Archiv


Nicht zahlen können ist der Tod

Nicht zahlen können – oder schick ausgedrückt: nicht pekuniär potent sein – das ist der Tod, gesellschaftlich und dann auch real. Das war die Quintessenz, die Brecht-Weills "Mahagonny" 1930 den Zeitgenossen gleichsam vor den Kultur-Latz knallte, revue-kess und höhnisch bissig.

Von Wolf-Dieter Peter |
    2010, in der Neuproduktion des Staatstheaters am Gärtnerplatz, kann jeder wache Zeitgenosse nur erschrecken: Es ist immer noch so oder schon wieder:

    "Wie man sich bettet, so liegt man, es deckt einen da keiner zu! Und wenn einer tritt, dann bin ich es, und wird einer getreten, dann bist du's!"

    Dazu kommen andere bittere Einsichten: "Erstens, vergesst nicht, kommt das Fressen ... " oder: "Wir brauchen keinen Hurrican, wir brauchen keinen Taifun, denn was er an Schrecken tun kann, das können wir selber tun" – gipfelnd im pervers liberalen Slogan "Du darfst – alles!", was beim naiv-reichen Holzfäller Jim Mahoney zum Entschluss führt:

    "Aber Jungens, ich will doch gar kein Mensch sein!"

    All dies "servierte" Dirigent Andreas Kowalewitz in kantig unsentimentalem Grundtonfall, ohne die benebelnden Hypnotisierungsversuche eines sich nur oberflächlich frech gebenden Unterhaltungstheaters. Vielmehr wurde die Spannweite des Komponisten Kurt Weill fesselnd hörbar: In aggressiv schnellen Tempi, gleichsam "vor Gier hechelnd" kamen die Songs daher – voran mit herrlich reifer Vamp-Attitüde Susanne Daums Edelhure Jenny.
    Dazu kontrastierten die mal mahnenden, mal zeitnah massenhysterisch wirkenden Chöre mit ihren schrägen Oratorienklängen. Und in einigen Zeilen Jennys, in Jims Attacke gegen den Amüsierbetrieb, speziell in seiner Arie vor der Hinrichtung gab es den Klage- wie Anklageton über den Verlust der humanen Orientierung - tenoral bestechend Wolfgang Schwaninger.

    Ungetrübtes Bravo auch für das Inszenierungsteam. Regisseur und Bühnenbildner Thomas Schulte-Michels traf getreu Brechts Anti-Opernabsichten eine überzeugende Mischung aus theatralisch temporeichen Showszenen sowie kritisch distanziertem Vorführen. Im leeren schwarzen Bühnenraum rotierten auf der Drehbühne nicht nur die Figuren in der Jagd nach Glück, Rausch und Erfüllung – in dramaturgisch präziser gesellschaftlicher Abstufung rotierten auch giftgelbe Holzstühle: klein bei Mahagonnys Gründung; normal groß für die unterschiedlichen Gruppierungen der Amüsiergesellschaft; chaotisch verkeilt für Hurrican-Angst und den anschließenden Triumph der enthemmten "Du darfst alles"-Gesellschaft; übergroß für den primitiv-reizvollen "Altar der Lüste" von Jenny und den Girls, am Ende auch als Hochsitz einer verlogenen Gerichtsbarkeit – für Ann-Katrin Naidus gefährlich elegante Begbick mit Vampir und Domina-Zügen.

    In Masken wie Kostümen waren schwarz-weißer "Gothic"-Kult und Show gekonnt gemischt. Neil Postmans Mahnung "Wir amüsieren uns zu Tode" von 1985(!) wurde bitter lebendig – in musikalischem Theater gegen den Zeitgeist bis hin zum quälend eindringlichen Schlusschor: "Können uns und euch und niemand helfen!"