Dina Netz: Viele Jugendliche kennen den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur nicht: Sie halten den NS-Staat und die DDR nicht für Diktaturen und die Bundesrepublik nicht für eine Demokratie. Und überhaupt ist das historische Wissen vieler Schüler gering. Das Wissen über den Nationalsozialismus ist sogar noch etwas besser als das über Bundesrepublik und DDR. Das sind die wichtigsten Ergebnisse der Studie "Später Sieg der Diktatur?" (mit Fragezeichen), die der Forschungsverbund SED-Staat der FU Berlin erarbeitet hat und die vergangene Woche vorgestellt wurde. Seitdem wird über die Untersuchung diskutiert, auch hier in "Kultur heute", und es gibt in der Studie eine Passage über Gedenkstättenbesuche, die zu dem Schluss kommt, dass diese nur wenig bei den Schülern bewirken, denn: In Schulen und Gedenkstätten werde der Stoff zu wenig in den Kontext eingeordnet. - Frage an Ulrike Schrader, die Leiterin der Gedenkstätte Alte Synagoge in Wuppertal: Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Ulrike Schrader: Alles was die Schüler und Schülerinnen in Gedenkstätten lernen, ist natürlich davon auch abhängig, was in der Schule vorbereitet und nachbereitet wird. Wenn die Ergebnisse in der Studie so schlecht sind, wie behauptet wird, ist das zunächst mal ein Appell an den Schulunterricht, meiner Meinung nach, denn in den Gedenkstätten versuchen wir natürlich schon, eine besondere Vertiefung unseres Themas (und das ist das Thema Nationalsozialismus) zu leisten. Wir verstehen uns ja als Orte historisch-politischer Bildung und ich entnehme der Studie immerhin den Trost, dass zum Thema Nationalsozialismus immerhin noch die besten Ergebnisse da sind. Also über diese Epoche können die Schüler und Schülerinnen am meisten Auskunft geben.
Netz: Die Studie kritisiert allerdings auch explizit, dass die Gedenkstätten oft zu viel Wissen zum Thema voraussetzen und keine Einordnung ihrer eigenen Arbeit liefern. Wie machen Sie denn das in Wuppertal?
Schrader: Eben! Ich wollte auch gerade sagen, ich kann schlecht für alle anderen Gedenkstätten sprechen. Bei uns in Wuppertal läuft das so, dass wir uns etwas entfernen von dem Fokus der zwölf Jahre Nationalsozialismus und versuchen, die Geschichte der Juden einzubinden in einen historischen Längsschnitt. So kann man besser verstehen, wie sich die jüdische Geschichte entwickelt hat, und vor allen Dingen, dass die jüdische Geschichte nicht nur aus den zwölf Jahren nationalsozialistischer Verfolgungsgeschichte bestanden hat. Meiner Meinung nach ist es sehr wichtig, gerade diese sogenannte "Opfergruppe" - man spricht ja hier immer von "Opfergruppen", wobei ich das gerne in Anführungsstriche setzen würde - eigentlich nur als Opfer wahrgenommen wird und nicht als einen integralen Bestandteil der deutschen Geschichte. Das war uns in Wuppertal ganz wichtig.
Eine andere Möglichkeit, meiner Meinung nach, das Wissen nachhaltig zu verankern, ist, nicht so wahnsinnig hohe Ansprüche zu stellen an das Faktenwissen der Schüler, sowohl was die Voraussetzungen in der Schule angehen, als auch an das, was wir vermitteln, also dass wir klug reduzieren und hierarchisieren, also überlegen, was ist jetzt wirklich wichtig an dem ganzen Wissensballast, an diesem unglaublichen Thema, was sollen die Schüler am Ende behalten und wissen.
Netz: In der Studie wird zum Beispiel auch das "Gedenkstätten-Hopping" kritisiert, also das Besuchen mehrere Gedenkstätten und auch anderer Orte nacheinander. Wäre das auch Ihr Ratschlag: ein Termin an einem Tag und den dafür lieber intensiv?
Schrader: Gedenkstätten-Hopping - das Wort ist ja schon polemisch.
Netz: So steht es in der Studie.
Schrader: Das kann nichts Gutes sein, wenn man von einer Gedenkstätte zur anderen rennt. Ich halte ehrlich gesagt auch nicht sehr viel von der Emotionalisierung solcher Gedenkstättenbesuche. Das trifft jetzt bei uns in Wuppertal ohnehin nicht so zu, weil wir wie gesagt den Fokus ein bisschen in die Länge ziehen. Aber auch wenn ich an KZ-Gedenkstätten denke im Osten Deutschlands, oder auch in Polen, dass solche Gedenkstättenbesuche nur über Gefühle und über Emotionen dann zu einem Lernerfolg geführt werden sollten, davon halte ich ehrlich gesagt nichts. Es ist aber zu beobachten, dass Schüler und Schülerinnen, wenn sie hinterher befragt werden, fast überwiegend Gefühle zum Ausdruck bringen, und dann muss das natürlich versagen bei einer solchen Befragung, die da jetzt durchgeführt worden ist, wenn dann im Grunde kein Faktenwissen da ist, keine Wissensbestände abgerufen werden können, sondern nur Gefühle.
Netz: Eigentlich klingen für mich, Frau Schrader, die Ergebnisse dieser Studie in Bezug auf die Gedenkstätten wie eine Selbstverständlichkeit: Natürlich muss man als Schüler etwas über den Nationalsozialismus wissen, um die Gedenkstätte Alte Synagoge zu verstehen, natürlich sollte das vor- und nachbereitet werden. Nehmen Sie denn für Ihre Arbeit irgendwelche Anregungen jetzt aus dieser Studie mit?
Schrader: Eigentlich nehme ich aus der Studie eher eine Bestätigung mit - nicht unbedingt die Bestätigung, dass die Schüler alle so grottenschlechte Kenntnisse haben - besonders überrascht hat es mich allerdings auch nicht - aber die Bestätigung, dass es ganz wichtig ist, wirklich zu sortieren, was will ich vermitteln, was ist wichtig, was sollen sie behalten, und nicht den Anspruch haben, dass wirklich jetzt jedes Datum gekannt werden soll, weil das für die Schüler oft ununterscheidbar ist zunächst einmal und das ein Riesenpensum ist, was sie da angeblich bewältigen sollen. Geschichte ist meiner Meinung nach ohnehin eines der komplexesten Schulfächer schlechthin und deswegen muss man da, glaube ich, sehr sorgfältig in der sogenannten didaktischen Reduktion vorgehen und sich genau überlegen, was ist jetzt wichtig, wenn wir den Geschichtsunterricht auch zu einer Werteerziehung transformieren, oder wenn es eben auch diesen Ausfluss haben soll, dass wir da demokratische Bürger heranziehen durch den Geschichtsunterricht. Der hat ja da einen ganz wichtigen Beitrag zu leisten.
Netz: ... , sagt Ulrike Schrader, die Leiterin der Gedenkstätte Alte Synagoge Wuppertal, über die Studie "Später Sieg der Diktatur?"
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ulrike Schrader: Alles was die Schüler und Schülerinnen in Gedenkstätten lernen, ist natürlich davon auch abhängig, was in der Schule vorbereitet und nachbereitet wird. Wenn die Ergebnisse in der Studie so schlecht sind, wie behauptet wird, ist das zunächst mal ein Appell an den Schulunterricht, meiner Meinung nach, denn in den Gedenkstätten versuchen wir natürlich schon, eine besondere Vertiefung unseres Themas (und das ist das Thema Nationalsozialismus) zu leisten. Wir verstehen uns ja als Orte historisch-politischer Bildung und ich entnehme der Studie immerhin den Trost, dass zum Thema Nationalsozialismus immerhin noch die besten Ergebnisse da sind. Also über diese Epoche können die Schüler und Schülerinnen am meisten Auskunft geben.
Netz: Die Studie kritisiert allerdings auch explizit, dass die Gedenkstätten oft zu viel Wissen zum Thema voraussetzen und keine Einordnung ihrer eigenen Arbeit liefern. Wie machen Sie denn das in Wuppertal?
Schrader: Eben! Ich wollte auch gerade sagen, ich kann schlecht für alle anderen Gedenkstätten sprechen. Bei uns in Wuppertal läuft das so, dass wir uns etwas entfernen von dem Fokus der zwölf Jahre Nationalsozialismus und versuchen, die Geschichte der Juden einzubinden in einen historischen Längsschnitt. So kann man besser verstehen, wie sich die jüdische Geschichte entwickelt hat, und vor allen Dingen, dass die jüdische Geschichte nicht nur aus den zwölf Jahren nationalsozialistischer Verfolgungsgeschichte bestanden hat. Meiner Meinung nach ist es sehr wichtig, gerade diese sogenannte "Opfergruppe" - man spricht ja hier immer von "Opfergruppen", wobei ich das gerne in Anführungsstriche setzen würde - eigentlich nur als Opfer wahrgenommen wird und nicht als einen integralen Bestandteil der deutschen Geschichte. Das war uns in Wuppertal ganz wichtig.
Eine andere Möglichkeit, meiner Meinung nach, das Wissen nachhaltig zu verankern, ist, nicht so wahnsinnig hohe Ansprüche zu stellen an das Faktenwissen der Schüler, sowohl was die Voraussetzungen in der Schule angehen, als auch an das, was wir vermitteln, also dass wir klug reduzieren und hierarchisieren, also überlegen, was ist jetzt wirklich wichtig an dem ganzen Wissensballast, an diesem unglaublichen Thema, was sollen die Schüler am Ende behalten und wissen.
Netz: In der Studie wird zum Beispiel auch das "Gedenkstätten-Hopping" kritisiert, also das Besuchen mehrere Gedenkstätten und auch anderer Orte nacheinander. Wäre das auch Ihr Ratschlag: ein Termin an einem Tag und den dafür lieber intensiv?
Schrader: Gedenkstätten-Hopping - das Wort ist ja schon polemisch.
Netz: So steht es in der Studie.
Schrader: Das kann nichts Gutes sein, wenn man von einer Gedenkstätte zur anderen rennt. Ich halte ehrlich gesagt auch nicht sehr viel von der Emotionalisierung solcher Gedenkstättenbesuche. Das trifft jetzt bei uns in Wuppertal ohnehin nicht so zu, weil wir wie gesagt den Fokus ein bisschen in die Länge ziehen. Aber auch wenn ich an KZ-Gedenkstätten denke im Osten Deutschlands, oder auch in Polen, dass solche Gedenkstättenbesuche nur über Gefühle und über Emotionen dann zu einem Lernerfolg geführt werden sollten, davon halte ich ehrlich gesagt nichts. Es ist aber zu beobachten, dass Schüler und Schülerinnen, wenn sie hinterher befragt werden, fast überwiegend Gefühle zum Ausdruck bringen, und dann muss das natürlich versagen bei einer solchen Befragung, die da jetzt durchgeführt worden ist, wenn dann im Grunde kein Faktenwissen da ist, keine Wissensbestände abgerufen werden können, sondern nur Gefühle.
Netz: Eigentlich klingen für mich, Frau Schrader, die Ergebnisse dieser Studie in Bezug auf die Gedenkstätten wie eine Selbstverständlichkeit: Natürlich muss man als Schüler etwas über den Nationalsozialismus wissen, um die Gedenkstätte Alte Synagoge zu verstehen, natürlich sollte das vor- und nachbereitet werden. Nehmen Sie denn für Ihre Arbeit irgendwelche Anregungen jetzt aus dieser Studie mit?
Schrader: Eigentlich nehme ich aus der Studie eher eine Bestätigung mit - nicht unbedingt die Bestätigung, dass die Schüler alle so grottenschlechte Kenntnisse haben - besonders überrascht hat es mich allerdings auch nicht - aber die Bestätigung, dass es ganz wichtig ist, wirklich zu sortieren, was will ich vermitteln, was ist wichtig, was sollen sie behalten, und nicht den Anspruch haben, dass wirklich jetzt jedes Datum gekannt werden soll, weil das für die Schüler oft ununterscheidbar ist zunächst einmal und das ein Riesenpensum ist, was sie da angeblich bewältigen sollen. Geschichte ist meiner Meinung nach ohnehin eines der komplexesten Schulfächer schlechthin und deswegen muss man da, glaube ich, sehr sorgfältig in der sogenannten didaktischen Reduktion vorgehen und sich genau überlegen, was ist jetzt wichtig, wenn wir den Geschichtsunterricht auch zu einer Werteerziehung transformieren, oder wenn es eben auch diesen Ausfluss haben soll, dass wir da demokratische Bürger heranziehen durch den Geschichtsunterricht. Der hat ja da einen ganz wichtigen Beitrag zu leisten.
Netz: ... , sagt Ulrike Schrader, die Leiterin der Gedenkstätte Alte Synagoge Wuppertal, über die Studie "Später Sieg der Diktatur?"
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.