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Nicht heilbar, aber beherrschbar

Medizin. - Aids ist vermutlich nicht die gravierendste, sicher aber die am meisten im Bewusstsein verankerte Seuche der Menschheit. In Mexico City ging jetzt die 17. Welt-Aidskonferenz zu Ende. Der Wissenschaftsjournalist Martin Winkelheide zieht im Gespräch mit Ralf Krauter Bilanz.

08.08.2008
    Krauter: Herr Winkelheide, Sie waren schon bei etlichen Aidskonferenzen, bei allen Vorläufern, Genf, Durban, Barcelona, Bangkok und Toronto dabei. Was war dieses Jahr in Mexiko anders?

    Winkelheide: In Mexiko hat man vor allem darüber gesprochen, wie man das macht, dass man die Ziele von 2010 erreicht, also dass die Medikamente für alle verfügbar sind. Und es ist gar nicht solange her, also ich erinnere mich noch gut an die Welt-Aidskonferenz in Genf, da sagte man, ja, wir haben jetzt endlich Medikamente und die funktionieren auch und die Menschen können einigermaßen mit der Infektion umgehen, das heißt, die Krankheit bricht nicht aus, aber die Medikamente sind so teuer und die sind eigentlich nur etwas für den Westen. Und dann hat es eigentlich noch einmal vier Jahre gedauert, bis man dann sagte, ja, aber eine Behandlung ist doch wirklich lebenswichtig und es ist ein Menschenrecht auf Gesundheit, und das können wir uns nicht leisten, dass wir das nur den westlichen Ländern geben, und den Patienten in den armen Ländern vorenthalten. Und so ist das langsam ins Rollen gekommen. Ich habe mich lange unterhalten mit Kevin De Kock, der ist bei der Weltgesundheitsorganisation WHO zuständig für den Aidsbereich, und der hat gesagt, das ist doch fantastisch, wir haben innerhalb von wenigen Jahren es immerhin geschafft, dass drei Millionen Menschen die Medikamente bekommen. Wenn man das mit anderen Krankheiten vergleicht, Malaria, Tuberkulose, sagt er, wie lange hat es da gedauert, bis man überhaupt vernünftige Programme aufgelegt hat, um die Vorbeugung oder die Behandlung voranzubringen. Also, Aids ist schon eine Modellkrankheit. Es ist die wahrscheinlich am besten verstandene Virus-Krankheit, die es gibt, und auch so schnell Programme aufzulegen, ist eine Leistung. Auf der anderen Seite muss man sehen, vieles geht einfach auch viel zu langsam. Es gibt immer noch Länder, da sind Blutkonserven nicht sicher. Es gibt immer noch viele Länder, da gelingt es nicht ausreichend, dass man verhindert, dass Babys mit der HIV-Infektion auf die Welt kommen, obwohl das ganz einfach wäre. Man muss einfach nur rechtzeitig testen, dann muss man die Mutter behandeln, man muss möglicherweise, man muss idealerweise einen Kaiserschnitt machen, und dann auf Muttermilch, auf das Stillen verzichten und Ersatzprodukte geben. So problematisch das oft auch sein kann, weil gerade in diesen Ländern eben auch Durchfallerkrankungen sehr verbreitet sind und sauberes Wasser rar ist. Aber viele Sachen gibt es, die könnte man machen und die werden nicht ausreichend gemacht.

    Krauter: Wie fällt die wissenschaftliche Bilanz aus. Aus ihren Berichten der letzten Tage war zu entnehmen, dass es der eher Ernüchterung gibt in Sachen Impfstoff. Ist dieser Eindruck in der Summe so richtig?

    Winkelheide: Ich denke schon. Bei der Impfstoff-Entwicklung hat es herbe Rückschläge gegeben, auch der Bereich der Mikrobizide - also Gele, die verhindern sollen, dass Frauen sich anstecken - da kommt man noch nicht soweit, wie man es gerne hätte. Man versucht jetzt noch einen anderen Bereich, wo man sagt, welchen Effekt haben eigentlich Medikamente auf die Entwicklung einer Seuche, also Medikamente, die eigentlich dafür da sind, dass der einzelne, der individuelle Patient, dass es denen besser geht, da hat man eben auch beobachtet, dass, wenn man die Medikamente gibt, eben die Zahl der Viren im Körper heruntergeht und so weit herunter, dass diese Menschen auch weniger ansteckend sind, und dann hat man mal ausgerechnet, welchen Einfluss hat das auf die Dynamik einer Epidemie. Und dann hat man herausbekommen, dass man am Anfang sehr viel Geld reinstecken muss, aber dass man auf lange Sicht, auf 20 oder 30 oder 40 Jahre hin, nachher eben auch Einsparungen hat. Und das könnte ein politischer Anreiz sein, für viele Länder, sich stärker zu engagieren und zu sagen, tun wir lieber jetzt etwas, als dass wir in 50 Jahren soviel zahlen müssen, dass unser Gesundheitssystem zusammenbricht.