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Nicht nur Bouletten und Kartoffelsalat

Längst ist Berlin nicht mehr nur die Hauptstadt der Boulette, vor allem Döner gehört zum Kreuzberger Kiez dazu. Aber auch mediterrane Spezialitäten, Kaffee und Kuchen werden auf der Kulinarischen Kieztour serviert.

Von Sabine Loeprick | 27.09.2009
    Ein Sonntagvormittag im sogenannten Graefekiez in Berlin-Kreuzberg. Vor einer unscheinbaren Eckkneipe begrüsst Elke Freimuth die Gäste der heutigen kulinarischen Kieztour. Gut dreieinhalb Stunden lang wird die Gruppe zwischen Kottbusser Damm und Oranienplatz unterwegs sein, Historisches und Anekdotisches erfahren - und dabei insgesamt 7 kulinarische Stopps einlegen. Gleich zu Beginn geht es deftig und "typisch berlinerisch" zu - im Hinterzimmer der Eckkneipe, dort wo normalerweise der Skatverein "Herzdame" tagt. Zu Bouletten und Kartoffelsalat wird wahlweise Fassbrause oder Berliner Weisse serviert. Elke Freimuth erzählt, wie letztere eigentlich erfunden wurde:

    "Sie hatte ihren Ursprung wahrscheinlich im 16. Jahrhundert: Es gab im Norden von Berlin einen Brauer, der hieß Kurt Bräuhahn, und der ist nach Hamburg gereist, denn in Hamburg gab es damals ein berühmtes Bier. Und als er wieder zurück war, hat er versucht dieses Bier nachzubrauen, da entstand dann sein 'Halberstädter Bräuhahn'. Und zu Beginn des 19. Jahrhunderts , der Brauer Josty - das war der Erste, der dem Bier Kräuter zugeführt hat, hauptsächlich Waldmeister."

    Hinaus geht es nun in den Graefekiez, in dem es liebevoll sanierte Altbauten und vor allem zahlreiche Cafés, Kneipen und kleine Spezialitätenläden zu entdecken gibt. So auch das "Weinblatt" mit vielen türkischen und mediterranen Leckereien.

    Dutzende Sorten getrockneter Früchte, Nüsse und Hülsenfrüchte sind in den Auslagen aufgetürmt - für die Kiezbesucher gibt es hier eine dampfende Suppe. Die Wahl zwischen Linsen und Karotten fällt gar nicht so leicht - denn beides ist nach schmackhaftem türkischem Rezept zubereitet:

    "Da ist Pfeffer, Tomatenmark, Paprikamark, Ingwer und Minze, ja."

    Und schon geht es weiter - vorbei an einem Eiscafé, dessen Besitzer vor kurzem eine Dependance in China eröffnet haben und zum Landwehrkanal. Auf der Admiralsbrücke wartet eine Zeitungsverkäuferin geduldig auf ihrem Klappstuhl auf Kundschaft, im Urbanhafen liegen mehrere Restaurantschiffe vertaut.

    Am Fraenkel-Ufer fällt eine Häuserzeile mit geschwungenen Fassaden und filigranen Balkonen ins Auge. Die jugendstilartigen Gebäude entstanden im Rahmen der Bauausstellung von 1987. Ein Luxus damals wie heute: der weiträumige Innenhof, der mit seinem Baumbestand und dem Teich einem kleinen Park ähnelt.

    Wenige 100 Meter weiter aber ist es dann mit der Idylle vorbei. An der Gitschiner Straße weht den Besuchern ein rauer Wind entgegen. Kein Wunder, betrete man doch jetzt das "andere Kreuzberg"- von den Berlinern einfach nur SO 36 genannt, so Elke Freimuth:

    "Es ist alles etwas lauter, enger und wilder hier. SO steht übrigens für Südost - das ist der kleinere Teil von Kreuzberg. Wir stehen jetzt hier am Kottbusser Tor, der Name kommt noch aus dem 18., 19. Jahrhundert, als die Stadt von einer Zollmauer umgeben war - und man durfte sie nur durch bestimmte Tore betreten. So gibt es auch noch das Frankfurter Tor, das Hallesche Tor und hier das Kottbusser Tor. Der Berliner sagt allerdings nur Kotti."

    Das laute Rattern der U-Bahn-Linie 1 begleitet die Tourteilnehmer Richtung "Neues Kreuzberger Zentrum". Das zwölfstöckige Wohn- und Geschäftshaus aus den 70er-Jahren gilt heute als Paradebeispiel für missglückte Stadtsanierung. Gleich hinter dem trostlosen Bau aber pulsiert das Leben in der Adalbertstrasse. Kleine Cafés, asiatische und türkische Imbisse reihen sich aneinander - und fast überall ist kaum noch ein Platz zu finden. So auch im Restaurant von Mehmet Aygün - hier gibt es den in dünne Teigfladen gerollten "Dürüm Döner" zu kosten. Und der schmeckt auch den Berliner Kiezbesuchern, die ja durchaus Vergleiche ziehen können.

    Hungrig ist jetzt eigentlich keiner mehr - aber den Geschichten von Elke Freimuth hören die Gäste aus Frankreich, Süddeutschland und Berlin weiter gern zu. Da geht es um den Luisenstädtischen Kanal, der Spree und Landwehrkanal verband, 1926 wieder zugeschüttet und in eine Parkanlage umgewandelt wurde. Und da geht es zu einem der ältesten Lokale von Berlin - dem "Max und Moritz". Blaugrüne Kacheln an den Wänden, Mobiliar aus dunklem Holz und knarrende Dielen sorgen dafür, dass man sich um gut 100 Jahre zurückversetzt fühlt . Wirt Michele Kuhlmann hat die Fakten:

    "Wirtshaus seit 1902, gegründet vom Herrn Fournier, ich schätze mal hugenottischen Ursprungs , ein großer Wilhelm-Busch-Verehrer. Er ist seinerzeit auch ins Niedersächsische gereist, zum großen Meister und hat ihn gefragt, ob er sein Wirtshaus 'Max und Moritz' nennen darf. Der Meister hat eingewilligt unter der Prämisse, dass einmal pro Woche eine Armenspeisung mit Erbsensuppe stattfindet. Wilhelm Busch war zwar selbst nie hier, aber in den 20er-Jahren war es zum Beispiel das Stammlokal von Zille. Wir haben Glück gehabt, im Krieg ist das Haus weitgehend unzerstört geblieben, obwohl das hier die Hauptschneise zum Führerbunker war. Also, diese Stühle, diese Fliesen, diese Messingarbeiten - das ist alles noch original."

    Es geht auf die Kaffeezeit zu - und so endet dieser Spaziergang durch Kreuzberg Kieztour beim "Kuchenkaiser", seit 1866 eine Institution am Oranienplatz. Während sich ihre Zuhörer Apfelkuchen schmecken lassen, erzählt Elke Freimuth aus der Geschichte des Lokals. Wer hätte gedacht, dass es hier die erste Eingangsdrehtür Berlins gab und dass Kuchen und Eis aus Berlin-Kreuzberg an Bord der Luftschiffe in die USA serviert wurden?

    Gesättigt und mit vielen neuen Eindrücken verabschiedet man sich schließlich am Kottbusser Tor - und für die Berliner Tourteilnehmer steht eines schon jetzt fest: Sie werden wiederkommen in den Kiez, zum Bummeln und natürlich zum Essen:

    "Ich finde es interessant, dass man diese Vielfalt auf engstem Raum einmal kennengelernt hat. Und ich werde hierher auf jeden Fall noch einmal mit dem Fotoapparat kommen. Es gibt hier so viel zu entdecken, das kann man wahrscheinlich nicht mal in drei Tagen fotografieren. Und auch die Spezialitäten, das alles noch mal zu probieren."

    ""Da kann ich nur zustimmen - absolut!"