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Nicht nur Nokia

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Jan Pallokat |
    Das Land der zahllosen Wälder und Seen erbebte, als Jorma Ollila grundsätzlich wurde. Der Chef des finnischen Handy-Riesen "Nokia" sagte im finnischen Fernsehen, eine so hohe Steuerlast wie in Finnland sei für einen Konzern wie Nokia eigentlich "unhaltbar". In diesem Zusammenhang sprach Ollila von "fünf Jahren", was später als Ultimatum missverstanden wurde.

    Nokia bleibt im Heimatland, ließ das Unternehmen richtig stellen. Doch eine die Finnen beängstigende Frage stand im Raum: Was wäre Finnland ohne Nokia?

    Schlösse das Unternehmen von heute auf morgen die Pforten, den Schlag würde das Mitglied von EU und Währungsunion wohl kaum verkraften. Der Handy-Bauer bestreitet ein Drittel des finnischen Unternehmens-Steueraufkommens und ein Viertel der Exporte. Der Handy-Produzent, ein Technologie-Star auch im europäischen Rahmen, symbolisiert wie kein anderes Unternehmen den Phoenix-artigen Aufstieg des Landes aus der schweren Krise der frühen 90er Jahre.

    Doch verdankt Finnland das wirklich Nokia? Oder ist umgekehrt Nokia das keineswegs zufällige Produkt einer klugen Wirtschaftspolitik? Kann es überhaupt Zufall sein, dass der Weltmarktführer für Mobiltelefone ausgerechnet aus einem Land am Polarkreis kommt, das das Gros seiner Exporte per Schiff auf den Weg bringen muss?

    Auf der Suche nach dem Kern des finnischen Wirtschaftswunders besuchen wir zunächst Nokia selbst - im Städtchen Salo, eine gute Zugstunde westlich von Helsinki.

    Der Zug hält irgendwo im Nirgendwo. Eine holprige Asphaltfläche dient als Bahnsteig und Parkplatz zugleich, kein Hinweisschild, kein Personal. An einer Schnellstraße piepst eine sehbehindertengerechte Ampel Fußgängern entgegen, die nie kommen. Und doch stehen hier, nur ein paar hundert Meter die Straße herunter, die Hallen von Nokia.

    Hier kontrolliert Hannu Ervasto die Fließbandproduktion der Handys, die am Ende einer teilautomatischen Fertigungsstraße von den Arbeitern in Versandkartons gelegt werden. Ervasto, der selbst in Salo geboren ist, staunt noch immer, dass ausgerechnet in seiner Stadt ein Herz schlägt der schönen neuen HighTech-Welt.

    Noch vor 20 Jahren konnten wir mit Ausländern überhaupt nichts anfangen, wir hatten Angst vor ihnen. Inzwischen genießen wir den Umgang mit verschiedenen Nationalitäten, mit Amerikanern und Japanern. Es ist eine echte Herausforderung, hier alles unter einen Hut zu bekommen.

    Der Aufstiegs Nokias unter Jorma Ollila ist bereits Legende. Er erkannte als einer der Ersten, dass Mobiltelefone nicht nur Status-Symbol für Geschäftsleute, sondern Massenprodukte sein können. Beherzt verkaufte Anfang der 90er Jahre der damals 42jährige sämtliche telefonfremden Bereiche des angeschlagenen Mischkonzerns Nokia, und setzte alles auf die Telefon-Karte.

    Doch Ollilas richtiger Riecher ist nur ein Aspekt. Er und seine gleichjungen Mitstreiter etablierten einen pragmatischen, teamorientierten Führungsstil. Durch ihn ersetzten sie die hierarchischen Strukturen des alten Mischkonzerns, die ganz auf machtbewusste Patrone zugeschnitten waren.

    Die "flachsten Hierarchien der Welt". Nokia machte nie Schlagzeilen durch gigantische Übernahmen oder Fusionen. Das Unternehmen wuchs stets aus sich selbst heraus. Lauri Kivinen, beim Nokia-Vorstand für die Pressearbeit zuständig, beschreibt den eigenen Führungsstil so:

    Wir sind nicht eine Firma, die mit Protokollen, Manuals, geführt wird, sondern eher mit Pragmatismus und großer Geschwindigkeit.

    Nokia macht wahrscheinlich genauso viele Fehler wie die Konkurrenz -vermochte es aber bislang, schneller aus ihnen zu lernen. Selbst im Abschwungjahr 2001 verdienten die Finnen Milliarden. Die Konkurrenten schrieben Milliardenverluste.

    Es hat uns geholfen, dass wir nicht Belegschaft abbauen mussten. Wir sind wesentlich kleiner als viele unserer Konkurrenten, die am Umsatz gemessen genauso groß sind. Das gibt natürlich Zuversicht für alle, die hier arbeiten. Dass wir nicht schnell gegen die Wand fahren.

    Ganz im Gegenteil: Der Weltmarktanteil der Finnen lag zuletzt bei 37 Prozent. Über 300 Millionen Menschen weltweit tragen heute ein finnisches Handy mit sich herum. "Made in Finnland" aber steht dort nur unscheinbar auf der Rückseite. Weltweit halten viele Nokia für eine asiatische, vielleicht koreanische Firma, und das Management macht keine Anstalten, daran etwas zu ändern.

    Finnland ist ein neutrales Heim, und das hilft uns in vielem. Aber ob der Konsument darauf Wert legen würde, dass Nokia aus Finnland kommt, ist fraglich. Der Konsument schätzt Preis, Qualität und Marke. Wo es Sinn macht, wo es von Vorteil ist, betonen wir gern, dass Nokia aus Finnland kommt.

    Wird die Autoindustrie noch immer vor allem in Deutschland verortet, sind die USA für ihre Computerindustrie weltbekannt, so ist der Mobilfunk die erste große Branche, die im globalen Gewande daherkommt.

    Nokia forscht auf drei und produziert auf vier Kontinenten. Doch im Kern ist es ein finnisches Unternehmen geblieben. 40 Prozent der Belegschaft und das Spitzenmanagement arbeitet im Heimatland des Unternehmens.

    Insbesondere der Geist, der in der Firma herrscht, ist finnischer Natur. Denn die skizzierten Erfolgspfeiler des Unternehmens - Pragmatismus und Offenheit, Lernbereitschaft und Interesse, flache Hierarchien und Teamdenken - sie finden sich auch anderswo in der finnischen Gesellschaft wieder.

    Sie entdeckt man sogar da, wo man sie am wenigsten vermutet - in der staatlichen Verwaltung. Das finnische Einwohnermeldeamt hat seine Meldevorgänge aufs Internet verlagert. Mehr und mehr Finnen erledigen Umzugsformalitäten daheim am Computer, erklärt Anna Lautamus-Kaupilla vom zentralen Melderegister Finnlands.

    Wir haben früher auch alles manuell eingetippt. Heute übernehmen unsere Leute andere, anspruchsvollere Tätigkeiten. Mehr Arbeitslose gibt es dadurch nicht, wohl aber viel bessere Staatsdienstleistungen. Früher brauchte man viele Dokumente, um seine Identität zu belegen. Heute rennen nicht mehr die Leute umher, sondern die Daten.

    Das Lausanner Wirtschaftsforschungsinstitutes IMD veröffentlicht jährlich sein "Competitiveness Yearbook", eine Rangliste der attraktivsten Staaten aus ökonomischer Sicht. Finnland schob sich darin zuletzt auf Platz drei hinter die USA und Singapur. Das IMD lobte besonders eine innvovationsfreundliche Gesetzgebung und einen weitgehend dienstleistungsorientierten Öffentlichen Dienst.

    Doch wer sucht, kann auch in Finnland Bürokraten finden. Darauf stieß etwa die deutsche Handelskette Bauhaus, als sie am Rande der Hauptstadt Helsinki in einem Gewerbegebiet den ersten großen Markt eröffnete. Bauhaus bekam es bald mit der finnischen Verbraucherschutzbehörde zu tun, berichtet Manager Teemu Kuusijärvi.

    Verbraucherschutz ist einheitlich in Europa, aber die Auslegung ist verschieden von Land zu Land. Sie beziehen sich jetzt auf die Preisgarantien, die Bauhaus auch hier in der Werbung gehabt hat. Da gab es Probleme mit den Behörden, und das ist jetzt in der Verhandlung.

    Aber auch Kuusijärvi spricht von einer Ausnahme, die eine Regel bestätigt: Die finnische Bürokratie funktioniert vergleichsweise effizient. Der Bauhaus-Zentrale berichtete er: "Auf die anderswo vielleicht üblichen Schmiergelder können wir in Finnland verzichten." Das Land profitiert wie alle kleinen Länder von einer fast natürlichen Solidarität. Gerade Mal fünf Millionen Finnen zählt das Land, und die sind einfacher hinter unpopuläre Entscheidungen einer Regierung zu stellen als zum Beispiel 80 Millionen Deutsche. Nokia-Manager Lauri Kivinen:

    Ich glaube, dass Finnland den Vorteil hat, ein sehr homogenes Land zu sein. 95 Prozent sprechen finnisch, 5 Prozent schwedisch. Über 90 Prozent gehören der evangelisch-lutherischen Kirche an. Über die Hälfte macht das nationale Abitur mit der gleichen Struktur. Es ist ein homogenes Land, wo es leicht ist, Strukturen einzufügen. Die andere Seite: Viele finden es langweilig, weil wir nicht genügend Farben haben.

    Keine bunten Ideologien prägen die gesellschaftliche Diskussion, keine Betonfraktionen stellen Maximalforderungen auf. Stattdessen steht die Zweckmäßigkeit im Mittelpunkt.

    Nach Abwägung der Chancen und Risiken kommt Finnland zu manchmal erstaunlichen Resultaten. So entschied sich das Parlament vor kurzem für den Bau neuer Atomkraftwerke - und steht damit ziemlich allein in West-Europa.

    Den Euro haben auch die Finnen heiß diskutiert - aber lange vor dem Beitritt zur Europäischen Währungsunion. Als das Land den Weg in die Währungsunion erst einmal eingeschlagen hatte, wandten seine Bewohner sich anderen, noch kommenden Themen zu. Dem Euro stimmen in Umfragen seit Jahren zwei Drittel zu - einmalig im Euro-Raum.

    In Finnland verfassen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände gemeinsam Broschüren zur Lage des Arbeitsmarktes. Vor Tarifverhandlungen setzen sich die Volkswirte beider Verbände zusammen, um sich über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verständigen.

    Christian Andersson, zweiter Mann beim finnischen Maschinenbauer Wärtsilä mit 10.000 Mitarbeitern weltweit, zeigt sich zufrieden mit der generellen Haltung der finnischen Gewerkschaften.

    Wir hatten hier immer sehr enge Beziehungen zu unseren Mitarbeitern. Die Entfernungen sind kurz. Es gibt Offenheit, Dialog, und eine große Nähe. Wir haben aber auch sehr verantwortungsbewusste Gewerkschaften in Finnland, auch sie verstehen sich auf Dialog. Kurz: Die Gegensätze sind hier nicht so schroff.

    Auf diese Weise schüttelten die Finnen auch die große Krise der frühen 90er Jahre ab. In nur drei Jahren schrumpfte damals die finnische Wirtschaft um rund 11 Prozent, und die Arbeitslosigkeit schnellte hoch bis auf 18 Prozent. Überholte Strukturen, schwerfällige Firmenkonglomerate und unsolide Bilanzen bildeten seinerzeit ein nur noch marodes Wirtschaftsgerüst. Der Einsturz kam mit dem Zusammenbruch des Absatzmarktes Sowjetunion.

    Nach Meinung zahlreicher Ökonomen leisteten damals vor allem die finnischen Gewerkschaften einen wesentlichen Beitrag zur Gesundung der Wirtschaft, als sie in einer zentralen Vereinbarung auf Lohnerhöhungen verzichteten. Dennoch sind noch immer mehr als 80 Prozent der Beschäftigten organisiert, schätzt Peter Boldt, Chefvolkswirt beim finnischen Gewerkschaftsbund SAK.

    Der entscheidende Grund, warum die Gewerkschaften eine moderate Lohnpolitik unterstützt haben, ist dieser: Wir wollten versuchen, unsere Wirtschaft in die Lage zu versetzen, neue Jobs zu schaffen. Unsere Mitglieder haben gerade vor kurzem in einer Umfrage wieder erklärt, dass Arbeitsplätze das allerwichtigste sind. Lohnerhöhungen halten sie für weniger bedeutend. Es gibt eine besondere Solidarität: Die tiefe, tiefe Krise der 90er Jahre hat die Haltung der Menschen klar verändert. Sie haben die Bedeutung von Stabilität und Voraussagbarkeit erfasst. Und wir haben unsere Lohnpolitik daran angepasst.

    Die Krise erwies sich als heilsamer Schock. Sie fegte alte Besitzstände bei Seite und machte neuem Denken Platz. Die Finnen redeten nicht nur über die Starrheit des Arbeitsmarktes, sie brachen sie auf, sagt Gewerkschafts-Volkswirt Peter Boldt.

    Der finnische Arbeitsmarkt ist sehr flexibel geworden. Die Möglichkeit, jemanden zu feuern, ist ausgesprochen - liberal. Wenn ein Unternehmen wirtschaftliche Schwierigkeiten hat, sind Entlassungen ohne große Kosten möglich. Und auch die Option, Mitarbeiter eine Zeit lang in den unbezahlten Urlaub zu schicken, ist in einer wirtschaftlichen Krise immer vorhanden.

    Um etwa anderthalb Prozent im Jahr zogen die finnischen Reallöhne in den letzten Jahren an - und blieben deutlich hinter den Profiten der Unternehmen zurück. Denn das finnische Wirtschaftswachstum lag in den Boomjahren der späten 90er Jahre um fünf Prozent im Jahr.

    Doch Liberalisierung der Wirtschaft und Einschnitte beim Arbeitnehmerschutz sind nur eine Seite des finnischen Aufschwungs. Die andere ist die finnische Sozialpolitik. Der Wohlfahrtsstaat ist in der Krise der 90er Jahre keineswegs geschrumpft, urteilt der Sozialwissenschaftler Pekka Himanen.

    Zum steuerfinanzierten finnischen Sozialstaat gehören kostenlose, gut ausgestatteten Bildungsinstitutionen, Komplettversorgung für alle im Gesundheitssystem, sowie großzügige Renten und Sozialversicherungen.

    Auch ihre Bildung lassen sich die Finnen einiges kosten. Die Krise der 90er Jahre bewirkte hier ebenfalls eine neue Bestandsaufnahme. Die geografische Randlage des Landes, der Mangel an zukunftsträchtige Rohstoffen und der kleine Binnenmarkt ließen nur einen Schluss zu: Finnland musste seine einzige Ressource, das Humankapital, aktivieren.

    Die Ausgaben Finnlands für Forschung und Entwicklung betragen inzwischen über drei Prozent des Sozialprodukts. Sie liegen damit so hoch wie kaum irgendwo auf der Welt. Die finnischen Universitäten gelten als effizient und praxisnah, die Verzahnung mit der Wirtschaft als besonders eng. In der UN-Rangliste der technologisch entwickeltsten Staaten stand Finnland zuletzt ganz oben - noch vor den USA. Nicht einmal eine Traditionsbranche blieb vom Hightech-Boom ausgeschlossen. Die finnische Holz- und Papierindustrie begnügt sich längst nicht mehr mit Rohstoff-Exporten. Ob Logistik, moderne Verarbeitungsmethoden oder Recycling: Weltweit mischen finnische Firmen mit. In weiten Bereichen sind sie, zumal in Europa, technologisch führend, betont Claes von Ungern-Sternberg, Direktor des finnischen Forstindustrie-Verbandes.

    Für uns war damals die Holz- und Papierindustrie das, was für Deutschland die Automobilindustrie ist. Da ging es ums Ganze. Wir exportieren 90 Prozent unserer Erzeugnisse. Finnland ist mit fünf Millionen Menschen kein großer Markt. Wir können in Finnland nicht eine so große Kapazität tätigen, wenn wir nicht stark auf den Märkten der Zukunft sind. Deswegen müssen wir immer eine führende Stellung behalten. Mit Export aus Finnland kann man die Weltmärkte nicht beherrschen. Wir müssen vor Ort dabei sein, auch als Produzent. Eine globale Stellung stärkt die Industrie auch zu Hause.

    Hier schließt sich der Kreis zum Handy-Konzern Nokia, der auch einmal als Holzunternehmen begann. Denn Nokia-Manager Kivinen sagt, was auch sein Kollege aus der Forstwirtschaft formulieren könnte.

    Dank des kleinen Heimatmarktes - ich betone: Dank - ist es für finnische Firmen wichtig, international zu denken, denn wir können uns nicht auf einem Heimatmarkt ausruhen, sondern müssen Produkte machen, die sich auf dem Weltmarkt bewähren.

    Bildungswesen und Wohlfahrtstaat lässt sich Finnland einiges kosten: Die Mehrwertsteuer liegt bei 22 Prozent, und mit einer der höchsten Einkommenssteuer-Quoten weltweit langt der Staat gleich noch einmal kräftig zu. Christian Andersson, Manager des Maschinenbauers Wärtsilä, sieht darin aber nicht das große Problem.

    Wir haben eines begriffen: Wenn wir ein starkes Bildungssystem und ein gutes Gesundheitssystem erhalten wollen, dann kostet das Geld. Und da gibt es wenig andere Möglichkeiten als über Steuern zu gehen. Natürlich kann alles immer effizienter gesteuert und verbessert werden. Aber auch in der staatlichen Verwaltung wird das begriffen.

    Versucht man anderswo, den ineffizienten Staat abzubauen, ist es den Finnen gelungen, ihn zu modernisieren. Der führende Analytiker der Netzwerkgesellschaft, der Soziologe Manuel Castells, stellt das Land sogar in eine Reihe mit Hightech-Brennpunkten wie dem Silicon Valley oder Singapur. Der Finnland-Fan jubelt: Nur in Finnland gibt es die Symbiose aus technologiebasiertem Wirtschaftswachstum, einer offenen Gesellschaft - und dem Wohlfahrtstaat.

    Das aber geht vielen Finnen dann doch zu weit. Zwar liegen zwischen den Krisenzeiten vor zehn Jahren und heute bereits Welten, aber das Ausmaß des Abschwunges sitzt den Menschen noch immer in den Knochen. Und noch heute, trotz aller Erfolge, ist längst nicht jedes Defizit beseitigt.

    Die Arbeitslosigkeit zum Beispiel: Sie kam in der Krise von 18 Prozent, jetzt liegt sie bei etwa neun. Viel weniger als damals, aber immer noch viel zu viel, sagen die Finnen - auch im europäischen Vergleich. Nicht alle konnten im Zeitraffer umlernen auf die Bedürfnisse der Kommunikationsindustrie.

    Auch in Finnland gibt es Fachkräftemangel, vor allem in klassichen Industrieberufen wie Chemie und Forstwirtschaft. Bildungsanstrengungen, so lernen die Finnen, brauchen lange, bis sie richtig wirken. Ausländer aber lassen sich nur schwer ins Land der dunklen Winter locken. Sie schrecken zudem Lebenshaltungskosten, die im EU-Vergleich die höchsten sind.

    All das macht nachdenklich inmitten des Erfolgs. Auch die Stärke Nokias gibt da schnell Anlass zur Sorge. Die Finnen wünschen sich weitere starke Arme, die ihre Wirtschaft halten, mehr als nur den einen, der letztlich seine Kraft aus einem Produkt bezieht.

    Seit dem Winter haben es die Finnen auch schwarz auf weiß: Ihre Wirtschaft, die zuvor kraftvoll wuchs, ist in der derzeitigen Flaute schnell zum EU-Schlusslicht geworden. Auf einmal wächst sie noch langsamer als in Europas dauermüdem Tanker, der Bundesrepublik Deutschland.

    Ein Rückfall in den Protektionismus wäre verheerend. Exporte machen fast die Hälfte des finnischen Wirtschaftswachstums aus. Das Land ist unübersehbar Gewinner der Globalisierung - und wäre eines der ersten Opfer ihres Scheiterns.

    Doch in der nun ersten Flaute seit Überwindung der großen Krise sieht der Vize-Chef des Maschinenbauer Wärtsilä, Christian Andersson, Finnland bereits gerüstet für den nächsten Aufschwung:

    Der Zustand der finnischen Firmen ist heute viel besser als in den frühen 90er Jahren, wenn sie die Bilanzen anschauen. Wir können einige Zeit durchhalten, ohne von der Krise besonders betroffen zu werden. Aber es ist immer schwierig, Prognosen zu machen. Es kommt natürlich darauf an, wie lange die Flaute anhält. Es gibt ja bereits Erholungssignale in einigen Ländern. Wir haben das selbst schon in einigen Märkten festgestellt, in Südafrika oder Indien. Ich bin wirklich nicht sehr pessimistisch.

    Die Finnen haben bewiesen, dass auch schwere Krisen zu meistern sind - durch Pragmatismus und Bildungsanstrengungen, durch Offenheit für neue Technologien und solidarisches Denken, auch durch Bescheidenheit und Opferbereitschaft.

    In nur zehn Jahren gelang ihnen der Wandel vom ökonomischen Sorgenkind des Kontinents zum Impulsgeber der EU. "Vieles geht, wenn man nur wirklich will" - für diese Einstellung hält die finnische Sprache sogar ein eigenes Wort bereit: "Sisu". Im Deutschen gibt es dafür leider keine genaue Übersetzung.