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Nicht ausschließen

Übergewichtige im OP-Saal waren ein wichtiges Thema auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie in München. In einem Punkt waren sich die versammelten Experten einig: Wer schwer krank ist und viel wiegt, ist bei Operationen höheren Risiken ausgesetzt als ein Normalgewichtiger. Aber es gab auch Überraschungen.

Von Veronika Bräse |
    " Wenn man die Übergewichtigen nimmt auf einer Intensivstation mit Organversagen, also ganz schwer kranke Patienten, und das vergleicht mit normal gewichtigen Patienten, dann ist die Sterblichkeit der Übergewichtigen 33 Prozent und die der Normalgewichtigen bei etwa 12 Prozent. "

    Sagt Professor Elke Muhl, Chirurgin am Universitätsklinikum Lübeck. Anders ist das bei Herzoperationen. In diesem Fall ist die Sterblichkeit bei stark Übergewichtigen nicht höher. Das liegt daran, dass Eingriffe am Herzen heutzutage meist sehr schonend verlaufen. Zum Beispiel ohne den Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine. In vielen Fällen reicht ein kleiner Schnitt rechts neben der Brustwarze. "Bei Dicken müssen deshalb keine besonderen Vorkehrungen getroffen werden", erklärt der ärztliche Direktor am Herzzentrum Lahr, Dr. Jürgen Ennker:

    " Wir haben den großen Vorteil, dass wir nicht wie die Bauchchirurgen erst mal durch dicke Speckschichten operieren müssen, sondern wir gehen ja durch den Brustkorb, das Brustbein und gleich darunter kommt das Herz und da haben wir wenig mit Fett zu tun."

    Probleme treten meist erst nach der Herz-Operation auf. Zum Beispiel bei der Wundheilung. Musste das Brustbein doch geöffnet werden, wächst es schlecht wieder zusammen. Ein Hustenanfall eines mächtigen 200 Kilo Mannes kann fatal sein - die vernähte Wunde bricht wieder auf. Ennker nennt noch eine weitere Ursache:

    " Wir haben das Problem der Infektion, welches natürlich auch vermehrt vorkommt, gerade weil auch viele Patienten mit schwerem Übergewicht ein Diabetes mellitus aufweisen. Dieser Diabetes führt zu Wundheilungsstörungen."

    Solche Wundheilungsstörungen beeinflussen auch Bypass-Operationen. Denn Venen, die traditionell für Bypässe aus dem Bein entnommen wurden, haben hohe Verschlussraten. Das heißt, nach 10 Jahren sind 70 Prozent dieser Venen-Bypässe wieder verschlossen. Darum ist es besser, eine Arterie, die direkt in der Brustwand sitzt, als Bypass-Gewebe zu verwenden. Sie verschließt sich nicht so leicht. Nach 10 Jahren leisten noch 95 Prozent dieser Brustwand-Arterien gute Dienste. Allerdings kommt diese Maßnahme nur bei Patienten in Frage, deren Wunden schnell heilen:

    " Wenn man jetzt bei stark Übergewichtigen die Brustwand-Arterie nimmt und vor allem auf beiden Seiten, dann ist die Durchblutung im Brustknochen eingeschränkt und dann haben wir doch ein erhöhtes Risiko auf Wundheilungsstörungen, dann können Bakterien schneller eindringen und wir haben größere Probleme - die werden noch vermehrt, wenn wir noch Patienten mit Diabetes haben, das verstärkt dieses Problem noch. "

    Folglich scheidet diese OP-Methode bei Übergewichtigen meist aus. Sie funktioniert nur, wenn das Gewebe so wenig wie möglich verletzt wird, meint Jürgen Ennker:

    " Wichtig ist, dass man diese Brustwand-Arterie nicht wie es früher gemacht wurde mit einem breiten Pedikel, also mit umgebenem Gewebe entnimmt, sondern man muss versuchen, diese Verletzung der Brustwand möglichst klein zu halten, indem man diese Brustwand skelettiert und dann ist die Einwirkung auf die Durchblutung geringer. Und damit auch die Folgeerscheinungen in Hinblick auf Instabilität und Wundheilungsstörungen. "

    Ein weiteres Problem ist die erschwerte Atmung der Fettleibigen. Das macht sich auch bei der Beatmungsmaschine im OP-Saal bemerkbar. Sie muss einen vergleichsweise hohen Druck aufbringen können, um einen 200 Kilo Patienten zu beatmen. Nach einer Herzoperation, wenn die Patienten im Bett liegen, kommt es schnell zu beklemmender Atemnot, sagt Elke Muhl. Doch damit nicht genug:

    " Wenn sie liegen, drückt der schwere Bauch den Mageninhalt nach oben und das kann dazu führen, dass Mageninhalt zum Beispiel in die Luftröhre gelangt und das führt zu Lungenentzündungen und zu schweren Problemen. "

    Deshalb gehen Pfleger nach Operationen schnell dazu über, die Patienten im Sitzen zu lagern, weil sie so mehr Luft bekommen. Schwierig ist auch die Dosierung der Medikamente:

    " Bei ganz vielen Medikamenten wissen wir überhaupt nicht, wonach wir dosieren sollen, weil es da keine Untersuchungen gibt, die an übergewichtigen Patienten gemacht worden sind."

    Bleibt also noch viel Forschungsarbeit. Immerhin verlaufen Herzoperationen Übergewichtiger heute in aller Regel problemlos.