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Nichts als Reden

Seit 165 Jahren haben die Politiker im US-Senat ein unbeschränktes Rederecht, das Recht zum Filibuster. So lange auch nur einer der 100 Senatoren in der zweiten Kammer des Kongresses das Wort ergreifen möchte, darf über nichts mehr abgestimmt werden. Filibuster sind zwar absolut undemokratische parlamentarische Manöver, aber eine Mehrheit der Amerikaner möchte auf den alten Zopf nicht verzichten.

Von Barbara Jentzsch | 18.02.2006
    In dem Hollywood-Klassiker "Mr. Smith goes to Washington" spielt James Stewart 1939 den integren Senator Jefferson Smith. Bis zum erschöpften Zusammenbruch filibustiert Mr. Smith gegen das korrupte politische Establishment. Keine zehn Pferde würden ihn vom Rednerpult entfernen, bis die Leute gehört hätten, was er zu sagen habe.

    Jimmy Stewarts 23-Stunden-Filibuster wirkte wie eine urdemokratische parlamentarische Prozedur, doch im politischen Alltag war und ist das Filibuster ein höchst undemokratisches Verschleppungsmanöver. Amerikas Webster Lexikon definiert das vom niederländischen Wort "Freibeuter" abgeleitete Filibuster als Akt der politischen Piraterie:

    "die Anwendung obstruktiver Taktiken, insbesondere Marathonreden, zum Zwecke der Verzögerung von Beschlüssen der Legislative."

    Wirft ein Filibuster seine Schatten, zittert und zetert der gesamte Kongress. Denn Filibuster bringen Obstruktion und politisches Chaos, sie sorgen für die Lähmung der Legislative durch einen bizarren, parlamentarischen Trick: Endlosreden der Opposition im Senat. Zeitlich und inhaltlich unbegrenzte Monologe, die sich über Tage und Nächte hinziehen können.

    Jüngstes Opfer eines Filibusters wurde Amerikas umstrittene Terrorgesetzgebung, der Patriot Act. Die von Präsident Bush geforderte dreijährige Verlängerung wurde blockiert. Ein Filibuster drohte wenig später auch der Nominierung des extrem konservativen Verfassungsrichters Sam Alito. Senatsführer Bill Frist verurteilt das filibustieren von Richter-Ernennungen als radikal gefährlich und unzulässig.
    In den Annalen des Kongresses tauchen verschiedene Eintragungen für das erste Filibuster auf, am häufigsten jedoch der 18. Februar 1841. Das war der Tag, an dem Henry Clay, Senator der regierenden Whig Partei, ein Gesetz vorlegte, in dem es um die Entlassung vom Senat angestellter Drucker ging. Clays Pläne provozierten den Widerstand der oppositionellen Demokraten. Um die Abstimmung über das Gesetz zu verhindern, benutzten sie als Waffe eines der vornehmsten Rechte der Senatoren: die unbegrenzte Redezeit. Clay versuchte, die Rederitis im Senat durch eine Änderung der Geschäftsordnung zu begrenzen. Vergebens. Das erste Filibuster dauerte vom 18. Februar bis zum 11. März .
    Präsident Woodrow Wilson beschloss im Jahre 1917, den absurden parlamentarischen Brauch zu beenden. Er wollte Amerika für den Einritt in den Ersten Weltkrieg vorbereiten und empörte sich über einen Senat, der ihm dauernd filibusternd in die Parade fuhr:

    "Der amerikanische Senat ist die einzige Legislative der Welt, die selbst bei klaren Mehrheitsverhältnissen handlungsunfähig ist. Eine Handvoll eigenwilliger Männer, die nichts und niemanden außer ihrer eigenen Meinung repräsentiert, lässt die großartige Regierung der Vereinigten Staaten hilflos und verächtlich aussehen."

    Unter Wilson beschloss der Kongress, dass die Filibuster-Prozedur mit Zweidrittelmehrheit abgebrochen werden konnte. Seit 1975 reichen für die Beendigung der Dauerdebatte 6o Stimmen.

    Zu den legendären Marathonrednern im Senat gehört unter anderem der Populist Huey Long aus Louisiana. 1935 monologisierte Long 15 Stunden und 30 Minuten. Er las aus Shakespeare vor, empfahl Krabben und Austernrezepte, schwadronierte über den Kapitalismus, die Verfassung und die Unabhängigkeitserklärung.

    Die bis dato längste Filibusterrede eines einzelnen Politikers mit 24 Stunden und 18 Minuten hielt 1957 Senator Strom Thurmond aus South Carolina. Thurmond wollte die Bürgerrechtsgesetzgebung hinauszögern. Noch in den 60er Jahren filibustierten Senatoren aus dem rassistischen Süden der USA wochenlang gegen Präsident Lyndon B. Johnsons Civil-Rights-Gesetze.

    In der Ära Bush ist der latente Parteienstreit um das Filibuster wieder neu entbrannt. Den absurden Brauch endlich abzuschaffen, traut sich der Kongress nicht, denn 57 Prozent der Amerikaner wollen auf das antike Spektakel nicht verzichten.