Max Aub hat sein sechsteiliges Romanwerk "Das Magische Labyrinth" genannt. Jeder Band hat im Original einen eigenen Titel, der gebildet wird mit dem Substantiv "Campo" und einem Adjektiv oder einer Substantiv-Zusammensetzung. Da "Campo" mehrdeutig sowohl Feld, Schlachtfeld - und auch Konzentrationslager heißen kann, haben die deutschen Herausgeber vernünftigerweise statt einer pragmatischen wörtlichen Übersetzung treffende deutsche Versionen gefunden.
Band 1, "Campo cerrado": wörtlich "geschlossenes Feld " heißt in der gewählten deutschen Version: Nichts geht mehr und spielt zunächst zu Beginn des Jahrhunderts in der Provinz von Valencia , dann hauptsächlich im Juli 1936, also bei Ausbruch des Bürgerkriegs und endet im brennenden Barcelona. Band 2, "Campo abierto": "offenes Feld" wird als Theater der Hoffnung angekündigt, da die Mitglieder einer Theatergruppe ins Kriegsgeschehen zwischen Valencia, Burgos und Madrid verwickelt werden. Band 3, "Campo de sangre": "Blutfeld" schildert die erbitterte Schlacht um Teruel. Zeit: Dezember 1937 bis März 1938. Der deutsche Titel Blutiges Spiel kommt hier dem Original sehr nahe. Band 4, "Campo francés": "Französisches Lager", deutsch: Die Stunde des Verrats, schildert die Flucht der Republikaner im Januar 1939 über die Pyrenäen nach Frankreich und Szenen im französischen Konzentrationslager Le Vernet, wo Max Aub inhaftiert war. Band 5, "Campo del moro", heißt heute noch ein geschichtsträchtiger Platz in Madrid; hier widerstanden 1109 die Einwohner den maurischen Almoraviden. Aub schildert hier im Band "Am Ende der Flucht" die letzten Tage des republikanischen Madrid. Trauer, Schrecken, Verrat, Grausamkeiten sind die Chiffren dieses dramatischen Abschnitts: Der Roman-Zyklus eröffnet mit diesem Band das tragische Finale, nämlich: Band 6, "Campo de los almendros", "Feld der Mandelbäume", wird in diesem abschließenden Band schon interpretierend mit "Bittere Mandeln" wiedergegeben. Es ist der wohl erschütterndste Teil, den ja auch die Dramatik der Ereignisse vorgab. Die letzten Republikaner versuchen ihre nackte Haut zu retten. Die von Max Aub geschaffenen Gestalten wie Vicente Dalmases und die junge Asunción werden in den Kriegswirren immer wieder getrennt; als Vicente die Geliebte endlich findet, wird er durch Inhaftierung in einem Konzentrationslager auf ewig von ihr getrennt.
Schon jetzt darf gesagt werden: Eichborn hat den Start professionell vorbereitet, mit einem informativ üppigen Dossier und vor allem, was am wichtigsten ist: mit dem ersten Band "Nichts geht mehr" zeigt sich das Übersetzerpaar Albrecht Buschmann/Stefanie Gerold der Aubschen Erzählweise wie seinen Sprachkapriolen glänzend gewachsen. Unentbehrlich ist auch die sachkundige Kommentierung der spanischen Herausgeberin Mercedes Figueras, die zudem Max Aubs so überaus abenteuerlichen Lebensweg mit allen Daten und Fakten beschreibt, ein Leben - es ist schon wiederholt festgestellt worden - wie ein Roman, das zweidrittel dieses Jahrhunderts umschließt. Mit dieser von der Herausgeberin zusammengestellten Lebensskizze kann man Aubs Romanzyklus besser einschätzen, seine Gründe und Motive besser verstehen. Wenngleich Aubs Zyklus trotz aller historischer Daten und Schauplätze nicht ins Schema des historischen Romans paßt.
Über Aubs Werk liegt der Mantel des Schweigens durch die Folgen des Franquismus und die Beschädigungen des Exils. Dieser so überaus produktive Schriftsteller konnte wegen seines durch die Geschichte dramatischen Lebenswegs gar nicht in seiner Zeit recht eigentlich gelesen und diskutiert werden. Noch 1969, da er zum ersten Mal nach 30 Jahren spanischen Boden betreten darf, muß er bitter feststellen, ein Autor ohne Leser zu sein. Erst nach Francos Tod gab der Verlag Alfaguara Max Aubs Bürgerkriegszyklus heraus. Der erste Band erreichte sofort vier Auflagen. Heute scheint in Spanien die doppelte Gefahr gebannt, daß Aubs Werk in Segorbe verschwindet, wo sein Nachlaß aufbewahrt ist oder er allein Gegenstand des akademischen Betriebs wird. So sieht die junge Generation der Schriftsteller um Raphael Chirbes und Antonio Munoz Molina Max Aub als ihr großes Vorbild.
In Deutschland hatte immerhin der Piper Verlag schon 1962 den zweiten Band des "Magischen Labyrinths" unter dem Titel "Die bitteren Träume" in der guten Übersetzung von Helmut Frielinghaus publiziert. Aub bemerkte dazu in einem kleinen Nachwort: "'Die bitteren Träume', mein erster Roman, der ins Deutsche übersetzt wird, erscheint in München, der Geburtsstadt meines Vaters. Wer hätte das gedacht!"
Genau genommen hat der Erste Weltkrieg den in Paris 1903 geborenen Deutsch-Franzosen zum spanischen Schriftsteller gemacht, der Spanische Bürgerkrieg beziehungsweise der Zweite Weltkrieg den Republikaner Max Aub zum spanisch-mexikanischen Schrifteller im Exil. Fast sein gesamtes Werk entsteht in Mexiko. Aubs Vater mit deutschem Pass war in Paris bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs unerwünscht. Die Familie mußte Hals über Kopf unter Zurücklassung der gesamten Habe das Land verlassen. Man ließ sich in Valencia nieder, das der Vater von seinen Reisen als Schmuckhändler in Spanien gut kannte. Der junge Max scheint die Entwurzelung ohne Blessuren überstanden zu haben. Rasch lernt er Spanisch; schreibt erste Gedichte in der neuen Sprache im Alter von 15 Jahren. Er ist fast volljährig, da erfährt der konfessionslos erzogenen Junge, daß seine Eltern jüdischer Abstammung sind. Nach dem Abitur will er nicht studieren, sondern in die Fußstapfen des Vaters treten. Aubs stupende Kenntnis von Spaniens Land und Leuten, wie er sie ja nicht nur im "Magischen Labyrinth" demonstriert, verdankt sich wesentlich dieser Tätigkeit als Handelsreisender. Zugleich war Max Aub ein von der Literatur Besessener. Früh hat er in spanischen und französischen Zeitschriften publiziert, hatte bald einen Freundeskreis, zu dem etwa auch Federico García Lorca gehörte; und Aub machte in den zwanziger Jahren mehrere Reisen nach Deutschland, um dort das expressionistische Theater kennenzulernen. Denn eine der Leidenschaften Aubs war das Theater: über vierzig Stücke hat er geschrieben. Die Fähigkeit, durch Dialoge zu erzählen und so seine Figuren zu verlebendigen, das spürt man auf vielen Seiten seines Hauptwerks. Ja, es ist eine der Techniken, die Aub ganz virtuos entwickelte, worin er sein angeborenes Naturell literarisch gleichsam fruchtbar machte.
Max Aub war zwischen 1934 und 1936 Leiter eines Studententheaters in Valencia. Im zweiten Band sind einige wichtige Figuren Mitglieder eines Studententheaters und gegen Ende des Buches, im belagerten Madrid, entwirft Aub einige geradezu wahnwitzige Szenen: Vom gespielten Theater wechselt er in ein Theater mit grausam tragikomischem Einschlag; weil die Republikaner ohnmächtig und völlig unterlegen sind, sollen die Berufs-Innungen und die Gewerkschaften Madrid verteidigen, also etwa die 400 Friseure mit 150 Gewehren:
"Die Lüge. Es gilt zu siegen, und sei es mit Hilfe von Lügen. Damit sie nicht einmarschieren. Damit sie nicht durchkommen. Damit sie Madrid nicht erobern. Und sie werden es nicht erobern ... Und jedes Syndikat in einem Theater. Dort stellen sie ihre Kampfgruppen auf. Die Roten Löwen im Calderón-Theater. Die Figaros im Zarzuela. Die Bühnenkünstler und Bühnenarbeiter im Latina. Die Straßenkehrer im Espanol. Die Arbeiter der von Arbeitgebern organisierten Syndikate in der Comedia. Wer sind die Roten Löwen? Die Angestellten der Kolonialwarenhandlungen. Wer sind die Figaros? Die Friseure. Die Handlungsgehilfen werden Madrid retten oder sterben. Oder sterben und Madrid retten. Madrid gehört den Handlungsgehilfen.Die Handlungsgehilfen, diese Madrider, die mehr Madrider sind als die Madrider der Madrider. Der eine aus Cuenca, der andere aus Guadalajara, dieser aus Oviedo, jener aus Galicien, der dort aus Sevilla, dieser da aus Estremadura... 'Ihr seid verrückt.' 'Natürlich sind wir verrückt! Und sind stolz darauf! Vielleicht aber auch gar nicht so verrückt. Man verliert nicht, bis man verloren hat."
Dieses totale Theater ist ein Theater des Untergangs. Der vierte Band seines Zyklus ist in der Folge wie ein Theaterstück aufgebaut; Aub versieht ihn mit einer aufschlußreichen poetologischen Einführung. Er bezieht sich darin auf sein Vorbild, den großen spanischen Realisten Benito Pérez Gáldos, der als erster von der Verschwisterung zwischen Theater und Roman sprach, genauer vom Erzählstil des "intensiven Romans oder des extensiven Dramas". Aub erklärte 1964 : "Man muß bei Gáldos nur den Begriff Theater durch Kino ersetzen ... Heute sind Kino und Fernsehen Teil einer Literaturindustrie wie das Theater oder die Billigeditionen des Taschenbuchs ... Und nicht einer Laune wegen will ich etwa in meiner langen Serie der Erzählungen über den Spanischen Bürgerkrieg eine Form erfinden, die dem Film nahe ist, sondern weil ich glaube, daß bereits ein Publikum existiert, für das die Trennung von Bild und Dialog ... es ihm eher erleichtert, der GESCHICHTE zu folgen ... Authentische Ereignisse und Szenen konnte ich so mittels eines begleitenden Erzählers schaffen, damit das Publikum den Dokumenten folgen kann ... Ich glaube, das sind Erinnerungen, die zum ersten Mal in dieser Technik geschrieben sind."
Wenn Bert Brecht den epischen Erzähler für sein Theater erfand, so Aub den dramatischen Erzähler für seine Epik. Max Aub hatte fast zwei Jahre mit André Malraux an der Verfilmung von dessen Roman "L'Espoir" ("Die Hoffnung") gearbeitet und die Szenen teilweise im umkämpften Barcelona gedreht. Daher die Kenntnis, Einsicht und Begeisterung des Theatermanns und Epikers Aub für neue, vom Film inspirierte dramatische Erzähltechnik. Entscheidend ist Aubs epische Komposition in ihrer Zusammensetzung aus einer sehr bildhaften Beschreibung und bewegtem Dialogspiel. Aus dem nun erschienenen ersten Band "Nichts geht mehr" Passagen, die die beiden Hauptfiguren illustrieren: den Landjungen Rafael Serrador, der in das von zahlreichen Gruppierungen aufgewühlte Barcelona kommt und dort auf den zur Falange neigenden Schriftsteller Luis Salomar und seine Bande trifft:
"'Das persönliche Attentat dient der Verteidigung. Die Welt wird auf der Straße gewonnen. Alles Symbolische ist nur noch Geschichte. Niemand glaubt mehr an Symbole. Nicht einmal die Italiener! So etwas macht man nur mit der Guardia Civil. -'Und wann?' fragt Raffael halb im Ernst, halb im Scherz. 'Das hängt mehr von denen ab als von uns.' Die Zeit allein beseitigt keine Zweifel. Das Jahr 1935 endet im Nebel. Dann suchen Rafael die Brüder Fernández auf. Sie erzählen ihm von der Falange. 'Auch wir machen jetzt bei denen mit.' 'Sie sind gegen das Kapital und gegen die Katalanen, das ist immer gut...Eins sag ich dir schwarz auf rot: ohne Disziplin werden wir nichts ereichen. Das Programm der Falange ist gar nicht weit weg von dem der Anarchosyndikalisten.' 'Ja aber genau andersherum!' Nein, Serrador, ganz und gar nicht! Es geht darum, den Kapitalismus von innen heraus zu bekämpfen.' 'Nationalsyndikalismus, sagt dir das gar nichts'"
Die verqueren Ansichten sind die unheilvollen Vorboten des Bürgerkriegs, sind Ausdruck des Labyrinths, in das sich nicht nur die beiden Hauptfiguren des Auftakt-Romans verstricken. Raffael begeht in dieser wirren Zeit einen Mord an einer Dirne, die einen Freund verraten hat. Er hat sie im Hafenbecken von Barcelona ertränkt. Hier die Nacht nach dem Mord aus der Sicht des Mörder als Beispiel Max Aubscher Erzählkunst, vom polemischen Straßengespräch sofort in die den Mörder bedrängende Bilderwelt einzudringen:
"Die Nacht wurde zum Tag und blieb noch Nacht. Wo tauchen die Körper auf? Welch giftige Likör läßt die Dinge wieder auftauchen? Welches falsche Stanniol überdeckt das Meer und verlötet es mit dem Himmel? Welcher Verrat öffnet die Türen? Welcher Tod schleicht sich hinterrücks an die Lichter der Stadt heran? Heimtückisch zieht der Tag auf. Sogar der Wind erstirbt bei so viel Hinterlist, so viel Tod. Alles verharrt in Schweigen. Weit in der Ferne raubt die Höhe Farbe. Dieser Pflasterstein schwillt langsam an zu einem Fels. Der Tag eilt herbei, kalt und von unten, von unten, von fern. Die Nacht schweigt angsterfüllt zurück. Sie duckt und versteckt sich. Das Licht ist feige und kommt nicht frei heraus. Verraten sind die Fangleinen, die Masten, die Kisten, die Uhr, die Feluke, die weggeworfene Schiffsschraube, wie eine Rose aus Metall, der Spind, die Takellagen, die Bewegungen jenes Manes. Aus dem gekräuselten Schornstein dort kann man schon das Weiß, das Rot und das Grün unterscheiden. Das Wasser schlägt jetzt wieder gegen das Eisen, das Holz, den Stein. Das Salzwasser. Das Meer ... Eine gallertartige Stille bindet mir die Hände, die vergifteten Fische treiben auf der Stelle und färben das Wasser weiß ... Das Wasser fließt nicht, es sinkt. Ich werde an Luft ersticken..."
Der Handelsreisende Aub verstand es mit dem Mann auf der Straße zu reden, seine Gefühle nachzuempfinden, und der Schriftsteller und Intellektuelle Aub setzte sich mit den kulturellen und politischen Strömungen der Zeit auseinander. Beide Ebenen finden sich in der Person des Erzählers im "Magischen Labyrinth" vereint. Dieser drängt sich freilich nie in den Vordergrund: es reden die Figuren wie von selbst; floskelhafte Wendungen wie "da sagte er", "da machte er", um Bewegung, Handlung in Gang zu bringen, gibt es so gut wie nicht oder fallen zumindest nie auf.
Der Erzähler eröffnet dem Leser eine suggestive Polyphonie der Stimmen, Ausdruck auch des undurchdringlichen Labyrinths, das der Bürgerkrieg vor allem auf Seiten der vielen linken Gruppierungen auch darbot: die Tragik der republikanischen Front. Was ihre Niederlage mitbedingte, daß Anarchisten, Trotzkisten, Syndikalisten, die Milizen der Regierung, die Internationalen Brigaden nicht nur selten zu einer geschlossenen Front zusammenkamen, sondern, daß hinter den Linien, Verrat, Füsilierungen, politische Morde die sogenannte Volksfront schwächten. Diese, wie Aub einmal sagte" wahrhaft dramatische Exposition", die der Bürgerkrieg vorgab, konnte nicht aus der Sicht nur eines Erzählers geschildert werden oder in nur ein, zwei herausgehobenen emblematischen Gestalten, in denen das ganze Elend des Spanischen Bürgerkriegs kulminierte.
Der Dorfjunge Rafael Serrador, der im ersten Roman "Nichts geht mehr" nach Barcelona kommt, ist trotz eines Mordes und eines Attentatsversuchs eine im Grunde passive Gestalt neben anderen. Hinfortgespült im Strudel der politischen Ereignisse, verdingt er sich, um ein paar Peseten zu verdienen bei der Falange; als diese mordet, sieht er teilnahmslos zu. Eher erweckt Aub Sympathie für die fanatische Ethik des Schriftellers und Falange-Anhänger Luis Salomar.
Der Republikaner Aub hat - im Gegensatz zu den Büchern der deutschen Parteikommunisten - jede holzschnitthafte oder simple Parteinahme durch seine polyphone Erzählform vermieden. "Helden" gibt es in diesem Bürgekriegsdrama nicht. Im zweiten, fünften und sechsten Band wird zwar immer wieder die persönliche Geschichte zweier Liebender aufgenommen: die Story einer tragischen Liebe zwischen Vicente Dalmases, einem intellektuellen Kommunisten, und Asunción Meliá, einer jungen, einfühlsamen wie entschiedenen Frau. Aber auch sie tauchen auf und verschwinden wieder im Malstrom des Bürgerkriegs. Bis zu ihrem endgültigen schrecklichen Ende.
Max Aubs Erzählen ist wider den falschen Realismus konzipiert, gegen eine Epik, die sich als Markenzeichen dem sogenannten vitalen Realismus verschrieben hat. Der sprach- und bildverliebte Aub selbst ist der geheim anwesende Erzähler, die integrative "Leitfigur", die durchs Labyrinth führt. Mit dem heutigen Abstand zu Max Aubs Werk wird der kritische Leser nicht umhinkommen, dem Auftaktband "Nichts geht mehr" mit seinem letzten Drittel gewisse Defekte zu konstatieren: wir meinen die überdrehten Passagen, in denen Anarchosyndikalisten, Intellektuelle, Kommunisten oder Falangisten sich mit ihren Hirngespinnsten traktieren. Aub hatte ihn sofort nach der Flucht über die Pyrenäen, in Paris in wenigen Wochen niedergeschrieben. Angesichts heutiger Ungeduld und der Marktzwänge ist das bedauerlich, da jeder weitere Band dieses infernalischen Bürgerkriegsfrescos eine dramatische Steigerung verheißt.