Samstag, 20. April 2024

Archiv


Nicht mit dem Energiekommissar

Energiekommissar Günther Oettinger hat nach der Katastrophe von Fukushima umfassende Stresstests versprochen. Vor allem aber Frankreich und Großbritannien machen sich für verwässerte Tests stark. Oettinger wiederum drohte, dass eine Überprüfung "light" mit ihm nicht zu machen sei.

Volker Finthammer im Gespräch mit Theo Geers | 11.05.2011
    Theo Geers: Zwei Monate ist es jetzt her mit Fukushima und je länger ein Ereignis zurückliegt, desto mehr erlahmt auch der Wille, aus so einem Ereignis Konsequenzen zu ziehen. Das war schon bei der Finanzkrise zu beobachten und das könnte sich jetzt auch bei der Atomkatastrophe von Fukushima wiederholen, denn unter dem frischen Eindruck der Katastrophe beschlossen beispielsweise die Staats- und Regierungschefs der EU auf ihrem Gipfel in März, dass alle 143 Atommeiler in Europa umfassend einem Stresstest unterzogen werden sollen. Doch seit Anfang Mai ist klar, dass von umfassend vielleicht doch keine Rede sein kann, denn die Kriterien für diese Tests, die könnten verwässert werden.

    Volker Finthammer, Sie sind in Straßburg. Gestern gab es am Rande der Plenarwoche des Europaparlaments den Versuch, den Streit über die möglicherweise verwässerten Stresstests zu beenden. Zunächst einmal die Frage: Worum geht es bei dem Streit?

    Volker Finthammer: Na ja, um die schlichte Frage, wie umfassend diese Tests ausfallen werden und welche Konsequenzen sich mit ihnen verbinden. Da gab es ja einige Irritationen nach dem Treffen der Energieminister in Ungarn in der vergangenen Woche, weil Frankreich und Großbritannien sich die Position des Verbandes der Westeuropäischen Nuklearaufsichtsbehörden WENRA zueigen gemacht hatten, wonach ja nur Naturkatastrophen wie Erdbeben und Hochwasser unter die Lupe genommen werden sollten, und das, so die Argumentation, sei ja das eigentliche Problem in Japan gewesen. Alle anderen potenziellen Gefahren wie menschliches Versagen oder Flugzeugabstürze, so die Forderung des Verbandes, sollten außen vor bleiben. Aber Energiekommissar Günther Oettinger hatte dem im Umgang nicht wirklich widersprochen und daher auch der Vorwurf, er wäre mit einem Stresstest light einverstanden. Aber das kam, wie Sie sich vorstellen können, im EU-Parlament nicht gut an.

    O-Ton Rebecca Harms: Und ich erwarte eigentlich von Oettinger, dass er das, was er versprochen hat an Sicherheitsüberprüfung, dass er das jetzt auch verwirklicht und dass er sich mit dem, was da vorliegt, nicht zufriedengibt, und entscheidend dafür werden höchst wahrscheinlich diese beiden Tage, Donnerstag und Freitag, und die Sitzung in Brüssel von ENSREG sein.

    Finthammer: ... , erklärte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament, Rebecca Harms. ENSREG, das ist die Gruppe der Europäischen Nuklearaufsichtsbehörden. Die trifft sich ab morgen mit dem Energiekommissar in Brüssel, um eben die Ausgestaltung der Kriterien für die Belastungsprüfungen der rund 140 europäischen Atomkraftwerke zu beraten. Offen ist noch, Theo Geers, wer die Tests durchführen soll, allein die nationalen Behörden, so wie Frankreich und Großbritannien das fordern, oder aber ein gemeinsamer europäischer Test von unabhängigen Aufsehern.

    Geers: Sie haben ja schon gesagt, Herr Finthammer, dass Herr Oettinger sich wehrt. Er hat aber auch gesagt, Stresstests light soll es mit ihm nicht geben, die gäbe es nur über seine Leiche. Welche Möglichkeiten hat denn der Energiekommissar? Wer sitzt denn in dieser Frage am längeren Hebel?

    Finthammer: Nun, an dem längeren Hebel sitzt in dieser Frage sicherlich nicht der Energiekommissar, sondern vor allen Dingen die Mitgliedsländer. Günther Oettinger hat gestern in der Tat deutlich gemacht, dass ein Stresstest light mit ihm nicht zu machen wäre, weil er setzt darauf, dass die Kriterien doch noch weiter ausgebaut werden, und zu den Möglichkeiten, was sich dann tut, da erklärte der Kommissar:

    O-Ton Günther Oettinger: Ich habe mich an Recht und Gesetz zu halten! Noch gibt es keine europäische Atomaufsicht. Die ist weder im Vertrag von Lissabon, noch im Euratom-Vertrag, noch im Stellenplan für die Kommission vorgesehen.

    Finthammer: Die Atomaufsicht ist ja in der EU wie die Energiepolitik insgesamt eine Angelegenheit der Nationalstaaten, da hat es noch keine wirkliche Kompetenzübertragung gegeben. Der Energiekommissar – das wurde deutlich – hätte sicherlich Interesse daran, aber das dürfte noch ein schwerer Weg werden, denn noch nicht einmal im EU-Parlament konnte man sich bislang auf eine gemeinsame Vorgehensweise verständigen.

    Geers: Wenn jetzt die Stresstests so umstritten sind, Herr Finthammer – letzte Frage dazu -, könnte das jetzt bedeuten, dass es unterschiedliche Kriterien gibt, dass möglicherweise hierzulande, in Deutschland, Atommeiler abgeschaltet werden, weil hier sehr streng geprüft wird, die fallen dann hier durch durch den Test, die deutschen Atomkraftwerke, und woanders laufen unsichere Meiler einfach weiter?

    Finthammer: Da gibt es eigentlich nur eine kurze und eindeutige Antwort: ja, dem wäre so. Auf der anderen Seite ist aber schon abzusehen, dass sich hier eine politische Debatte entsponnen hat, die weitergeführt werden soll, und die EU-Kommission hat sicherlich Interesse daran, dass die Kompetenzen mittelfristig übertragen werden.

    Geers: Danke schön! – Das war Volker Finthammer live aus dem Straßburger Europaparlament. Es ging um die Stresstests, um die Kriterien für diese Tests in Europa.