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Nicht nur aus der Sicht der Frauen

Vor vierzig Jahren dachten die - männlichen - Autokonstrukteure an Frauen, indem sie in die Sonnenblende auf der Beifahrerseite einen Spiegel einbauten - damit frau auch im Auto jederzeit den Sitz ihrer Frisur prüfen kann.

Von Gaby Mary |
    Seitdem ist die Zahl der Frauen am Steuer gewaltig gestiegen und mittlerweile hat auch die Fahrerseite einen Spiegel in der Sonnenklappe. Andere Bedürfnisse von Frauen wurden nicht in gleicher Weise berücksichtigt: Viele Autos sind mit Elektronik vollgestopft, eher Statussymbol als unkompliziertes Transportmittel, orientiert am - männlichen - Technikanbeter.

    Verkehrspolitisch und ökonomisch ist das nicht sinnvoll, Umdenken scheint nötig. Hilfestellung beim Umdenken kann jetzt ein Zusatzstudium Gender Studies, also zum Verhältnis der Geschlechter, an der Universität Bremen leisten. Professorin Ines Weller:

    Wenn Sie sich zum Beispiel ansehen, dass natürlich auch für Automobilhersteller zukünftig wichtig ist, sich Gedanken zu machen über mögliche Geschlechterunterschiede in den Anforderungen an ihre Produkte. Hier kann jemand, der aus dem Ingenieurbereich kommt und eine Zusatzkompetenz in diesem Feld hat, kann mit diesem i-Tüpfelchen noch mal andere Chancen im industriellen Bereich haben.

    Ines Weller ist gelernte Chemikerin und sorgt im Studiengang Produktionstechnik dafür, dass angehende Ingenieure erfahren: Nicht alles ist gut und nützlich, was Techniktüftlern so einfällt. Dass vor allem Frauen nach dem Nutzen fragen und wenig Lust auf abgedrehte Spielereien haben.

    In dem viersemestrigen Zusatzstudium Gender Studies sollen nun Studierende aller Fachrichtungen, aber auch bereits Berufstätige, theoretisch und an praktischen Beispielen lernen: Die meisten technischen Entwicklungen, die meisten politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen wirken unterschiedlich auf Männer und Frauen, auf Jungen und Mädchen.

    Der Bolzplatz, den der Stadtrat mit Geld aus dem Jugend-Etat einrichtet, ist in Wahrheit eine Investition für Jungen, Mädchen gehen leer aus. Und die fehlenden Hortplätze betreffen neben den Kindern vor allem die Mütter, die im Extremfall ihren Arbeitsplatz aufgeben müssen, wenn ihr Kind nicht betreut wird. Väter fühlen sich selten für ihre Kinder so verantwortlich, dass sie in diese Zwickmühle zwischen Job und Kinderbetreuung geraten.

    Juristin Konstanze Plett will die Studierenden befähigen zum Blick durch

    ... eine Genderbrille - dass dieser Blick ein anderer ist als der traditionelle Blick. Unsere Forschung hat gezeigt, dass dieser Blick durchaus zu neuen Einsichten führt und Wissen verbreitert und auf lange Sicht dazu beiträgt, Gesellschaft zu verändern.

    Plett und ihren Kolleginnen ist es wichtig, Interessierte aus den Natur- und Technikwissenschaften ebenso anzusprechen wie Studierende aus den Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaften.

    Zum Beispiel mit einem Blick durch die Geschlechterbrille auf E-commerce. Dabei geht es um die Präsentation des Warenangebots im Internet, aber auch um die Logistik bei der Zustellung. Ines Weller:

    Ist es so, dass doch noch vorausgesetzt wird, dass jemand zu Hause ist, der dann permanent auch da ist, um die Produkte, die per E-commerce bestellt worden sind, dann auch entgegennehmen kann?

    Moderne Technik geht oft einher mit längst überholten Vorstellungen von den Geschlechterrollen. Dabei ist den Entscheidungsträgern in Wirtschaft, Technik und Politik häufig gar nicht bewusst, welch verzerrte Klischees ihr Handeln leiten.

    Solch zählebige Geschlechterbilder pressen natürlich auch Männer in Stereotype. Wenn Werksleitung und Betriebsrat sich zum Beispiel für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stark machen, wenden sie sich in der Regel an die Frauen, eine zielgerichtete Ansprache an die Männer fehlt. Auch das ein Fall für die Gender Studies:

    Das lenkt den Blick auf beide Geschlechter, nicht nur auf das eine Geschlecht, und Frauen nicht nur als Opfer und auch nicht nur immer Benachteiligte zu sehen, sondern immer das Gesamtverhältnis, nach Frauen und Männern zu fragen, und auch nach Vor- und Nachteilen für beide.

    Das Zusatzstudium Gender Studies an der Bremer Universität soll nun dazu beitragen, alte Klischees zu durchschauen und neue Handlungsmuster zu entwickeln - im Interesse beider Geschlechter.