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Nicht viel Hirnschmalz auf der Überholspur

Psychologie. - Die Meinungen, wie angestrengt das Gehirn arbeitet, wenn sein Besitzer ein Fahrzeug im Autoverkehr bewegt, gehen stark auseinander: Kaum, jedenfalls viel zu wenig angesichts rasender und drängelnder Zeitgenossen auf der Überholspur, meinen die einen. Im Gegensatz dazu schätzen andere die Gehirnaktivität als sehr hoch ein, müssen doch komplexe Situationen beobachtet und bewertet werden und gleich mehrere Glieder Hebel und Pedale koordinieren. Mit mehr Objektivität näherten sich jetzt Ulmer Forscher dem Thema und schauten den Chauffeuren mit Hightech ins Gehirn.

    Rasant geht's durch die Straßen von Hamburg - allerdings wirken die Häuser blasser als gewöhnlich und der Gegenverkehr fehlt sogar ganz. Der Grund: Fahrer und Beifahrer blicken nicht durch die Windschutzscheibe, sondern viel mehr durch eine eigenartige, große Brille, die eine dreidimensionale Simulation der Reise wiedergibt. Zwölf Probanden fuhren für die Forschung durch die virtuelle Großstadt und ließen sich dabei mit einem funktionellen Magnetresonanztomographen, der Auskunft über die gerade besonders aktiven Hirnwindungen liefert, beobachten. "Wir verglichen dabei immer einen Teilnehmer, der das virtuelle Fahrzeug steuerte, mit einem passiven Beifahrer, um herauszufinden, welche Gehirnzentren Aufgaben beim Autofahren übernehmen", berichtet Henrik Walter, Leiter des Ulmer Projekts.

    Eigentlich, so erwarteten die Psychologen, müsste der Fahrer seinen Gehirnschmalz mehr anstrengen als sein Kopilot - schließlich muss er wahrnehmen und reagieren, Geschwindigkeiten messen und Steuerbewegungen vollführen und auch zukünftige Situationen vorwegnehmen. Um so überraschter waren Walter und seine Kollegen, als die MRT-Aufnahmen ein ganz anderes Bild zeichneten. Zwar waren wie erwartet bei beiden Probanden die für die räumliche Wahrnehmung zuständigen Hirnareale etwa gleich aktiv. Aber: "Die erste Auswertungsreihe, die sich auf eine höhere Gehirnaktivität des Fahrers als beim Beifahrer bezog, zeigte letztlich vor allem aktivierte motorische Regionen für die Steuerung von Muskeln. Im Gegenvergleich, bei dem der Beifahrer eine höhere Gehirnaktivität aufwies, sahen wir jedoch eine sehr hohe Aktivierung weiter Gehirnregionen mit einer Betonung frontaler Gehirnabschnitte." Daraus folgert Henrik Walter, dass beim Fahren jene vorderen Hirnregionen, denen Handlungskontrolle und Kontrollinstanzen zugeschrieben werden, eher abgeschaltet werden und dafür das Organ seine ganze Kraft auf die für Handlungen zuständigen motorischen Regionen lenkt.

    Die Ergebnisse legen also nahe, dass das Gehirn beim Autofahren weitgehend abschaltet. Stattdessen konzentriert sich der Denkapparat auf die Integration von Raumwahrnehmung und Steuerbewegungen. Viele höhere Hirnleistungen, wie etwa das Überdenken der Folgen von Handlungen, scheinen dagegen wenig ausgeprägt abzulaufen. Überdies konnten Walter und sein Team in weiteren Versuchen zeigen, dass das Gehirn um so mehr abschaltet, je schneller ein Fahrzeug bewegt wird. Inwiefern jedoch die Simulatorbedingungen mit der Realität wirklich vergleichbar sind, bleibt offen.

    [Quelle: Martin Hubert]