Freitag, 17. Mai 2024

Archiv


Nicht häufig, aber gefährlich

EHEC-Erkrankungen gelten allgemein als "lebensmittelbedingt". Doch auf welchem Weg sich Babys und Kleinkinder tatsächlich mit dem Erreger infizieren, das ist in Deutschland bisher nicht systematisch untersucht. Diese Lücke schließt jetzt das Berliner Robert-Koch-Institut mit einer bundesweiten Studie. Seine Experten werteten über 200 Fälle von ernsten EHEC-Infektionen aus und müssen feststellen, …

Von Volker Mrasek | 23.07.2004
    ... dass der Erreger sehr viele Übertragungswege nutzt, und dass es sehr stark vom Alter abhängt, wie EHEC übertragen wird.

    Dirk Werber koordiniert die noch laufende Studie am Robert-Koch-Institut. Aus den Daten der Forscher ergibt sich: Bei den jüngsten EHEC-Patienten spielen Lebensmittel offenbar gar keine so große Rolle als Infektionsquelle:

    50 Prozent unserer Patienten waren jünger als drei Jahre. Und dort hat sich gezeigt, dass der direkte Kontakt zu Wiederkäuern, also zu Rindern, Schafen oder Ziegen, als stärkster Risikofaktor hervorgetreten ist.

    Das deckt sich auch mit Studien aus dem Ausland. Wiederkäuer sind demnach potentielle Überträger von EHEC; im Darm von Rindern, Ziegen und Schafen haben die Krankheitskeime ihr natürliches Reservoir. Das sollten Eltern beim Besuch oder beim Urlaub auf dem Bauernhof bedenken:

    Hier ist sicherlich Vorsicht geboten. Die Hände sollten gewaschen werden. Und man sollte darauf achten, dass Kinder die Hände nicht zum Mund führen. Auch sollten beispielsweise keine Lebensmittel in der Nähe von Wiederkäuern verzehrt werden.

    Vom zweitwichtigsten Risikofaktor bei den Ein- bis Dreijährigen die Forscher dagegen überrascht:

    Das ist im Sandkasten gespielt zu haben. Das ist noch in keiner anderen Fall-Kontroll-Studie bislang berichtet worden. Das ist ein Risikofaktor, der auch in der Altersgruppe von 3 bis 9 Jahren signifikant war.

    Wer jetzt an Tier-Kot auf dem Spielplatz denkt, liegt aber falsch. Hunde und Katzen seien keine EHEC-Überträger, sagt Werber.

    Denkbar ist aber Folgendes: Noch bevor Kinder mit Durchfall wieder richtig gesund sind und wieder in den Kindergarten oder in die Grundschule dürfen, lassen ihre Eltern sie schon wieder auf den Spielplatz. Dort können sie andere Kinder durch Körperkontakt anstecken - wenn ihr Durchfall auf EHEC zurückgeht und sie die Bakterien noch immer ausscheiden.

    Sollte diese Theorie stimmen, dann wäre es ratsam für Eltern, ihre darmkranken Kinder nicht zu früh wieder mit anderen spielen zu lassen.

    Erst bei den über Neunjährigen erkannten die Forscher dann tatsächlich Lebensmittel als Haupt-Risikofaktoren für eine EHEC-Erkrankung:

    Signifikant in dieser Altersgruppe war der Verzehr von Lammfleisch. Und der Verzehr von streichfähigen Rohwürsten. Das sind also Teewurst, Streichmettwurst oder Zwiebelmettwurst.

    Vielen Verbrauchern sei gar nicht bewusst, dass es sich hierbei um Roh-Wurstsorten handele, meint Werber. Auch diese Produkte machten zwar einen Reifungsprozess durch, aber:

    Ein Restrisiko, das deuten zumindest unsere Daten an, besteht nichtsdestotrotz.

    Bestätigt wird das auch durch Stichproben der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel in Kulmbach. Sie untersuchte kürzlich Streichwürste auf EHEC-Keime - und wurde tatsächlich fündig. Zwar nur in einer von rund 200 Proben. Doch in Deutschland werden täglich Tausende streichfähige Rohwürste verkauft und verzehrt. Selbst bei einer EHEC-Quote von 1:200 müsste mit Dutzenden verkeimten Streichwürsten auf dem Markt gerechnet werden.

    Eine Tagung in Kulmbach schlossen Wissenschaftler im Vorjahr mit dem Fazit, Teewurst sei - Zitat: "mit Sicherheit kein Risikoprodukt". Eine Einschätzung, die das Robert-Koch-Institut nicht teilen mag, und die zumindest in Sachen EHEC mit Vorsicht zu genießen ist - genauso, wie die Rohwürste selbst …