Überliefert ist die merkwürdige Begegnung des Komponisten und Musikprofessors aus Buffalo Morton Feldman mit dem Schriftsteller Samuel Beckett, Herbst 1976, in Berlin. "Mr. Feldman, ich mag keine Opern", soll Beckett gesagt haben, und Feldman habe ihm beigepflichtet. Er wolle auch keinen vorhandenen Beckett-Text vertonen, was er suche, sei eine Art Quintessenz, "etwas in der Schwebe". Beckett soll ihm gleich ein paar Zeilen ins Notenheft geschrieben haben; später folgte dann eine Postkarte nach Buffalo, mit freundlichen Grüßen und auf der Rückseite dem wahrscheinlich kürzesten, vermutlich rätselhaftesten aller Operntexte, sechzehn Zeilen, 84 Worte: "Neither".
Neither: kein Libretto, kein Gedicht, kein Monolog, keins von allem, tatsächlich etwas "in der Schwebe". Von Schatten ist die Rede, inneren und äußeren, vom Hin und Her zwischen "undurchdringlichem Selbst" und "undurchdringlichem Un-Selbst", unpenetrable self to unpenetrable unself. Nebelhaft erscheinen "erleuchtete Herbergen", deren Türen sich dem Näherkommenden schließen, im Rücken des sich Abwendenden dann wieder sachte öffnen. Becketts letztes Wort ist "home", aber wohl nicht als etwas irgend Erreichbares, sondern "unspeakable", unsagbar, unaussprechlich.
Das ist kein Operntext, und doch nannte Feldman das Stück "An opera", weshalb sich Opernhäuser, seit der Uraufführung Rom 1977, für "Neither" zuständig fühlen. Sich dabei aber immer in einiger Verlegenheit befinden. Denn wo Feldman die intrikaten Beckettschen Schwebezustände mit sanft pulsenden, an- und abschwellenden Klangflächen, Repetition und Variation statisch ruhender, manchmal aufgerauhter patterns, in einer kalkuliert unbestimmten Pendelbewegung halten konnte, muss sich das Operntheater auf Bilder festlegen. Was aber ist zu zeigen? Und wie die Sängerin, die, eine knappe Stunde lang, Becketts Text in Vokalisen bisweilen so hoher Sopranlagen zu transformieren hat, dass jede banalisierende "Verständlichkeit" garantiert ausgeschlossen ist?
Die Bildernot versuchte Klaus Zehelein – hier nicht nur Intendant, sondern auch Dramaturg – wohl zur Tugend zu wenden, indem er für die Inszenierung des Nichtinszenierbaren die Mailänder Videokünstler des STUDIO AZZURRO engagierte. Die taten nun ihr Mögliches, und fügten den abstrakten Klangereignissen eine visuelle Schicht hinzu, frei zusammenbuchstabiert aus dem Beckett-Alphabet: Leerer Raum, Schräge, ein Lichtkegel: ein Theater des Nichts, nur die Projektion einer weißen Maus läuft dort hin und her. Eine Tür. Ein Schaukelstuhl schaukelt, doch niemand sitzt darin. Ein Bett aus Licht. Schuhe. Leitern. Ein Vogelkäfig. - Und wie in einem Singvogelkäfig erscheint auch Anu Komsi, die die undankbare Rolle der Sopranistin für die erkrankte Petra Hoffmann übernommen hatte. Aus dem Graben kommt sie heraufgefahren, das ist ihre einzige Bewegung, ohne eine Aktion bleibt sie im Dazwischen von Musik und Bild, Teil des Klangapparats, nicht einer Handlung
Weil hier zwar eine Frau singt, aber kein wie auch immer bestimmtes Ich, sollte die Sängerin als abwesendes Subjekt inszeniert werden. Und doch lässt sie sich, regungslos an der Bühnenrampe, weder übersehen noch wegdenken, und die irdischen Mühen der auch für eine geläufige Gurgel gnadenlosen Partie nicht überhören. Zu strömenden Piano-Höhen konnte sich die Finnin erst nach und nach und dann nur momentweise befreien. Roland Kluttig führt das Staatsorchester gut durch die rhythmischen Vertracktheiten von Feldmans Partitur, bleibt im Zugriff eher nüchtern und dabei den dynamischen Finessen etwas schuldig: Feldmans vielfache Stufungen zwischen ganz leise und halb laut erscheinen auf ein mittleres Maß nivelliert. Die visuellen Assoziationsangebote, die das STUDIO AZZURRO dazu macht, sind wohldosiert und von hoher Professionalität, manchmal mit einem Hang zum diffus poetischen Bild, etwa im allzuschönen Faltenwurf eines schimmernden Bettlakens, unter dem sich ein Niemand zu räkeln scheint. - So geht der Abend wie mit gedrosselter Suggestivkraft dahin, womöglich ein wenig zu respektvoll-buchstäblich "neither". Feldmans Beckett-Oper ist keine. Aber im Theater gibt’s kein Wedernoch.
Neither: kein Libretto, kein Gedicht, kein Monolog, keins von allem, tatsächlich etwas "in der Schwebe". Von Schatten ist die Rede, inneren und äußeren, vom Hin und Her zwischen "undurchdringlichem Selbst" und "undurchdringlichem Un-Selbst", unpenetrable self to unpenetrable unself. Nebelhaft erscheinen "erleuchtete Herbergen", deren Türen sich dem Näherkommenden schließen, im Rücken des sich Abwendenden dann wieder sachte öffnen. Becketts letztes Wort ist "home", aber wohl nicht als etwas irgend Erreichbares, sondern "unspeakable", unsagbar, unaussprechlich.
Das ist kein Operntext, und doch nannte Feldman das Stück "An opera", weshalb sich Opernhäuser, seit der Uraufführung Rom 1977, für "Neither" zuständig fühlen. Sich dabei aber immer in einiger Verlegenheit befinden. Denn wo Feldman die intrikaten Beckettschen Schwebezustände mit sanft pulsenden, an- und abschwellenden Klangflächen, Repetition und Variation statisch ruhender, manchmal aufgerauhter patterns, in einer kalkuliert unbestimmten Pendelbewegung halten konnte, muss sich das Operntheater auf Bilder festlegen. Was aber ist zu zeigen? Und wie die Sängerin, die, eine knappe Stunde lang, Becketts Text in Vokalisen bisweilen so hoher Sopranlagen zu transformieren hat, dass jede banalisierende "Verständlichkeit" garantiert ausgeschlossen ist?
Die Bildernot versuchte Klaus Zehelein – hier nicht nur Intendant, sondern auch Dramaturg – wohl zur Tugend zu wenden, indem er für die Inszenierung des Nichtinszenierbaren die Mailänder Videokünstler des STUDIO AZZURRO engagierte. Die taten nun ihr Mögliches, und fügten den abstrakten Klangereignissen eine visuelle Schicht hinzu, frei zusammenbuchstabiert aus dem Beckett-Alphabet: Leerer Raum, Schräge, ein Lichtkegel: ein Theater des Nichts, nur die Projektion einer weißen Maus läuft dort hin und her. Eine Tür. Ein Schaukelstuhl schaukelt, doch niemand sitzt darin. Ein Bett aus Licht. Schuhe. Leitern. Ein Vogelkäfig. - Und wie in einem Singvogelkäfig erscheint auch Anu Komsi, die die undankbare Rolle der Sopranistin für die erkrankte Petra Hoffmann übernommen hatte. Aus dem Graben kommt sie heraufgefahren, das ist ihre einzige Bewegung, ohne eine Aktion bleibt sie im Dazwischen von Musik und Bild, Teil des Klangapparats, nicht einer Handlung
Weil hier zwar eine Frau singt, aber kein wie auch immer bestimmtes Ich, sollte die Sängerin als abwesendes Subjekt inszeniert werden. Und doch lässt sie sich, regungslos an der Bühnenrampe, weder übersehen noch wegdenken, und die irdischen Mühen der auch für eine geläufige Gurgel gnadenlosen Partie nicht überhören. Zu strömenden Piano-Höhen konnte sich die Finnin erst nach und nach und dann nur momentweise befreien. Roland Kluttig führt das Staatsorchester gut durch die rhythmischen Vertracktheiten von Feldmans Partitur, bleibt im Zugriff eher nüchtern und dabei den dynamischen Finessen etwas schuldig: Feldmans vielfache Stufungen zwischen ganz leise und halb laut erscheinen auf ein mittleres Maß nivelliert. Die visuellen Assoziationsangebote, die das STUDIO AZZURRO dazu macht, sind wohldosiert und von hoher Professionalität, manchmal mit einem Hang zum diffus poetischen Bild, etwa im allzuschönen Faltenwurf eines schimmernden Bettlakens, unter dem sich ein Niemand zu räkeln scheint. - So geht der Abend wie mit gedrosselter Suggestivkraft dahin, womöglich ein wenig zu respektvoll-buchstäblich "neither". Feldmans Beckett-Oper ist keine. Aber im Theater gibt’s kein Wedernoch.