken bringt. Und das ist natürlich die Ebene, auf der Expertise eine Rolle spielt.

    Der Schritt aus dem Elfenbeinturm bringt Wissenschaftler meist in Verbindung mit politischen Lagern und involviert sie in deren Konflikte. Besonders bei gesellschaftlichen Kontroversen werden wissenschaftliche Aussagen von Experten und Gegenexperten wie politische Meinungen behandelt. Dies kann dazu führen, dass sie wissenschaftlich unglaubwürdig werden. Wolfgang van den Daele sieht diese Gefahr für sich selbst nicht.

    Die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit wird ja nicht daran gemessen, ob ich mich einer Wertung enthalte oder nicht. Das, glaube ich, wird auch den Wissenschaftlern zugestanden, dass sie werten dürfen in der Politik. Sie dürfen bloß nicht ihre wissenschaftlichen Daten von der Wertung abhängig machen. Also sie dürfen nicht sagen, etwas stimmt deshalb, weil ich ja dafür bin, dass so etwas verboten oder dass so etwas erlaubt wird. Nein, sondern man kann sagen, ich bin dafür, dass etwas erlaubt wird, aber ich bin aus folgenden Gründen dafür. Und diese Gründe müssen einfach stimmen, ja, und zwar nach objektiven Gesichtspunkten, nicht nach politischen Wertungen.

    Als stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung arbeitet Ulla Burchardt seit vielen Jahren eng mit Wissenschaftlern zusammen. Ihre Erfahrungen sind durchweg positiv. Hin und wieder, so Ulla Burchardt, überziehen Experten jedoch ihre Rolle.

    Gelegentlich sind Wissenschaftler, die im politiknahen Bereich arbeiten, auch nicht gefeit davor, Popularität und Einfluss zu genießen und sich so zu gebärden, wie sie es teilweise Politikern vorwerfen. Es gibt da ganz interessante Phänomene, wenn Menschen, die auf einmal entdecken, dass es in einem Freundeskreis auf großes Interesse stößt, wenn sie auch für die Tagesthemen interviewt werden, dass sie auf einmal gar nicht mehr so distanziert sind wie sie das möglicherweise vorher noch in einer Anhörung getan haben, wenn sie feststellen, also mit irgendeiner Erkenntnis, mit irgendeiner Aussage können sie persönlich aber auch gut rauskommen.

    Nach Einschätzung von Beobachtern der Beratungspraxis wie dem Bielefelder Wissenschaftssoziologen Peter Weingart sind solche Grenzüberschreitungen von Wissenschaftlern keine Ausnahme. Und das liegt vor allem an den Ansprüchen, die Politiker wie Ulla Burchardt an die Wissenschaftler stellen. Gleichzeitig als Wissenschaftler und wie ein Politiker denken und handeln zu müssen, führt nach Einschätzung von Peter Weingart zukünftig immer wieder dazu, dass Experten ihre Rolle überziehen:

    Es gibt auch Leute, die sagen, und ich meine es auch plausibel, dass es im Grunde genommen den nur gewissermaßen Wissen präsentierenden Experten gar nicht geben kann, weil schon die Rolle, die er einnimmt im politischen Kontext ihn geradezu unweigerlich dazu bringt, Dinge zu sagen und zu meinen, die seine eigene Kompetenz überschreiten. Aber man muss eben auch sagen, nur Wissen, das bloße Wissen ist politisch nicht verwendbar, es muss interpretiert werden, es muss gewissermaßen auch mit Werten belegt werden, um zu Entscheidungen zu führen.

    Die immer engere Kopplung zwischen Wissenschaft und Politik lässt Kritiker fragen, wie denn Empfehlungen durch Wissenschaftler legitimiert seien. Schon früh, 1956, hatte der Soziologe Herbert Marcuse angemerkt, hinter der angestrebten Rationalisierung der Politik verberge sich in Wahrheit nichts anderes als eine versteckte Form der Herrschaft. Und dieser mangele es an Legitimation. Derartige Befürchtungen teilt Wolfgang van den Daele in Bezug auf den Nationalen Ethikrat nicht:

    Also ich hab kein Problem mit der Legitimation. Das ist natürlich das übliche Geschrei, dass das nicht legitimiert ist usw. Leute, die das nicht gut finden, dass es das Gremium gibt oder was das Gremium macht bezweifeln die Legitimation. Das, finde ich, ist nicht berechtigt, wenn der Anspruch dieses Nationalen Ethikrats angemessen bescheiden ist. Und der Anspruch ist: Wir erarbeiten Empfehlungen, und ob diese Empfehlungen in der Politik akzeptiert werden, ist die autonome Entscheidung der demokratisch gewählten Vertreter, denen solche Entscheidungen zustehen.

    Gleichwohl sieht der Wissenschaftssoziologe Peter Weingart eine Gefahr darin, dass sich die Politiker zunehmend abhängig machen von der Expertise der Wissenschaft. Sie suchen die Nähe zur Wissenschaft als eine Quelle für verlässliche Informationen - all zu oft eine trügerische Erwartung. Peter Weingart:

    Na für die Politik hat es die Konsequenz, dass weil sie wissensabhängig ist, muss sie bestrebt sein, eindeutige Informationen oder eindeutige Optionen aus dem Mund der Experten zu erhalten. Das heißt sie fürchtet den Expertenstreit mehr als alles andere, denn das lässt sie gewissermaßen wiederum in der Unsicherheit. Und wenn die Experten sich schon nicht einigen können, dann gibt es auch keine Positionen, die sich durch Expertenwissen legitimieren lassen.

    Die Beziehung zwischen Wissenschaft und Politik ist noch jung. Sie ist geprägt von zu starker Nähe, überhöhten Erwartungen, Kommunikationsproblemen, Abhängigkeiten oder der Angst davor. Irgendwann werden sich die Partner besser kennen, ein realistischeres Bild voneinander haben. Und wenn der moderne König Midas dann seine Berater befragt und ihm trotzdem das Wasser im Halse zu Gold gerinnt, so wird er ihnen verzeihen. Denn er weiß, dass sie für sein Handeln nicht verantwortlich und allwissend sind.