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Nicht nur in der Südsee - Korallenriffe im Nordatlantik

Korallenriffe gelten als Tropenwälder der Meere, denn sie bieten für unzählige Arten vielfältige Lebensräume im Meer. Wie ihr Gegenstück auf dem Land sind auch diese Tropenwälder von einer zunehmenden Zerstörung bedroht - durch Überfischung, Umweltverschmutzung und Ablagerungen. In einer vor vier Monaten vorgelegten US-Studie hatten Meereswissenschaftler belegt, dass von rund 1.100 untersuchten Riffen in 60 Ländern sich nur ein einziges in der Nähe von Madagaskar als unberührt und gesund erwies. Die meisten Korallenriffe liegen in den Gewässern Südostasiens, und allgemein verbinden wir Korallen mit warmem und klarem Wasser in tropischen Regionen. Es gibt aber auch, was viele nicht wissen, Riffe im Nordatlantik, so genannte Kaltwasserkorallen. Doch auch diese weniger bekannten Korallenriffe sind bereits in ihrem Bestand gefährdet.

Von Gaby Mayr | 20.12.2002
    Die Propeller laufen ins Leere, denn das Gerät im Schreibtischformat mit gelber Karosserie ist in der Halle der Universität Bremen nur geparkt. Eingesetzt wird ist es unter Wasser, bis zu einer Tiefe von 1.000 Metern - erklärt Volker Ratmeyer vom Forschungszentrum Ozeanränder:

    Es ist ein schwimmender Roboter, im Englischen sagt man auch "free flying", also man fliegt es regelrecht über den Meeresboden anhand von Propellern und eines Auftriebsschaumes. Was Sie hier sehen, das ist die Gewichtsbalance, der Auftrieb, um es schwebend im Wasser zu halten.

    Der schwimmende Roboter ist bestückt mit einer Videokamera, einem Sonargerät, dessen Schallwellen Objekte bis auf 300 Meter erkennen, und einem Greifarm. Der Apparat hilft bei der Erforschung von Korallenriffen im Nordatlantik. Vor nicht einmal zehn Jahren wurden die Kaltwasserkorallen entdeckt, erzählt Projektleiter Dierk Hebbeln, ein Geologe:

    Diese Korallen haben wir gefunden vor Irland, im tiefen Nordatlantik, in Wassertiefen von 800 Metern. Es sind große Hügel oder Berge, teilweise 300 Meter hoch über dem umgebenden Meeresboden, und dort sind Korallenwälder drauf, sogar farbige Korallen, was man bis heute nicht verstanden hat, warum in diesen Wassertiefen, wo es dunkel ist, wo überhaupt kein Licht ist, die Korallen Farben haben.

    Inzwischen weiß man, dass es im Nordatlantik Korallen bis hinauf nach Norwegen und Spitzbergen gibt. Aber warum sind sie entstanden?

    Man hat die Beobachtung gemacht, dass diese Korallenriffe nur in Gegenden auftauchen, wo wir Erdöl im Untergund haben. Und nun ist die Theorie aufgestellt worden, dass dort, wo Kohlenwasserstoff - also nicht direkt das Erdöl, sondern ein dazugehöriges Gas - am Meeresboden austritt, dass sich an solchen Stellen solche Riffe gebildet haben.

    In der Südsee leben die Korallen im flachen Wasser. Sie wachsen durch Sonneneinstrahlung in Symbiose mit dort ebenfalls lebenden Algen. Die Korallen im Nordatlantik wachsen anders:

    Da ist überhaupt kein Licht, das heißt, dort kann keine Photosynthese betrieben werden. Diese Korallen fressen, also die nehmen Nahrungspartikel, die im Wasser rumschwimmen, auf.

    Nicht Wissenschaftler, sondern Fischer stießen als erste auf die Korallen im Nordatlantik: In ihren Schleppnetzen fanden sie Korallenstücke. Die Fischer folgen den Fischschwärmen - und die tummeln sich gerne in den Urwäldern auf dem Meeresboden, erklärt Teammitglied Boris Dorschel:

    Wahrscheinlich hat das mit Zuflucht für Brutfische zu tun. Wenn man vor Ort arbeitet, sieht man überall Fischkutter, die mit Schleppnetzen nach Tiefseefischen, nach Edelfischen fischen. Und man sieht überall an den Korallenriffen auch schon Spuren, wo Fischernetze hängen geblieben sind.

    Falls es sich bewahrheitet, dass Erdöl nicht weit ist, wo Kaltwasserkorallen wachsen, könnte eines Tages auch die Ölförderung zur Gefahr für die Korallenriffe werden. In Großbritannien jedenfalls versucht man bereits, Schutzgebiete für Kaltwasserkorallen einzurichten. In Bremen werten die Wissenschaftler ihre Videoaufnahmen und Sonaraufzeichnungen aus und untersuchen die Proben, die sie von den Korallenwäldern vor Irland mitgebracht haben:

    Zum einen arbeiten Biologen daran, um zu gucken, ob man Klimaarchive anhand dieser Korallen erstellen kann: Während sie wachsen, bauen sie halt Informationen aus der Umgebung in ihr Kalkskelett ein. Andere gucken, ob es Zonen gibt, wo die Korallen besonders gerne wachsen, wo sie weniger wachsen, wo der Übergang ist zwischen Korallenwachstum und dem umgebenden Sediment. Andere Gruppen versuchen zu kucken, wie sich die Geschichte dieser Mounds in den letzten Hunderttausend Jahren verändert hat.

    Bisher konnten die Bremer Wissenschaftler nur ein paar Meter tief bohren und Proben entnehmen. Mit einem neu entwickelten Gerät wollen sie in Zukunft bis auf den Grund der Mounds - der Korallen bestandenen Hügel - gelangen. Davon erhoffen sich die Wissenschaftler noch präzisere Antworten auf ihre Fragen.

    Ganz praktisch hilft die Arbeit des Forschungszentrums Ozeanränder zum Beispiel bei der Suche nach neuen Wirkstoffen für Medikamente. Dierk Hebbeln verweist auf die unbekannten Schätze der Korallenwälder:

    Da sind viele Organismen, die sind nicht beschrieben. Die hat noch kein Mensch vorher gesehen. Ein Aspekt ist die Suche nach neuen Wirkstoffen für die pharmazeutische Industrie, die ja immer mehr auch aus lebenden Organismen gewonnen werden. Und da sucht man entweder im Regenwald oder eben im Meer, überall dort, wo es noch viele unentdeckte Arten gibt.