Archiv


Nicht-letale Waffen

Ingenieurwissenschaften. - Bei der mittlerweile ritualisierten 1.-Mai-Kreuzberg-Randale hätten sie kaum etwas bewirkt, und ob Barrieren marodierende Hooligans - beim fiktiven WM-Endspiel Großbritannien gegen die Niederlande etwa - beeindrucken, glaubt so recht auch niemand. Trotzdem bekommen Absperrungen - heute allgemein bekannt als rot-weiß lackierte Gitter - zukünftig eine weit größere Bedeutung als bisher. Zumindest ihre Hightech-Variante, entwickelt von Wissenschaftlern des Fraunhofer-Institutes für Chemische Technologie. Auf dem 2. Europäischen Symposium über Nicht-tödliche Wirkmittel stellten Ingenieure das System vor.

    Von Mirko Smiljanic

    Die Barrieren der Pfinztaler Wissenschaftler sehen nach allem mögliche aus, nur nicht nach Barrieren: Flach verpackt liegen sie auf dem Boden, vergleichbar mit zusammengefalteten Zelten. Im Idealfall verschwinden sie sogar unsichtbar unter die Straßenoberfläche. Allerdings: Wenn die Barrieren gebraucht werden, sind sie binnen weniger Augenblicke da! Sie schießen aus dem Boden und bilden je nach Einsatzstrategie ein bis zwei Meter hohe Sperren. Für dieses Herausschießen stehen zwei Technologie zur Verfügung.

    Einmal habe ich ein Kolbensystem, wie die Hydraulikkolben bei Baumaschinen, die ich dann mittels eines Gasdrucks dann nach oben schießen lasse,...

    ... oder - sagt Joachim Neutz vom Fraunhofer Institut für Chemische Technologie in Pfinztal - die Barriere besteht aus einem großen Luftsack, den ebenfalls eine Treibladung nach oben schießt - vergleichbar mit einem riesigen Airbag. In beiden Fällen ist die Geschwindigkeit entscheidend: Die Barrieren müssen sich schnell aufrichten, so Joachim Neutz:

    Ich habe beim Gasgenerator einen Brennstoff, das sind in der Regel bei Airbags hochstickstoffhaltige organische Moleküle, ich habe noch eine Oxidator, das sind in der Regel Metallnitrate, also Kaliumnitrat, Natriumnitrat oder auch Ammoniumnitrat, die den für die Verbrennung notwendigen Sauerstoff schon im Molekül mit sich drin haben.

    Alles zusammen lässt die Hightech-Barrieren aus dem Boden schießen - vorausgesetzt, die Materialien halten die Wucht aus. Da liegt vor allem bei den mit Kolben beziehungsweise mit Teleskopstangen verstärkten Barrieren ein Problem. Um die mechanischen Elemente zu schonen, werden deshalb die Kammern stufenweise gezündet - so schnell wie beim Airbag muss es dann doch nicht sein. Die Zündzeitpunkte flexibel zu steuern, hat aber noch andere Vorteile. Neutz:

    Wenn die Menge sich jetzt mit einer sehr hohen Geschwindigkeit darauf zu bewegt, werden alle Kammern gleichzeitig gezündet; wenn ich aber ich aber merke, die Menge marschiert langsam und ich möchte jetzt so zusagen auch eine deeskalierende Wirkung von meiner Barriere erzeugen, zünde ich erste die erste Kammer, dann kommt die zweite Zündung, dann die dritte Zündung.

    Nun darf man sich nicht vorstellen, die Zündungen löst ein im Hintergrund agierender Polizist aus - weit gefehlt: Die Barrieren agieren autark, immerhin stecken sie voller Kommunikationstechnik. Ultraschall- und Infrarotsensoren geben Auskunft, was um sie herum passiert. Im Test haben sich die Sensoren bewährt, ein Videosystem ist aber eindeutig besser.

    Der Vorteil der heutigen Videosystem ist der, dass sich zwischen einem Kind unterscheiden kann, das eigentlich hier nur spielen will, und einer aggressiven Menschenmenge, das lässt sich aus den Bewegungsmustern und auch aus der Größe erkennen.

    Sind bestimmte Schwellenwerte erreicht, wird erstens ein Alarmsignal an die nächste Polizeistation abgesetzt und zweitens schießt die schlummernde Barriere in die Höhe - die übrigens weich und biegsam ist. Das ist wichtig, weil von den Sperren keine Verletzungsgefahr ausgehen darf. Letztlich haben die Pfinztaler Barrieren vor allem psychologische Bedeutung: Wer drüber klettern will, schafft es allemal. In diesem Punkt unterscheiden sie sich aber auch nicht von den heute üblichen rot-weißen Absperrgittern - da kommt auch jeder drüber.