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Nicht mehr ganz im Diesseits

Vor vier Jahren eröffnete der Bildhauer Tony Cragg in Wuppertal seinen eigenen Skulpturenpark. Er hat aus dem Buchenwald einen Ort gemacht, der nicht mehr im Diesseits zu liegen scheint. Der Park ist sein Privatmuseum und Lebensprojekt.

Von Mirko Heinemann | 10.06.2012
    Ein steiler Serpentinenweg führt aus dem Wuppertaler Stadtzentrum zum Park hoch. Hier oben, in einem Wald aus alten Buchen, hört man die Geräusche der Stadt nur noch gedämpft. Am Wegesrand liegt ein monströses Schneckenhaus, an der nächsten Biegung ragt eine gewundene Säule auf, wie eine außerirdische Pflanze. Hinter dem Kassenhäuschen müssen Besucher einen geschlossenen Gang durchschreiten mit einer Treppe, die auf einer Waldlichtung endet. Der Blick fällt auf monumentale Plastiken aus Chrom, aus Bronze oder aus buntem Kunststoff, die zwischen hohen Bäumen stehen. Mit ihren organischen Formen irritieren sie, fast scheint es, als würden sie leben. Rational Beings nennt sie der Künstler, rationale Wesen. Für Michael Marder, Verwalter des Skulpturenparks, strahlen sie eine besondere Energie aus.

    "Wenn man da genauer hinguckt, sieht man in der Silhouette der Form Gesichtsprofile, die, wenn man sich um die Skulptur herumbewegt, sich verändern, Metamorphosen durchmachen, sodass man von keinem Standpunkt aus dasselbe sieht, nicht wahr."

    Der Besitzer des riesigen Areals ist der Wuppertaler Bildhauer Tony Cragg. Er hat mit dem Park einen Lebenstraum verwirklicht, der ihn schon seit vielen Jahren verfolgt. Nun verbringt er hier so viel Zeit wie möglich.

    "Das war die Idee. Dass irgendwo in dieser hügeligen Landschaft ich eine kleine Ecke finden würde. Und dann war es tatsächlich ein Freund, der mich auf dieses Gelände hingewiesen hat, hat mir das gezeigt, und da war ich beeindruckt bis verliebt, muss ich sagen. Von Anfang an."

    Tony Cragg ist 52 Jahre alt, blassblaue Augen, graue Haare. Ein federnder Gang. So manche Besucher kommen mit ihm auf den verwinkelten Waldwegen ins Gespräch, ohne zu ahnen, mit wem sie es zu tun haben. Der "Kunstkompass" des Manager Magazins zählt Tony Cragg zu den 100 wichtigsten Künstlern weltweit. Seine Arbeiten werden von den großen Museen gekauft, Ausstellungen in Europa, den USA, in Asien zeigen seine Werke. Mit seinen Plastiken hat er eine eigene Sprache gefunden; sie sind monströs und wirken dabei leicht wie Federn. Eine Vorliebe für ein bestimmtes Material hat er dabei nicht. Er benutzt einfach alles.

    "Bildhauer sind diejenigen, die die Qualitäten, die Werte und Bedeutungen dieser Materialwelt uns bewusst machen. Und das muss bewusst gemacht werden. Weil alles, was wir im Kopf haben, ist aus dieser Materialwelt entsprungen. Es ist politisch, es ist radikal, es ist sozial, es hat für mich eine fundamentale Bedeutung für unsere Existenz."

    Anthony Douglas Cragg wurde in Liverpool geboren. In London lernte er seine erste Frau kennen, sie stammte aus Wuppertal. Als die beiden nach Deutschland gingen, sollte es zunächst nur für ein Jahr sein. Jetzt sind 35 Jahre daraus geworden.

    "Wenn Leute mich (fragen) ... warum sind Sie nach Deutschland gekommen? Ich denke, eigentlich bin ich nur nach Wuppertal gekommen."


    Inzwischen ist Tony Cragg fest verwachsen mit der Region. Vor drei Jahren hat er Markus Lüpertz als Rektor der Kunstakademie im benachbarten Düsseldorf beerbt. Das Bergische Land hat es ihm angetan, die Hügel und Wälder, die Nähe von Stadt und Natur. Jetzt steht er auf dem Hügel und schaut über die Dächer der Stadt, die zu seinen Füßen liegt.

    "Es gibt überall Wald. Aber dieser Wald in der Nähe von der Stadt in dieser Brisanz zusammen, wo die Natur gegen die Industrie treibt, das gibt eine besonders schöne Energie. Für mich ist es ein großer Einfluss."

    <im_81128>ACHTUNG NUR IM ZUSAMMENHANG MIT SONNTAGSSPAZIERGANG VERWENDEN</im_81128>2006 hat er das verlassene Anwesen des Wuppertaler Lackfabrikanten Kurt Herberts gekauft. Zwei Jahre später öffnete der Skulpturenpark seine Tore; ganz ohne öffentliche Unterstützung. Zentrum des Parks ist die Villa Waldfrieden, das ehemalige Wohnhaus der Industriellenfamilie. Es dient heute als Verwaltungsgebäude. Herberts, ein Anthroposoph, hat es nach dem Zweiten Weltkrieg bauen lassen. Das eigentümliche Gebäude hat weder Ecken noch rechte Winkel. Es unterstreicht die märchenhafte Anmutung des Parks und dient als Kulisse für das Weltmusik- und Jazz-Festival, das ein Freund von Tony Cragg hier über den Sommer veranstaltet.

    Vor der Villa steht ein Riese aus Metall, eine fünf Meter hohe Skulptur eines Mannes, der in eine altertümliche Kutte gekleidet ist. Es ist eine von zwei Plastiken, die nicht von Tony Cragg stammen. In Zukunft will er noch mehr Werke anderer Künstler zeigen.

    "Bildhauerei wird oft eingeschätzt als etwas Stehendes, Statisches, sich nicht Bewegendes, sich nicht Entwickelndes. Alles andere ist wahr! Die Bildhauerei ist eine unheimlich dynamische Disziplin, die in den letzten 50 Jahren sich unglaublich enorm, dynamisch sich entwickelt, und das ist, was ich sehen will."

    Dort, wo einst die Schwimmhalle der Fabrikantenfamilie stand, befindet sich jetzt ein Kubus aus Glas. In diesem Gebäude wirkt der Wald da draußen noch dichter, es ist, als ob die Bäume enger zusammenrücken. Passend zu der Urwald-Atmosphäre werden im Pavillon derzeit Masken und Skulpturen aus Nigeria ausgestellt. Unheimliche Mischwesen, drachenartige Tiere und Fantasiegebilde thronen auf den Sockeln und bilden ein Dschungel-Tribunal. Köpfe, halb tierisch, halb menschlich, scheinen Botschaften auszutauschen.

    Hier zeigt sich Tony Craggs Begeisterung für den Kontinent, dessen Magie sich niemand entziehen kann. Immerhin liegt dort der Ursprung der Menschheit, also auch der Kunst.

    "Sehr expressiv, direkt, sehr emotionell – zur afrikanischen Kultur haben wir alle einen großen Bezug, ob wir es wissen oder nicht."

    Die Natur, der Wald, die hölzernen Masken – sie symbolisieren auch die Anfänge von Tony Cragg. Zu Beginn seiner Karriere hat er seine Werkstoffe draußen in der Natur gefunden. Heute lässt er seine Plastiken in Metallgießereien fertigen, er arbeitet aber auch mit Holz und mit Kunststoffen. Er sei ein Materialist, sagt er, Material ist sein Rohstoff und seine Philosophie.

    "In dieser Materialwelt gibt es das Inorganische, so wie Gestein und die Elemente, und da gibt es Material, das lebend ist. Und man sieht daraus, dass sich eine gewisse Hierarchie der Materialwelt sich ergibt: Denkendes Material ist eine Seltenheit. Da muss man sagen, dass unser Gehirn in einer Materialwelt ganz oben stehen muss. Es gibt uns die Möglichkeit unsere Existenz wahrzunehmen. Auf der anderen Seite gibt es uns auch Verantwortung."

    Der Park soll im nächsten Jahr erweitert werden, dann wird er über 13 Hektar groß sein, noch mehr Werke anderer Künstler werden dazukommen. Die Vielfalt liegt Tony Cragg am Herzen, er will hier seine eigene Kunstsammlung schaffen. Kaum überraschend bei dem kommunikativen Briten ist die Erkenntnis, dass ihn am Ende doch nicht nur das Materielle interessiert, sondern auch die menschliche Dimension hinter den Kunstwerken.

    "Das ist das Spannende an der Kunst, dass man eine Einsicht bekommt, was andere Menschen denken."

    Weitere Information:
    Noch bis zum 15. Juli läuft die Ausstellung "Skulpturen und Masken aus Nigeria", begleitet von Lesungen, Vorträgen und Konzerten. Den ganzen Sommer über werden an den Wochenenden unter dem Titel "Klang-Art" Open Air Konzerte mit Jazz und Weltmusik veranstaltet. Das alles im Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal, das Programm finden Sie unter skulpturenpark-waldfrieden.de.