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Nicht nur sauber, sondern rein

Reichlich deplatziert wirkt das weiß gekalkte Gebäude am Rande des Dorfes Roetgen in der Nordeifel. 20 Meter hoch, innen eine riesige Halle mit Wasserbecken, so weit das Auge reicht. Doch für die Stadt Aachen ist der unförmige Kasten in Roetgen wichtiger, als viele Bewohner der Alemannia-Stadt ahnen.

Von Hellmuth Nordwig |
    " Wir liefern einen großen Teil des Wasserbedarfs an die Stadtwerke Aachen, die das Wasser dann in Aachen verteilen. Wir versorgen den kompletten Kreis Aachen und einen Teil vom Kreis Heinsberg. Und Vaels und Kerkraede, nach Holland rüber. "

    Peter Sous hat im Wasserwerk von Roetgen das Sagen. Seit 20 Jahren arbeitet er hier, ist verantwortlich für das Trinkwasser von einer halben Million Menschen. Und dafür, dass das kostbare Nass auch dann ausreicht, wenn der Bedarf plötzlich ansteigt.

    " Montag Morgens, wenn die Leute duschen und in die Arbeit fahren, ist er am größten. Wir stellen auch fest, wenn im Fernsehen Fußballspiele sind oder größere Veranstaltungen sind, dass die Leute zu gewissen Zeiten Wasser nutzen und wir zu anderen Zeiten ruhiger fahren können. "

    Die Becken im Roetgener Werk dienen als Vorratsbehälter für die Spitzenzeiten. Das Wasser stammt aus einem Stausee, der Dreilägerbach-Talsperre. Die Staumauer ragt gleich hinter dem Werk zehn Meter in die Höhe auf. Damit die Aachener mit dem acht Grad kühlen Nass duschen und trinken können, muss es das Wasserwerk Roetgen so sauber verlassen, wie es die Trinkwasserverordnung vorschreibt: frei von sichtbarem Schmutz, von Bakterien und Viren. Chemikalien haben im Trinkwasser ebenfalls nichts zu suchen.

    " Wir verlegen uns nicht darauf, zu versuchen, die Werte gerade eben einzuhalten, sondern wir wollen von vornherein sicherstellen, dass wir absolut im Rahmen der Parameter sind. Um diese Sicherheit zu haben, muss man im Rahmen der Technik natürlich entsprechende Ansprüche stellen. "

    Und die werden mit jeder Neufassung der Trinkwasserverordnung strenger. Es war abzusehen, dass die Aufbereitungsanlage aus den 1970er Jahren die Vorschriften irgendwann nicht mehr erfüllen würde. Deshalb planten die Betreiber eine völlig neue Wasseraufbereitung für Aachen.

    " Die Anlage, die wir hier heute bauen, soll im Vergleich zur bestehenden eine wesentlich höhere Sicherheit haben – zum Schutz der Verbraucher, aber auch, um die Trinkwasserverordnung einzuhalten. "

    Die meisten Wasserwerke bereiten das Trinkwasser immer noch so auf, wie es bis vor kurzem auch in Roetgen der Fall war: Zunächst wird dem Rohwasser ein so genanntes Flockungsmittel zugesetzt, zum Beispiel Aluminiumsulfat. Diese Chemikalie tut das, was der Name sagt, sie bildet Flocken im Wasser, an der alle Schwebstoffe und gelöste Verunreinigungen des Wassers hängen bleiben sollen. Mit der Zeit ballen sich diese Flocken zu größeren Klumpen zusammen, die auf dem Wasser schwimmen. Sie werden in einem Sieb abfiltriert. In einem zweiten Schritt werden Eisen und Mangan aus dem Wasser heraus geholt - dieses Mal sind die Flocken braun wie Rost. Wieder wird das Wasser gefiltert und dann zur Desinfektion mit Chlor versetzt, meist mit einer Menge, die so gering ist, dass die Verbraucher davon nichts mitbekommen. Inzwischen gibt es aber eine Möglichkeit, auf die Flockung zu verzichten: Filter, die so fein sind, dass sie die Verunreinigungen direkt zurückhalten. Diese so genannten Membranen kann man sich so ähnlich vorstellen wie Kaffeefilter, sagt Heinrich Beforth von der niederländischen Firma X-Flow.

    " So ganz anders ist das eigentlich gar nicht. Nur sind die Poren in diesen Membranen noch viel feiner als in einem Kaffeefilter. Die haben noch ganz andere Dimensionen. Wir gehen hier runter in den Bereich von 10 bis 20 Nanometern, das sind also schon sehr feine Poren, die auf Grund spezieller Herstellungsverfahren darstellbar sind. "

    Solche Filtermembranen aus Kunststoff wurde Anfang der 70er Jahre zunächst für die biotechnologische Industrie entwickelt. Dort setzt man Bakterien in einer Nährlösung quasi als lebende Reaktionskolben ein, die Stoffe aller Art produzieren. Nachdem die Einzeller diese Aufgabe erfüllt haben, müssen sie aber wieder entfernt werden. Und dazu benutzt die Industrie die porösen Kunststofffolien. Diese Membranen können jedoch nicht nur Bakterien aus dem Wasser herausfiltern, wie es in der Biotechnologie geschieht, und zunehmend auch in Kläranlagen - wovon noch die Rede sein wird. Sie halten auch all jenen Schmutz zurück, der im Trinkwasser nichts zu suchen hat. Allerdings wird bei diesem Verfahren eine große Filterfläche benötigt: In Roetgen, wo sich Peter Sous und seine Kollegen für die neue Technik entschieden haben, wären es elf Fußballfelder, wenn man die Kunststofffolien ausbreiten würde. Um Platz zu sparen, werden die Membranen aufgerollt, zu so genannten Kapillaren. Diese Röhrchen sehen so ähnlich aus wie Strohhalme, die nur einen Millimeter dick und auf einer Seite geschlossen sind.

    " Die eigentliche aktive Membranschicht ist nur eine ganz dünne Schicht auf der Innenseite, die filtrierende Schicht. Das andere ist nur eine Stützschicht, damit die Membran gehalten werden kann. Aber sie ist so fein, dass man nicht erkennen kann, dass da Poren drin sind. "

    Firmen wie X-Flow packen diese porösen Röhrchen zu so genannten Filtermodulen zusammen. Das sind druckdichte Edelstahlrohre, in denen mehrere tausend Kapillarröhrchen nebeneinander untergebracht sind. Ihre offenen Enden stecken in einem Kunstharzblock, der das Stahlrohr komplett ausfüllt. Er sorgt dafür, dass die vielen Halme nicht verrutschen und mit ihren Öffnungen alle ins Wasser tauchen, das filtriert werden soll. Wenn man nun auf der anderen Seite des Harzblocks Unterdruck anlegt, dann wird das Wasser durch die winzigen Löcher der Membran gesaugt - und der Schmutz bleibt im Inneren der Röhrchen zurück.

    " Dh das Wasser trifft auf diese Fasern hier und hat nur eine Möglichkeit: Es kann nur in die Faser. Und der Schmutz hat auch nur eine Möglichkeit: Er (6-0:13) muss auf der Rohwasserseite bleiben. "

    Mit der gleichen Technik lässt sich Trinkwasser auch bei Erdbeben oder anderen Katastrophen aufbereiten. Das Technische Hilfswerk hält dafür mobile Membrananlagen bereit - mit Filtermodulen etwa im Ausmaß eines Nudelholzes. Drei davon sind zurzeit in Indonesien im Einsatz. Denn die Flutwelle vom zweiten Weihnachtsfeiertag 2004 hatte dort viele Brunnen versalzen. Nach dem Tsunami war Trinkwasser so sehr Mangelware, dass die Behörden sogar an Membranforscher herantraten. Zum Beispiel an Stephan Köster, Ingenieur am Institut für Siedlungswasserwirtschaft der Technischen Hochschule Aachen.

    " Wir sind auf Anfrage des Auswärtigen Amtes angesprochen worden, ob wir nicht eine Trinkwasseraufbereitungsanlage für Sri Lanka bereitstellen können. Geplant war, diese Anlage im Norden von Sri Lanka zu installieren. Das ist das Gebiet, das durch die Tamilen kontrolliert wird. 2:07-20 Im Grunde haben wir nur einen alten Behälter aus einer Versuchsanlage genommen und haben neue Membranen, die für die Trinkwasseraufbereitung ausgelegt sind, dort eingebaut. "

    Die umgebaute Versuchsanlage tut ihren Dienst bis heute. Die Membranen sind so ausgelegt, dass sie Schmutzpartikel und Bakterien zuverlässig zurückhalten. Heute ist das Standard in der Trinkwasseraufbereitung, doch das war nicht immer so: Erst 1993 erkannten die Versorgungsunternehmen, welche verheerenden Folgen Bakterien im Trinkwasser haben können. In jenem Jahr erkrankten in der US-amerikanischen Stadt Milwaukee rund 1000 Menschen an einer Infektion mit Cryptosporidien - Bakterien, die aus dem Wasserhahn kamen. Alles halten aber auch die Membranen nicht zurück. Viren zum Beispiel müssen durch einen weiteren Schritt entfernt werden.

    " Die Anlage wird seit längerer Zeit mit einer Aktivkohlefiltration im Anschluss an die Ultrafiltration betrieben, so dass am Ende eine einwandfreie Trinkwasserqualität vorliegt, die auch hygienisch unbedenklich ist. "

    Aktivkohle, eine Art Kohlepulver, leistet in der Wasseraufbereitung häufig gute Dienste, unabhängig davon, ob die Versorger die Verunreinigungen mit Flockungsmitteln oder mit Membranen herausholen. Denn viele Chemikalien, die anders nicht zu entfernen sind, bleiben an Aktivkohle hängen. Im Prinzip könnte man mit besonders feinporigen Membranen auch Viren und sogar Pestizide und Farbstoffe zurückhalten. Das tun einige Wasserwerke in den Niederlanden, wo jeder dritte Wassertropfen aus einem See oder Fluss stammt. Hier zu Lande ziehen die Betreiber aus Kostengründen etwas gröbere Poren vor. Auch in Roetgen filtern die Membranen nur Schmutz und Bakterien heraus, aber keine Viren oder Chemikalien.

    Das ist auch nicht nötig: Im Eifelwasser gibt es keine Viren. Und auch Chemikalien kommen dort nicht vor. Denn das Wasserwerk hat mit den Landwirten vereinbart, dass sie auf Pestizide verzichten. Natürlich lässt sich nicht völlig ausschließen, dass der Stausee einmal durch einen Chemieunfall verschmutzt wird. Selbst dann kann noch Trinkwasser gewonnen werden, erklärt Peter Sous beim Rundgang durch das Roetgener Wasserwerk.

    " Wir halten eine Aktivkohleanlage vor, so dass wir die einschalten können, um die chemischen Einträge aus dem Trinkwasser raushalten zu können. "

    Für solche Notfälle sind die Membranen nicht ausgelegt. Sie sollen den ganz normalen, alltäglichen Dreck herausfiltern.

    " Wir haben beim Wasser aus der Eifel hohe Huminanteile, sehr starke Einflüsse, was Regen betrifft, Schwebeteilchen und andere Inhaltsstoffe, und die sollen halt mit dieser neuen Technik mit hoher Sicherheit zurückgehalten werden. "

    Und nicht zuletzt Keime, also Bakterien aus den Exkrementen von Tieren. Auch in diesem Punkt bemühen sich die Landwirte, dass nichts davon in die Zuflüsse der Dreilägerbach-Talsperre gelangt. Trotzdem kommen dort immer wieder Bakterien vor.

    " Keime sind abhängig von der Witterung, der Temperatur, Sonneneinstrahlung und von den Jahreszeiten. Und die müssen wir halt alle zurückhalten. "

    Bakterien sind kein Problem, wo Trinkwasser aus Brunnen und damit aus Grundwasser gewonnen wird. Doch auch Grundwasser ist nicht immer so sauber, wie das die Wasserwerke gerne hätten. Jürgen Braun, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Wasserbau der Universität Stuttgart, nennt ein Beispiel.

    " Das sind chlorierte Kohlenwasserstoffe, die zB in der Metallverarbeitung zur Entfettung verwendet werden oder bei Kleiderreinigungen usw. Und diese sind schwerer als Wasser, dh sie gehen in den Untergrund, in das Grundwasser, sinken im Grundwasser weiter ab und bilden dort Schadstoffquellen, die über lange Jahre da bleiben und sehr schwierig abzureinigen sind. "

    An der Stuttgarter Universität widmen sich Forscher seit 10 Jahren Methoden, mit denen Schadstoffe aus dem Grundwasser entfernt werden können. Das klassische Verfahren heißt "pump and treat": Das Grundwasser wird zutage gefördert und dann an der Oberfläche gereinigt, zum Beispiel mit Aktivkohle. Wird das schwarze Pulver abfiltriert, bleibt sauberes Wasser übrig, das zu Trinkwasser aufbereitet werden kann.

    " Das Problem ist, dass die Schadstoffe so langsam in Lösung gehen, dass Sie so eine Technik über Jahrhunderte oder wenigstens Jahrzehnte in Betrieb halten müssten. Das Problem ist also nicht die Reinigung, sondern die Dauer des Betriebs."

    Jürgen Braun und seine Stuttgarter Kollegen entwickeln deshalb Verfahren, um die Schadstoffe besser löslich zu machen. Das gleiche tut auch jede Hausfrau. Denn Fett ist auch so ein hartnäckiger Schmutz, der sich nicht im Spülwasser löst. Es lässt sich aber abwaschen, wenn Tenside zugesetzt werden, wie die Chemiker Spülmittel nennen. Damit experimentieren auch die Stuttgarter Forscher, und sie helfen auch mit Wärme nach. Denn je wärmer es ist, desto mehr Schadstoffe lösen sich im Wasser. Das ist erwünscht, denn dann ist die Verunreinigung umso schneller beseitigt. Deshalb leiten die Ingenieure zum Beispiel heißen Dampf in den Boden, oder sie graben eine Art Heizstab bis unter die Grundwasserschicht ein. Auch bei diesen Verfahren wird das verschmutzte Wasser anschließend durch ein Rohr an die Oberfläche gepumpt und kann dort gereinigt werden, zum Beispiel durch Aktivkohle. Auch auf natürlichem Wege verschwinden unerwünschte Substanzen mit der Zeit aus dem Grundwasser: Sie werden von Bakterien vertilgt. Auch dieser biologische Abbau geschieht meist relativ langsam. Ingenieure wie Anne Sagner vom Technologiezentrum Wasser in Karlsruhe versuchen deshalb, den Mikroorganismen auf die Sprünge zu helfen.

    " Schadstoffe bestehen aus Kohlenstoff, und alles, was kohlenstoffhaltig ist, ist für einen Mikroorganismus interessant. Wenn sie nicht in zu hohen Konzentrationen vorliegen, sind sie auch nicht so toxisch, dass die Organismen dabei draufgehen, sondern dann haben sie die Möglichkeit, den Kohlenstoff zu nutzen als Futter, als Essen. Im Allgemeinen geht man davon aus, dass nicht die Nährstoffe limitierend sind in so einem Schadensfall, die sind eigentlich genügend vorhanden. Sondern man muss sich vorstellen, dass diese Organismen den Sauerstoff veratmen 3:25 und dann ist es eigentlich schon eine Förderung dieser Organismen, indem man ihnen Sauerstoff zur Verfügung stellt. "

    Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man bläst direkt Sauerstoff ins Grundwasser - ein großer Teil perlt dann aber ungenutzt in den Boden. Oder man gibt Wasserstoffperoxid zu, das im Wasser zu Sauerstoff zerfällt.

    " Der Abbau geht dann erheblich schneller, weil die Organismen mit Sauerstoff versorgt sind. In Laborversuchen haben wir das ausprobiert, da passiert das auch und funktioniert prima. In der Praxis ist es eher so, dass es im Moment stark versucht wird. Mit Sauerstoff schon des Öfteren, aber so Sachen wie Wasserstoffperoxid, das ist noch in der Probephase. Zumindest in Deutschland gibt es nicht so viele Fälle, wo man Wasserstoffperoxid dafür einsetzt, um die Organismen in großem Maße mit Sauerstoff zu versorgen. "

    Eine Probephase mussten auch die Membranfilter im Wasserwerk Roetgen bestehen. Seine Mitarbeiter haben dazu einen kleinen Teil des Rohwassers abgezweigt und ihn in ein Labor geleitet.

    " Das ist unsere Versuchsanlage, die auch schon über 100 Kubikmeter pro Stunde gefahren hat. Das ist bereits die Dimension, die ein kleines Wasserwerk hat. "

    In jahrelangen Vorversuchen mussten Peter Sous und seine Kollegen herausfinden, welche Membranen für ihr Wasser am besten taugen und wie viele sie brauchen. Immer noch ist hier ein Versuchsmodul neben dem anderen aufgereiht.

    " Wobei das jetzt leer ist. Also das hat schon mal wesentlich voller gestanden hier."

    Den großen Aufwand haben die Betreiber des Wasserwerks auch getrieben, weil mit der Membrananlage eine hohe Investition ins Haus stand: rund 24 Millionen Euro. Zuviel Geld, um es in das falsche Material zu investieren.

    " Wir sind davon fest überzeugt, dass das sehr gut war, so dass wir heute mit einem Knowhow mit einer neuen Anlage beginnen können, wo andere erst mal eine lange Zeit brauchen, um die Anlage entsprechend einzustellen. "

    Auch in einigen Kläranlagen laufen derzeit Versuche zur Membrantechnik. Denn sie eignet sich auch dazu, Abwasser zu reinigen. Und da hat sie einen entscheidenden Vorteil gegenüber den herkömmlichen Anlagen: Membranfilter gibt es in allen Größen. Sie eignen sich also auch zum dezentralen Einsatz. Das ist in Deutschland besonders wichtig, denn hier ist etwa jedes zwanzigste Haus nicht an ein öffentliches Kanalnetz angeschlossen. Vor allem in den östlichen Bundesländern sammeln viele Haushalte ihr Abwasser in Gruben, die regelmäßig mit einem Tankwagen geleert werden. Für Einödhöfe, Weiler und kleine Dörfer gibt es inzwischen Klein-Kläranlagen auf Basis der Membrantechnik. Christian Spork vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart:

    " Wir betreiben üblicherweise 3 und 7,4 Quadratmeter-Filter. Bei diesen Filtern können üblicherweise bis zu 1000 Einwohnerwerte angeschlossen werden. "

    Die Stuttgarter Fraunhofer-Forscher konzipieren solche dezentralen Kläranlagen. Zum Beispiel für Neurott bei Heidelberg, ein 60-Einwohner-Dorf, das eine Woche vor Weihnachten eine Membrankläranlage in Betrieb nahm. Das ablaufende Wasser aus den Klein-Kläranlagen erfüllt die EU-Richtlinie für Badegewässer und kann daher ohne weitere Reinigung in einen Fluss geleitet werden. Im Fall von Neurott ist das der Leimbach, dessen Wasserqualität sich durch das filtrierte Abwasser sogar verbessert. Und es wird auch noch verwertet, was in der Membran hängen bleibt: Die festen Bestandteile, also Biomasse und Schwebstoffe, kommen in einen Reaktor und werden dort zu Biogas umgewandelt.

    " Wir sehen die Abwasser-Inhaltsstoffe als sehr wesentlich an, da es ein großes Potenzial gibt, diese Stoffe zu recyceln und später wieder sinnvoll nutzen zu können. Wir haben hohe Biomasse- und Feststoffkonzentrationen im Reaktor, einen entsprechend hohen Umsatz und hohe Biogasproduktion. Daraus entsteht Strom und Wärme und wir beheizen und betreiben damit unsere Anlagen. "

    Auch größere Kläranlagen reinigen ihr Abwasser inzwischen mit Membranfiltern. Den Weltrekord hält eine Anlage in der Nähe von Neuss, die der Erftverband betreibt. Fast täglich führt der Betriebsleiter Norbert Engelhardt Pilger in Sachen Membrantechnik durch die modernste Kläranlage Deutschlands.

    " Die Kläranlage Nordkanal reinigt das Abwasser von ca. 80.000 Einwohnern. Sie ist damit die weltweit größte Anlage, die Membrantechnik im kommunalen Abwasserbereich beinhaltet. Und insofern auch Anziehungspunkt für internationale Delegationen, die sich gerade mit dieser innovativen Technik beim Abwasser beschäftigen. "

    Am Nordkanal war es der knappe Platz, der den Erftverband von der Membrantechnik überzeugte. Denn die großen Becken für Vor- und Nachklärung fallen weg, und eine Membranklärung braucht deshalb nur halb so viel Fläche wie eine herkömmliche Kläranlage. Aus dem gleichen Grund freuen sich auch die Nachbarn, denn ebendiese Klärbecken machen eine Kläranlage geruchsintensiv. Auf der anderen Seite stehen höhere Kosten: Die Pumpen verbrauchen laufend Energie, und natürlich muss ein Betreiber anfangs in die neue Technik investieren. Allein die Membranen kosten zwischen 30 und 70 Euro pro Quadratmeter Filterfläche, und am Nordkanal sind 84.000 Quadratmeter installiert. Wird die Abwasserentsorgung also teurer?

    " Das ist sicher noch schwierig zu beantworten, wir befinden uns ja noch in einem Pilotmaßstab. Wir haben zurzeit festzustellen, dass die Betriebskosten nicht wesentlich abweichen von konventionellen Anlagen. Das Hauptproblem besteht darin, dass die Membranen nicht unendlich halten, sondern nach etwa 5-8 Jahren ausgetauscht werden müssen. Und dann steht eine Ersatzinvestition an, die natürlich auf die Kosten umzulegen ist. Wir wissen nicht hundertprozentig, hält sie fünf oder 10 Jahre. Insofern fällt es uns schwer im Moment, schon genaue Zahlen dazu festzustellen. "

    Bekannt ist dagegen, was die Membranen nicht zurückhalten. Viren und vor allem Chemikalien gelangen aus den Kläranlagen in die Bäche und damit möglicherweise ins Trinkwasser. Das ist bei den herkömmlichen Anlagen nicht anders: Eine Untersuchung des nordrhein-westfälischen Umweltministeriums hat gezeigt, dass Kläranlagen nur mit wenigen chemischen Verunreinigungen fertig werden. Dazu zählen zum Beispiel die Moschusdüfte aus Rasierwässern und Duschgelen, und die Östrogene aus der Antibabypille. Alle anderen Arzneimittel werden dagegen nicht abgebaut, und so findet sich im Ablauf von Kläranlagen eine ganze Apotheke: Schmerzmittel, Lipidsenker, Betablocker, Antiepileptika und viele Antibiotika. Welche ökologischen Folgen das hat, ist nicht klar - auch nicht, ob sich auf diese Weise wirklich Resistenzen gegen Antibiotika ausbreiten, wie häufig behauptet wird. Walter Giger von der Schweizerischen Forschungsanstalt für Gewässerkunde glaubt das eher nicht, denn die Mengen sind relativ gering. Sorgen macht ihm aber eine andere Gruppe von Chemikalien aus der Medizin.

    " Die Röntgenkontrastmittel. Die sind von der Chemie her genau dafür geeignet, bis ins Trinkwasser vorzudringen: Sie sind schlecht abbaubar, sehr gut wasserlöslich und werden nirgends von Festkörpern zurückgehalten, also sie gehen auch mit dem Wasser mit. Das hat man heute auch gemessen: Man findet im Grundwasser, das aus Flüssen gespeist wird, in die Abwässer gelangen, diese Substanzen drin. "

    Zwar sind Röntgenkontrastmittel für Menschen nicht giftig. Doch sie haben in Flüssen und Seen ebenso wenig zu suchen wie eine andere Stoffgruppe, die dort ebenfalls immer häufiger auftaucht: Flammschutzmittel, die zum Beispiel in den Kunststoffgehäusen von Computern stecken. Auch sie werden in Kläranlagen nicht abgebaut. Ebensowenig Korrosionsschutzmittel, die jeder Haushalt ins Abwasser einleitet, ohne davon zu ahnen. Denn sie sind in Spülmitteln enthalten und sollen das Anlaufen von Silbergeschirr verhindern. Der Rhein befördert jede Woche rund 200 Kilogramm Korrosionsschutzmittel in Richtung Nordsee.

    " Wir haben noch kein Abwasser gesehen, in dem die nicht drin sind. Da sollte man sich schon überlegen, ob ein Silberschutz wirklich notwendig ist oder ob man den weglassen könnte. "

    Auch die Korrosionsschutzmittel sind schlecht abbaubar, gelangen ins Grundwasser und damit schließlich ins Trinkwasser. Dazu kommen noch viele andere Substanzen in geringen Mengen, die erst dank immer leistungsfähigerer Analysemethoden aufgespürt werden können.

    " Die Korrosionsschutzmittel, aber auch die Flammschutzmittel, zeigen, dass wir auf dem Gebiet der Zusatzstoffe noch einiges erwarten müssen, was wir noch gar nicht kennen. Die Hauptwirksubstanzen, Pestizide oder Waschmittel-Tenside, die sind geregelt, aber was man zusätzlich in die Produkte hineingibt, dazu gibt es keine gesetzlichen Vorgaben. Ich würde meinen, die Additive sollten besser deklariert werden. "

    Denn sonst haben umweltbewusste Verbraucher keine Möglichkeit, ihr Abwasser von diesen Stoffen frei zu halten. Und auch die Behörden tappen im Dunkeln, wenn sie die Gewässerqualität untersuchen. Immerhin prüfen sie bei Badegewässern, ob diese mit Bakterien belastet sind, und sprechen notfalls ein Badeverbot aus. Im vergangenen Sommer war das zum Beispiel am Kleinen See bei Lübeck, am Banter See bei Wilhelmshaven oder am Fluss Regen in der Oberpfalz der Fall. Chemikalien werden dagegen bisher nur punktuell gemessen. Deshalb ist nicht auszuschließen, dass die tatsächliche Belastung unserer Gewässer gar nicht bekannt ist. Mit Membranen könnten Chemikalien ohnehin nicht zurückgehalten werden. Im Wasserwerk von Roetgen gibt es deshalb für den Notfall weiterhin die guten alten Aktivkohlefilter - man kann ja nicht ausschließen, dass das Talsperrenwasser einmal durch einen Unfall mit Chemikalien verunreinigt wird.

    In Roetgen führt Peter Sous in eine neu errichtete Halle, halb so groß wie ein Fußballfeld und so hoch wie ein Schwimmbad. Hier sind vor kurzem die Filtermembranen montiert worden. Zu sehen sind sie nicht, denn der riesige Raum liegt ganz im Dunkeln.

    " Ich weiß nicht genau, wo die den Schalter haben. Wir können da die Treppe hochgehen, da können wir von oben kucken, das ist einfacher. "

    Das ist leichter gesagt als getan. Im Schein der Taschenlampe geht es über eine Wendeltreppe hinauf ins Dunkel. Auf den Stufen liegen Kartons. Baustelle eben.

    " Vorsicht hier ... "

    Oben eine Brüstung, zum Glück ist das Geländer bereits montiert. Im Schein der Taschenlampe von Peter Sous taucht ein gespenstisches Bild auf: silbrig glänzende Rohre, sechs Meter lang, zu einem Block aufgeschlichtet wie Nudeln in der Packung. Dahinter ein weiterer, identischer Block, und so geht es weiter – Edelstahl, soweit der Lichtstrahl reicht.

    " Versetzt aufgebaut, so dass man, wenn Reparaturen mal notwendig sein sollten, auch die einzelnen Module rausziehen kann, und wir halt auch sehr Platz sparend die Anlage aufbauen konnten. "

    Das Wasserwerk Roetgen wird deshalb sogar mit weniger Fläche auskommen, wenn die konventionelle Aufbereitungsanlage abmontiert ist. Seine volle Kapazität wird es weiterhin nur zu Spitzenzeiten ausnutzen. Zum Beispiel während der Halbzeitpause eines Fußball-Länderspiels.

    " Wir setzen die Membranblöcke einzeln in Betrieb, und je nach Rohwasserbedarf verteilt sich das Rohwasser automatisch auf alle Filter gleich, so dass die Filter normalerweise gleich belastet sind. "

    Vorsichtig geht es wieder die Wendeltreppe hinunter. Vor dem ersten der sechs Meter hohen Blöcke taucht im Schein der Taschenlampe ein Pult mit ein paar Knöpfen und einem Bildschirm auf.

    " Das sind jetzt die Steuerungs- und Überwachungseinheiten eines jeden Blockes. Was wir hier sehen, sieht man auch in der Leitwarte, wo die Mitarbeiter feststellen können, ob irgendwelche Störungen anliegen, wie der Durchfluss des Membranblockes ist. Wir können hier verschiedene Bilder aufrufen, wenn er normal in Betrieb ist, wenn er gespült wird, wir können also jede verfahrenstechnische Situation hier als Bild aufrufen und auch entsprechend eingreifen. "

    Vor Weihnachten 2005 war das noch nicht nötig. Da hat Peter Sous mit einem schlichten Mausklick auf der Roetgener Leitwarte die Membrananlage in Betrieb genommen - eine der größten ihrer Art weltweit.