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Nicht bloß Subkultur

2004 wagte der damals noch Kölner Tropen Verlag den Schritt nach Berlin an der Prenzlauer Berg. Im Durchschnitt bringt er pro Jahr acht bis zehn Bücher auf den Markt, belletristische Werke, Sach- oder Szeneliteratur. Bekannt wurde der Tropen Verlag hauptsächlich mit Übersetzungen von Romanen aus Frankreich und Amerika.

03.08.2005
    Michael Zöllner: " Wir hatten schon vor zwei, drei Jahren mal überlegt, mit dem Tropen Verlag nach Berlin zu gehen, damals waren wir noch sehr klein, haben uns nicht getraut. Nun kam letztes Jahr, 2004, in unseren sehr schönen Räumen in der Brüsseler Straße die Kündigung, so dass wir gezwungen waren, uns zu bewegen."

    Die Kündigung der Räume war der Anlass, den Schritt nach Berlin zu wagen. Michael Zöllner ist der Mitgründer des Tropen Verlages und zur Zeit hauptverantwortlich. Außer der Kündigung gab es aber noch weitere Gründe, die für Berlin sprachen. Die Lebenshaltungskosten zum Beispiel, die sind in Berlin circa 20 Prozent niedriger.

    " Und ein weiterer Grund ist, dass das kreative Umfeld in Köln von den Menschen her immer noch nach wie vor gestimmt hat, dass es aber meiner Meinung nach die Stadt versäumt hat, Rahmenbedingungen zu schaffen, worin sich diese bestehende Flora auch ständig weiter entwickelt und ständig neu transformiert. Das scheint mir in Köln im Moment nicht gegeben."

    Seit zwei Monaten ist der Verlag in Berlin, im Prenzlauer Berg. Schwarzgestrichene Dielen, weiße Wände, eine kleine Küche; der Verlag besteht aus drei Räumen. Michael Zöllner macht die Arbeit nicht alleine, er hat Mitarbeiter, die auch alle mit ihm nach Berlin umgezogen sind.

    " Als kleiner Verlag ist es nicht klug als Verleger "Ich" zu sagen, das wirkt sofort immer unglaublich egozentrisch. Wenn ich "wir" sage, dann meine in Jörn Dammkrüger, der bei uns den Vertrieb leitet und Johann Maas, der bei uns das Lektorat macht, der übrigens früher mal Popstar war. Und dann ist im Moment immer noch eine Praktikantin oder ein Praktikant dabei."

    Michael Zöllner ist 1969 in Spanien geboren, studierte nach dem Zivildienst an der Kölner Uni Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie. Zöllner hat den Verlag mit verschiedenen Mitarbeitern im Laufe der letzten Jahre ausgebaut, unterschiedliche Reihen etabliert.

    " Prinzipiell haben wir scheinbar viele Reihen. Ein durchmischtes Programm. Genau aus dem Grund, dass selbst bei einem kleinen Verlag eine Gewichtung auf Belletristik nicht funktionieren würde, d.h. wenn wir vier Romane raus bringen würden, dann wäre der Effekt der, dass einer verkauft wird, vielleicht noch ein anderer überraschungsmäßig nachzieht - und die anderen überhaupt nicht laufen würden. Deshalb haben wir die verschiedenen Reihen, die Trojanischen Pferde, die Belletristik, die Carbon-Copy-Books, die jungen Szenebücher."

    Im Durchschnitt bringt der Verlag pro Jahr acht bis zehn Bücher auf den Markt. Ein oder zwei belletristische Werke und ansonsten noch Sach- oder Szeneliteratur. Bekannt wurde der Tropen Verlag hauptsächlich mit Übersetzungen verschiedener Romane aus Frankreich und Amerika.

    Nicht nur ein Buch von einem Autor zu machen, sondern Autoren aufzubauen, was früher die großen Verlage gemacht haben, das findet Michael Zöllner für seinen Verlag wichtig, nach wie vor.

    " Ich würde behaupten, dass gerade die kleinen Verlage heutzutage versuchen, Autorenarbeit im klassischen Sinne zu leisten, Autoren aufzubauen. Ich kann das zum Beispiel am Fall von Jonathan Lethem bei uns sagen."

    Junge Autoren zu entdecken, das ist weiterhin eine wichtige Aufgabe des Verlags. Dafür haben große Verlage in der Regel international ihre Leute, verfügen über ein enges Geflecht an Beziehungen, Agenturen und Mitarbeitern. Das kann sich ein kleiner Verlag nicht leisten.

    " Das heißt, was ein kleiner Verlag versuchen muss, sich ein Netzwerk zu schaffen von Zuträgern, von Gesprächspartner, von eigenen Autoren, die wiederum vernetzt sind. Und aus dieser Vernetzung heraus bekommt man in der Regel seine Titel. Man muss sich natürlich viel umtun, auf Lesungen gehen, auch den Kontakt zu Agenturen suchen."

    Beim Aufspüren neuer Autoren bietet der Standort Berlin mehr Vorteile als Köln. Hier gibt es eine größere Autorenszene, mehr Agenten, ein breiteres literarisches Netzwerk. Mit einem Autor, den der Verlag kürzlich entdeckte, beginnt im Herbstprogramm eine neue Reihe.

    " Wir wollen jetzt in Berlin, das war auch einer der Gründe, nach Berlin zu gehen, eine junge politische Sachbuchreihe starten. Der erste Titel im Herbst wird sein: Camille de Toledo, "Jollypunk. Bekenntnisse eines unbequemen Zeitgenossen". Ein französischer Titel, der Ende 2002 in Frankreich herausgekommen ist, von einem sehr interessanten jungen Mann. Camille de Toledo ist ein Pseudonym, er heißt eigentlich Alexis Mitall, ist der Erbe des kompletten Danone-Imperiums, im Grunde eines milliardenschweren Erbes und hat dieses abgelehnt. Stattdessen ist er zwei, drei Jahre mit der Globalisierungsbewegung durch die Welt gereist, hat das filmisch dokumentiert und auch ein Buch geschrieben."

    In seinem Buch "Jollypunk" formuliert Camille de Toledo eine vehemente Kritik am Kapitalismus und an seiner Generation, die innerhalb der zeitlichen Klammern vom 9.11.1989 bis 11.9.2001 aufgewachsen ist. Wie kann es sein, dass uns heute der Kauf eines neuen Billy-Regals mehr beschäftigt als eine richtige Lebenseinstellung? Diese Frage steht im Zentrum des Buches, das die allgemein vorherrschende gesellschaftliche Gleichgültigkeit kritisiert.

    " Ich sehe in dem politischen Sachbuch eine Vakanz, was jüngere Themen angeht, was das Textgenre angeht. Was natürlich immer auch ein bisschen Zeitgeistphänomene mit drin hat - und genau diese Vakanz, die wir vielleicht genauso von der Sensibilität mit unseren Taschenbüchern ein bisschen erforscht haben, die wollen wir angehen mit dieser Reihe. Sie wird heißen: Mundpropaganda."

    Die Leute politisieren sich wieder ein bisschen. Vieles wird nicht mehr so hingenommen, meint Zöllner, und das merke man vor allem in Berlin. Diese neue Reihe wendet sich vor allem an ein jüngeres Publikum, an Leute, die bei dem Wort Zeitgeist nicht die Nase rümpfen. Dennoch: Auf Begriffe wie Underground oder Szene will Michael Zöllner sein Programm nicht festlegen lassen.

    " Da geht es nicht um die Begrifflichkeit, ob man die Dinge Underground, Subkultur oder sonst was nennt, sondern es geht ganz konkret darum, dass es immer wieder Phänomene gibt, die auch sehr gut sich in Buchform fassen lassen, die von den großen Verlagen nicht wahrgenommen werden, weil die Sensibilität da eine andere ist. Und es ist natürlich für einen kleinen Verlag sehr dankbar, ein Thema aufzugreifen, das sich bereits in einer gewissen Szene so verwurzelt hat, man weiß, dass man auch ohne große Marketingpower in einer solchen Nische automatisch einen Nachfragedruck hat."

    Einiges verändert sich für den Verlag in Berlin. Dennoch gibt es ein grundsätzliches Konzept, das auch nach dem Umzug weitergeführt werden soll. Michael Zöllner hat in einem Interview vor einigen Jahren einmal gesagt: Wir machen Bücher für die, die Bücher nicht lesen. Und dieses Motto gilt auch in Berlin.

    " Es gibt ein wunderbares Gedicht von Hans Magnus Enzensberger, das heißt Gedicht für die, die Gedichte nicht lesen. Als wir angefangen haben, hatten wir das Problem, dass wir zwar viele Ideen hatten, aber diese Ideen in Form von Büchern gar nicht in den Buchhandel tragen konnten, weil uns die Vertriebswege, auch das Kapital fehlten."

    Die Vertriebswege hat der Verlag inzwischen ausgebaut. Dennoch will man auch weiterhin Bücher für Leute machen, die vom Buchmarkt und den üblichen Vertriebswegen in der Regel nicht angesprochen werden. Mit dieser Strategie hatte der Verlag bereits vor einigen Jahren mit einem der ersten Titel im Programm einen großen Erfolg.

    " Einer der ersten war über Skateboarder mit Kurzgeschichten, Gedichten und Zeichnungen, das war ein Titel, der sich an eine Skateboardgemeinde gerichtet hat, die üblicherweise nicht mit Büchern, schon gar nicht mit literarischen Büchern konfrontiert ist, die das aber sehr dankbar aufgenommen hat. Das war eine Form von Literatur, und es handelt sich hier wirklich um sehr gute Kurzgeschichten auf sie zugeschnitten. Und wir kriegen bis heute oft noch Anrufe vor Weihnachten von Müttern, die sagen: Mein Sohn hat letztes Jahr ein Buch gelesen. Haben sie nicht noch eins? Und das bezieht sich meistens auf diese Skateboardbücher. Und deshalb nennen wir selbst diese Copy-Books Bücher für die, die Bücher nicht lesen."

    "Absolute Beginners" heißt dieses Buch, das zu Kölner Zeiten der Verkaufshit war. Und an diesen Erfolg will man in Berlin anknüpfen.