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Nicht im Einklang mit der Rechtsprechung

Nachdem die Welt Anti-Doping Agentur (WADA) versucht hat, Feuer aus der Debatte um die Affäre der UV-Blutbestrahlung von Erfurt zu nehmen, indem sie die Methode erst ab 2011 für verboten erklärte, schaltet sich jetzt der Internationale Sportgerichtshof CAS, sowie der ehemalige WADA-Präsident Richard Pound ein. Beide halten die Einschätzung der WADA für falsch.

Von Hajo Seppelt und Robert Kempe | 12.05.2012
    Stephan Netzle war für etliche Jahre quasi in persona die Messlatte für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der UV-Bestrahlung bei Sportlern. Er war der Vorsitzende Richter am Internationalen Sportgerichtshof CAS, der 2003 eine Bestrafung durch das IOC im Fall des Trainers Walter Mayer und österreichischer Skilangläufer bestätigte. Ein Urteil, das richtungsweisend zu sein schien – weil es grundsätzlich darauf abhob, dass die Anwendung von Blut im Sport nicht erlaubt sei. Dieser Grundsatz schien für Jahre unangetastet, auch nach Einführung der Regeln der Welt-Anti-Doping-Agentur 2004. Jetzt gab es aber im Fall Erfurt die Entscheidung der WADA, dass die UV-Bestrahlung vor 2011 nicht verboten gewesen sei. Stephan Netzle versteht das nicht:

    "Flächendeckend zu sagen, es war erlaubt, finde ich mutig. Ich habe immer noch Schwierigkeiten damit, das in Einklang mit der früheren Rechtsprechung zu bringen."

    Die CAS-Richter glaubten bei der Verhandlung 2003 offenkundig, dass Mayer und seine Sportler bei Olympia in Salt Lake City ein Jahr zuvor weit mehr als nur UV-Bestrahlungen durchgeführt hatten, aber verurteilt wurden sie letztlich allein wegen der Bestrahlung des Blutes der Athleten. Netzle, jetzt nicht mehr Richter am CAS, sagt, läge der Fall Erfurt heute auf seinem Tisch, er würde über die UV-Bestrahlung ebenso urteilen wie damals - und es als Dopingverstoß werten.

    "Ob das auf meinem Tisch gelandet wäre oder nicht, aber die CAS-Richter hätten sich mit Sicherheit mal den Entscheid von Walter Mayer hervorgenommen und hätten dann klar begründen müssen, warum sie den nicht wieder in gleicher Weise erlassen würden."

    "Aber Sie hätten‘s so gesehen, dass es nach wie vor so gültig ist?"

    "Ich hätte das gleich gesehen."

    2002/2003 galt noch der sogenannte OMAC, der Olympic Movement Anti Doping Code, seit 2004 gilt der Code der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA. Der Wortlaut zum Verbot der Anwendung von Blut in diesem neuen Code ist zwar nicht identisch, baut aber inhaltlich auf ihm auf - die Regel M1 in der Dopingverbotsliste. Die WADA erklärt jetzt aber anlässlich der Debatte zum Fall Erfurt, falls es sich dabei um Blutdoping handele, dann sei es verboten, auch schon vor 2011. Stephan Netzle meint dagegen, das Verbot sei schon seit jeher durch die Begriffsdefinition in der Regel klar und eindeutig:

    "Da ist Ursache und Wirkung verwechselt. M1 sagt ja, was Blutdoping ist, nämlich das Manipulieren mit Blut, kurz gesagt. Und ich kann jetzt nicht wieder sagen, ja aber nur wenn es unter einer bestimmten Absicht passiert ist. Der Zweck der ,Verbotenen Methode‘ ist ja, dass ich das genau das eben nicht nachweisen muss, was ich dann damit anfangen will, weil da komm‘ ich in einen Beweisnotstand. Das kann ich ja gar nicht beweisen. Darum hat man ja die ,Verbotene Methode‘ eingeführt, um sagen zu können, wenn ihr das macht, dann ist es verboten. Das war unsere Auffassung im Walter-Mayer-Fall und das ist sie heute noch."

    Aus der WADA verlautet nun, dass der Tatbestand der Sauerstofftransportverbesserung zu erfüllen sei, weil dies die Überschrift der Regel M1 sei. Das aber sei bei der UV-Bestrahlung ihrer Ansicht nach nicht gegeben:

    "Dass der Zweck von M1 dazu dient, dass man Blutdoping auch aus diesem Grund verbieten will, das ist mir völlig klar. Aber das ist ja nur eine Möglichkeit des Blutdopings. Ich will aber die Methode verbieten, um gar nicht nachweisen zu müssen, dass hier Sauerstoff transportiert wurde oder nicht oder die Kapazität erhöht wurde. Weil das kann ich ja gar nicht nachweisen im Nachhinein."

    Dirk Rainer Martens, ebenfalls damals Richter im Verfahren um die Blutbehandlungen von Salt Lake City, erklärte gegenüber der ARD, dass er sich der Auffassung von Stephan Netzle anschließe: UV-Bestrahlung sei damals wie heute als verbotene Methode zu betrachten. Und die WADA?
    Generaldirektor David Howman ist seit Wochen kaum erreichbar. Man könnte annehmen, der Generaldirektor, der noch vor drei Monaten das Verbot der Methode eindeutig unterstrich, sei für Nachfragen zur kniffligen Causa Erfurt nicht zu sprechen. Seit zwei Wochen verkündet die WADA, das Verbot gelte erst seit 2011, etliche deutsche Sportler, bei denen die Blutbehandlung vor 2011 durchgeführt worden sein soll, dürften ohne sportrechtliche Konsequenzen davonkommen. Nun äußert sich auch der langjährige WADA-Präsident Richard Pound. Der Kanadier führte die WADA zehn Jahre, von 1999 bis 2009. Er beurteilt die UV-Bestrahlung des Blutes eindeutig.

    "Für mich ist das eine Blutmanipulation. Da gibt es für keinen Zweifel. Jeder Laie würde zu diesem Schluss kommen. Was das Problem zu sein scheint: Wenn Du dieses Problem dann an sogenannte technische Experten heranträgst, da ist dann innerhalb dieser Gruppe mitunter keine Übereinstimmung. Jeder mit ein bisschen gesundem Menschenverstand würde aber wohl zu dem Schluss kommen würde, es ist verboten. Aber die Wissenschaftler brauchen offenbar länger, um das Offensichtliche zu sehen. Wenn wir jetzt in der Position wären, Sanktionen auszusprechen - was die WADA jetzt nicht tat - dann würde ich nicht zögern, das zu tun, es war für mich sehr klar eine Manipulation für Zwecke, die nicht einer ärztlichen Behandlung dienten."

    Nach Deutschlandfunk-Informationen sind bei der aktuellen Entscheidungsfindung der WADA einige Mitglieder der Expertenliste für die Dopingverbotslisten gar nicht konsultiert worden, andere wurden nur zur Wirkung der UV-Bestrahlung befragt. Dass gemäß WADA-Code die Wirkung für das Verbot einer Methode nicht entscheidend ist, spielte offenbar gar keine Rolle. Die WADA selbst ignorierte diese Passagen des Codes in einer neuen Stellungnahme in dieser Woche komplett. Richard Pound sieht die Entscheidung der WADA mit Sorge:

    "Nun, ich denke, das ist ein Rückschritt. Ich finde es sehr frustrierend. Wenn möglicherweise jemand doch verurteilt würde, dann käme es ja vielleicht zu einem Einspruch des Sportlers und zu einem Verfahren vor dem CAS. Und dann könnte der sagen, ganz klar, das ist es, was eben auch unter Blutdoping gemäß den Regeln zu verstehen ist."

    Aber es sieht derzeit nicht so aus, dass es zu einem CAS-Verfahren kommen wird. Denn wer sollte einen Einspruch einlegen? Die Sportler, die vor 2011 blutbehandelt wurden, werden wohl nicht belangt und werden dagegen keinen Einspruch einlegen.