Um es vorweg zu nehmen: Ein solches Buch kann nur Erklärungsansätze bieten, keine vollständigen Antworten. Die drei Autoren sind renommierte Journalisten und Fachleute auf dem Gebiet: Michael Hanfeld beschäftigt sich als Medienredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung seit vielen Jahren mit Pakistan und Afghanistan, Claudia Sautter war langjährige ARD-Korrespondentin in Nordafrika und Souad Mehkhennet schreibt zum Thema "Islamismus" für die "New York Times". Sie haben sich dabei vor allem im privaten Umfeld von Attentätern und Verdächtigen umgehört. So entstand eine ebenso beeindruckende wie umfangreiche Sammlung von Biographien jugendlicher Attentäter. Mitautorin Souad Mekhennet:
"Wir haben sie einerseits ausgesucht nach den Ländern, wo etwas passiert ist, um darzustellen, wie ist da die Situation, und auf der anderen Seite nach den aktuellen Ereignissen wie dem Irak. Was motiviert junge Männer, in den Irak zu gehen und zu kämpfen? Was ist die Motivation zu sagen, ich lasse meine Familie hier im Land xy und gehe in den Irak, um dort zu kämpfen oder eventuell auch Selbstmordattentäter zu werden?"
Für ihre Recherche sind die drei Autoren durch Europa gereist, waren in Afghanistan und Pakistan, in Marokko, dem Libanon und im Irak. Sie haben islamische Geistliche interviewt und deren Schüler sowie die Mütter, Väter und Geschwister von ehemaligen Attentätern. Die Lektüre fesselt: Das Buch ist gut geschrieben, die geschilderten Schicksale sind spannend. Und obwohl die Gründe für die Hinwendung zum radikalen Islam individuell sind, entsteht für den Leser doch ein Gesamtbild:
"Es gibt bei allen durchweg dieses große Gefühl, dass die islamische Welt ungerecht behandelt wird und unterdrückt wird. Das ist bei allen Männern, die wir interviewt haben, gleich gewesen. Dieses eine Gefühl, hier gibt es einen Krieg, der gegen unsere Religion stattfindet, gegen uns Muslime, gegen unsere Brüder und Schwestern in der arabischen Welt, in der islamischen Welt, und er betrifft auch uns, weil, wir sind auch Muslime, egal wo wir leben, und das ist ein Gefühl, das bei allen gleich war."
Die Lektüre macht eines deutlich: Junge muslimische Männer werden nicht als Terroristen geboren. Oft stammen sie aus einem behüteten Elternhaus, in dem gerade die erste Generation der Einwanderer bemüht war, nicht aufzufallen. Gerade diese Haltung rufe bei den Söhnen Widerstand hervor, so die Autoren. Die Hinwendung zum radikalen Islam sei daher auch als eine Art Protestbewegung zu verstehen.
"Die Konflikte in den Familien erinnern an die Radikalisierung der Jugend in Deutschland in den 60er Jahren. Die Jungen lehnen sich gegen die Alten auf, gegen die ihres Erachtens Angepassten, die gar nicht mehr wissen, wer sie sind. So wie die 68er ihren Vätern vorwarfen, sie hätten das Erbe des Dritten Reiches nicht bewältigt, prägt heute eine Auseinandersetzung muslimische Gemeinden, die darauf hinausläuft, dass die Jungen ihren Eltern vorwerfen, sie verrieten ihre Religion."
Den ideologischen Unterbau für ihre Gewalttaten liefern den jungen Islamisten selbsternannte Prediger, die die gescheiterten Existenzen "auf den rechten Weg bringen" wollen:
"Es sind Schlepper, die zunächst unverfänglich das Gespräch suchen und dabei wie Psychologen vorgehen. Wer hat Identitätsprobleme? Wer ist in einer Krise? Wer hat Ärger mit den Eltern? Die Anwerber geben sich als verständnisvolle Zuhörer und Ratgeber. Sie laden ihre Opfer in private Gesprächszirkel ein und geben ihnen das Gefühl, wichtig zu sein und ernstgenommen zu werden. Dann kommt das Gespräch auf den 'wahren Islam‘. Nur auf ihn sollen sie sich konzentrieren, er ist wichtiger als Familie und Gesellschaft. Diese Anwerbung ist ein Prozess über Wochen und Monate. Weil die Jugendlichen in dieser Zeit zu striktem Stillschweigen verpflichtet werden, haben sie das Gefühl, einem exklusiven Geheimbund anzugehören."
Der Eintritt in eine sektenähnliche Organisation als Kompensation für erlittene Ausgrenzungen und Demütigungen? Viele muslimische Jugendliche erliegen anscheinend dieser Versuchung, finden sie hier doch den Respekt, den ihnen die Mehrheitsgesellschaft nicht zu geben vermag. Doch als Begründung für eine Neigung zu Gewalt reichen diese Minderwertigkeitskomplexe nicht aus. Auch der Verweis auf das an Muslimen geschehene Unrecht besitzt hier keine Gültigkeit. Andere Völker haben ähnliche Erlebnisse in ihrer Geschichte erlitten, ohne zum Mittel des Terrors gegriffen zu haben. Hier sind auch die Schwächen und Grenzen des Buches auszumachen: Der Leser kann die Lebensläufe und die Taten der muslimischen Attentäter zwar durch die lebendige Sprache der Autoren in gewisser Weise miterleben, nachvollziehen kann er sie jedoch nicht. Dafür sind die einzelnen Biographien zu lückenhaft und oberflächlich. "Die Kinder des Dschihad" ist aber als eine Anregung zu verstehen, als ein Beitrag, sich mit dem Schicksal dieser jungen Menschen in der Mitte unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen. Denn die "Kinder des Dschihad", so die Autoren, gehen uns alle an.
Abdul-Ahmad Rashid war das über das Buch von Souad Mekhennet, Claudia Sautter und Michael Hanfeld. "Die Kinder des Dschihad" ist im Piper Verlag erschienen. 240 Seiten für 14,00 Euro.
"Wir haben sie einerseits ausgesucht nach den Ländern, wo etwas passiert ist, um darzustellen, wie ist da die Situation, und auf der anderen Seite nach den aktuellen Ereignissen wie dem Irak. Was motiviert junge Männer, in den Irak zu gehen und zu kämpfen? Was ist die Motivation zu sagen, ich lasse meine Familie hier im Land xy und gehe in den Irak, um dort zu kämpfen oder eventuell auch Selbstmordattentäter zu werden?"
Für ihre Recherche sind die drei Autoren durch Europa gereist, waren in Afghanistan und Pakistan, in Marokko, dem Libanon und im Irak. Sie haben islamische Geistliche interviewt und deren Schüler sowie die Mütter, Väter und Geschwister von ehemaligen Attentätern. Die Lektüre fesselt: Das Buch ist gut geschrieben, die geschilderten Schicksale sind spannend. Und obwohl die Gründe für die Hinwendung zum radikalen Islam individuell sind, entsteht für den Leser doch ein Gesamtbild:
"Es gibt bei allen durchweg dieses große Gefühl, dass die islamische Welt ungerecht behandelt wird und unterdrückt wird. Das ist bei allen Männern, die wir interviewt haben, gleich gewesen. Dieses eine Gefühl, hier gibt es einen Krieg, der gegen unsere Religion stattfindet, gegen uns Muslime, gegen unsere Brüder und Schwestern in der arabischen Welt, in der islamischen Welt, und er betrifft auch uns, weil, wir sind auch Muslime, egal wo wir leben, und das ist ein Gefühl, das bei allen gleich war."
Die Lektüre macht eines deutlich: Junge muslimische Männer werden nicht als Terroristen geboren. Oft stammen sie aus einem behüteten Elternhaus, in dem gerade die erste Generation der Einwanderer bemüht war, nicht aufzufallen. Gerade diese Haltung rufe bei den Söhnen Widerstand hervor, so die Autoren. Die Hinwendung zum radikalen Islam sei daher auch als eine Art Protestbewegung zu verstehen.
"Die Konflikte in den Familien erinnern an die Radikalisierung der Jugend in Deutschland in den 60er Jahren. Die Jungen lehnen sich gegen die Alten auf, gegen die ihres Erachtens Angepassten, die gar nicht mehr wissen, wer sie sind. So wie die 68er ihren Vätern vorwarfen, sie hätten das Erbe des Dritten Reiches nicht bewältigt, prägt heute eine Auseinandersetzung muslimische Gemeinden, die darauf hinausläuft, dass die Jungen ihren Eltern vorwerfen, sie verrieten ihre Religion."
Den ideologischen Unterbau für ihre Gewalttaten liefern den jungen Islamisten selbsternannte Prediger, die die gescheiterten Existenzen "auf den rechten Weg bringen" wollen:
"Es sind Schlepper, die zunächst unverfänglich das Gespräch suchen und dabei wie Psychologen vorgehen. Wer hat Identitätsprobleme? Wer ist in einer Krise? Wer hat Ärger mit den Eltern? Die Anwerber geben sich als verständnisvolle Zuhörer und Ratgeber. Sie laden ihre Opfer in private Gesprächszirkel ein und geben ihnen das Gefühl, wichtig zu sein und ernstgenommen zu werden. Dann kommt das Gespräch auf den 'wahren Islam‘. Nur auf ihn sollen sie sich konzentrieren, er ist wichtiger als Familie und Gesellschaft. Diese Anwerbung ist ein Prozess über Wochen und Monate. Weil die Jugendlichen in dieser Zeit zu striktem Stillschweigen verpflichtet werden, haben sie das Gefühl, einem exklusiven Geheimbund anzugehören."
Der Eintritt in eine sektenähnliche Organisation als Kompensation für erlittene Ausgrenzungen und Demütigungen? Viele muslimische Jugendliche erliegen anscheinend dieser Versuchung, finden sie hier doch den Respekt, den ihnen die Mehrheitsgesellschaft nicht zu geben vermag. Doch als Begründung für eine Neigung zu Gewalt reichen diese Minderwertigkeitskomplexe nicht aus. Auch der Verweis auf das an Muslimen geschehene Unrecht besitzt hier keine Gültigkeit. Andere Völker haben ähnliche Erlebnisse in ihrer Geschichte erlitten, ohne zum Mittel des Terrors gegriffen zu haben. Hier sind auch die Schwächen und Grenzen des Buches auszumachen: Der Leser kann die Lebensläufe und die Taten der muslimischen Attentäter zwar durch die lebendige Sprache der Autoren in gewisser Weise miterleben, nachvollziehen kann er sie jedoch nicht. Dafür sind die einzelnen Biographien zu lückenhaft und oberflächlich. "Die Kinder des Dschihad" ist aber als eine Anregung zu verstehen, als ein Beitrag, sich mit dem Schicksal dieser jungen Menschen in der Mitte unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen. Denn die "Kinder des Dschihad", so die Autoren, gehen uns alle an.
Abdul-Ahmad Rashid war das über das Buch von Souad Mekhennet, Claudia Sautter und Michael Hanfeld. "Die Kinder des Dschihad" ist im Piper Verlag erschienen. 240 Seiten für 14,00 Euro.