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Nicht zum Firmenboss geboren

Gerade mal zehn Prozent der Beschäftigten in Deutschland sind selbstständig, in den 50er-Jahren waren es noch 30 Prozent. Psychologen und Praktiker haben deswegen überlegt, wie Unternehmertum entwickelt und dadurch die Innovationskraft des Landes erhalten und gestärkt werden kann.

Von Barbara Leitner | 20.05.2010
    "Wir haben so ein Heldenbild von Führungskräften und Unternehmern im Kopf. Man denkt, das geht alles von alleine. Man hat das in die Wiege gelegt bekommen, braucht nicht an sich zu arbeiten und ist Unternehmer. So ist es aber nicht. Man muss hart dafür arbeiten, muss an sich arbeiten und muss sehr, sehr viele Gedanken sich machen - und insofern ist Reflexion ein wichtiger Punkt, der oft übersehen wird."

    Marie Dorothee Burandt, Vertreterin der Sektion Wirtschaftspsychologie beim Verband deutschen Psychologinnen und Psychologen und Mitautorin der psychologischen Expertise für erfolgreiches Unternehmertum in Deutschland. Die zeigt auf ihren 120 Seiten: In Deutschland gibt es zu wenig unternehmerischen Geist. Die Selbstständigenquote ging von über 30 Prozent in den 50er-Jahren auf heute zehn Prozent zurück. Anders als in anderen Ländern besteht hierzulande eine große Angst vor dem Scheitern und wenig Zuversicht für Gründer - wie auch der Global Entrepeneurship Monitor als weltweit größtes Forschungskonsortium zur Analyse von Gründungsaktivitäten bescheinigt. Deshalb fragten die Psychologen, was unternehmerische Initiative fördert sowie die Bereitschaft weckt, Verantwortung zu übernehmen und Risiken einzugehen.

    Dabei entdeckten sie: In der Kindheit und Jugend als einer Zeit des Aufbruchs spielt Unternehmertum eine viel zu geringe Rolle.

    "Hier wird als Entwicklungsaufgabe an die jungen Leute herangetragen, sich mit beruflichen Dingen auseinanderzusetzen. Da gibt es Defizite im Bereich Selbstständigkeit. Das wird wenig als berufliche Option wahrgenommen. Aber interessant ist, dass sich diese unternehmerischen Kompetenzen bereits im frühen Jugendalter zeigen. Diese unternehmerische Umtriebigkeit, Übernahme von Verantwortung zeigt sich bereits sehr früh und trägt sich dann später in eine Selbstständigkeit, auch bei denen die ein unternehmerisches Rollenvorbild haben."

    Frank Arnaud, Entwicklungspsychologe von der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
    In ihren Studien entdeckten die Wissenschaftler bereits bei 16-Jährigen ein unternehmerisches Persönlichkeitsprofil. Geprägt wird es nicht nur vom Charakter, sondern auch durch den familiären Hintergrund. Spätere Unternehmer - so zeigt die Forschung - erfuhren eine warmherzige, unterstützende Erziehung. An sie wurden hohe Leistungserwartungen gestellt, aber sie durften auch Dinge ausprobieren und fanden entsprechende Vorbilder. Doch Kindergarten, Schule und auch Universität beginnen gerade erst, Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in diesem Sinne zu unterstützen und ermöglichen beispielsweise die Gründung von Schüler- beziehungsweise Studentenfirmen. Dabei ist nicht nur Wirtschaftswissen, sondern vor allem Handlungskompetenz gefragt.

    "Also zu lernen, wie man eigene Ideen auch verfolgt, wie man Ziele verfolgt, wie man Entscheidungen trifft, gut trifft, wie man im Team zusammen arbeitet. Die ganzen Soft Skills, die sind für Unternehmer auch sehr wichtig und da können auch Psychologen sehr viel beitragen, die zu fördern."

    Luiza Olos begleitet an der Freien Universität Berlin Studierende bei eigenen selbstständigen Projekten und vermittelt ihnen - wie es Neudeutsch heißt - Entrepreneurship Education, also eine unternehmerische Ausbildung. Ungefähr zehn Prozent der Studenten werden an der FU inzwischen durch solche Angebote erreicht, vor allem zukünftige Geisteswissenschaftler und Studenten aus den neuen Studiengängen. Sie werden weniger als die Generationen vor ihnen mit festen, sicheren Stelle rechnen können und selbst wenn, werden sie auf unternehmerische Fähigkeiten angewiesen sein, um ihren Platz am Markt zu behaupten. Dazu gibt es inzwischen verschiedene Schulungen.

    Wissenschaftler der Uni Jena entwickelten und evaluierten ihr Trainingsprogramm "Wer hat das Zeug zum Unternehmer?". 600 Thüringer Schüler lösten unter Anleitung ihrer Lehrerkräfte verschiedene Aufgaben und bekamen ein Feed-back, wie kreativ, risikofreudig, teamfähig sie sind.

    "Und gerade für die Schüler, die Selbstständigkeit nicht aus der Familie oder von anderen Vorbildern, Rollenmodellen kennen, haben wir eine Steigerung unternehmerischen Interesses gefunden."

    Deshalb schlagen die Wissenschaftler vor, Schüler frühzeitig für unternehmerische Aktivitäten zu interessieren und die Lehrpläne darauf ausrichten. Außerdem sollten die Curricula vom Kindergarten bis zur Hochschule auch in diesem Punkt aufeinander abgestimmt werden, so wie in den USA die Gründungsbereitschaft von Kindesbeinen an gefördert wird. Die noch junge Forschung zur Entrepreneurship Education in Deutschland zeigt: unternehmerische Kompetenzen sind lehr- und lernbar. Und das ist auch notwendig.

    Wie der KfW Gründungsmonitor von 2009 aussagt, sind mehr als drei Viertel der Gründer - trotz Gründungsberatung und finanzieller Unterstützung - drei Jahre später nicht mehr selbstständig. Sie scheitern an mangelnder Motivation und Durchsetzungsfähigkeit. Auch unzählige Start-ups, die im IT- Bereich in den zurückliegenden Jahren Unternehmerfreude bewiesen, geraten inzwischen an die Grenzen ihrer unternehmerischen Möglichkeiten - auch aus psychologischen Gründen. Marie Dorothee Burandt:

    "Was da passiert ist in erster Linie das Thema Führung, was da schiefläuft. Das waren immer Freunde, die haben sich zusammengeschlossen, waren alle immer alle auf dem gleichen Niveau und waren immer eher so, dass sie gleichberechtigt sind, partnerschaftliche sind, demokratisch sind. Und das Unternehmen wächst und jetzt müssen Führungshierarchien eingeführt werden und das funktioniert nicht, denn der eine kann den anderen nicht anleiten, die Führung scheitert und es kommt zu massiven Konflikten zwischen allen Beteiligten. Und wo keine Führung ist, kommt keine Folgschaft und dann kommt es auch zu existenziellen und finanziellen Einbrüchen."

    Mit verschiedenen Studien belegen die Fachleute, dass psychologische Expertise den Spielraum für wirtschaftliches Handeln erweitern kann. Das betrifft beispielsweise die Suche nach dem richtigen Personal jenseits von nur einfachen Vorstellungsgesprächen, die verschiedene Bewertung von unternehmerischem Erfolg durch Frauen und Männern oder das Krisen- und Risikomanagement. Zugleich wird auch auf psychologisch noch wenig erforschte Aspekte verwiesen, für die es auch an praktikablen Handlungsmodellen fehlt - beispielsweise, wenn eine Firma auf einen Nachfolger übertragen wird.

    "Nachfolge ist psychologisch gesprochen ein kritisches Ereignis für denjenigen, der abgibt. Der abgibt, muss seine Identität verändern. Das heißt, er geht jetzt in den Ruhestand. Er gibt einen großen Machteinfluss ab, an ein Familienmitglied oder einen Neuen. Die Dinge werde nicht mehr so laufen, wie sie unter ihm gelaufen sind. Das heißt, das Unternehmen, das er aufgebaut hat, wird anders aussehen in ein paar Monaten. Das sind alles hochpsychologische Fragestellungen."