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Nichts mit Sonntagsruhe

Heute verhandelt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe darüber, ob die Sonntagsarbeit verfassungsgemäß ist. Welche Auswirkungen verkaufsoffene Sonntage haben, das kann man in Polen sehen. Selbst die sonst so einflussreiche katholische Kirche kann da nur wenig ausrichten.

Von Florian Kellermann | 23.06.2009
    Ein Einkaufszentrum im Westen von Warschau. In der riesigen Halle plätschert ein Brunnen, oben blickt man in eine Glaskuppel. Es ist Sonntag, und viele Warschauer verbringen hier ihren freien Tag. So auch die 49-jährige Marina Maslowska, die sich in einem der Cafés mit ihrem Mann gemütlich gemacht hat.

    "Einkaufen hier ist sehr praktisch. Ich fahre mit dem Auto in die Tiefgarage, bekomme alles was ich brauche und werde dabei nicht nass. Und der Cappuccino ist auch nicht schlecht. Ich bleibe immer ein paar Stunden, aber viele verbringen hier das ganze Wochenende."

    Tatsächlich: Eine Familie mit zwei Kindern blickt ins Schaufenster des Zoogeschäfts, während eine Gruppe von 20-Jährigen auf ihren Kinofilm wartet. In den vergangenen Jahren schossen solche Einkaufszentren in ganz Polen wie Pilze aus dem Boden. Aber was für die einen ein Freizeitvergnügen, ist für die anderen ein Fluch - vor allem für die Beschäftigten im Einzelhandel.

    Ihr Familienleben bleibt dabei auf der Strecke, erzählt Monika, 38 Jahre alt, die in einer Parfümerie des Einkaufszentrums angestellt ist.

    "Ich muss mindestens jedes zweite Wochenende kommen. Das Schlimme ist, dass mein Mann auch Verkäufer ist. So haben wir das ganze Jahr kein einziges Wochenende, das wir gemeinsam mit unseren beiden Kindern verbringen können. Ein echtes Familienleben mit gemeinsamen Ausflügen gibt es bei uns also nicht."

    Als Monika vor 20 Jahren ins Berufsleben trat, war das noch anders. Im kommunistischen Polen waren die Geschäfte am Sonntag geschlossen. Aber mit der Wende kam der Kapitalismus - und der ist in Polen zügelloser als zum Beispiel in Deutschland. Erst vor zwei Jahren gelang es den Gewerkschaften durchzusetzen, dass wenigstens an zwölf Feiertagen im Jahr die Läden geschlossen bleiben.

    Die Sonntagsarbeit empfindet Verkäuferin Monika auch deshalb als so ärgerlich, weil sie dabei keinen Zloty mehr verdient als unter der Woche, denn nur wenige Arbeitgeber zahlen freiwillig eine Zulage. Monika und ihr Mann verdienen jeweils 450 Euro im Monat, bei einem 5-jährigen und einen 12-jährigen Sohn reicht das gerade für das Nötigste.

    "Der Große fährt im Sommer zum ersten Mal in ein Ferienlager, da bleibt dem Rest der Familie fast kein Geld mehr für den Urlaub. Schließlich müssen wir ihm auch wetterfeste Kleidung kaufen. Vielleicht schaffen wir es, alle gemeinsam für fünf oder sechs Tage zu verreisen - aber wahrscheinlich nur zu unserer Tante aufs Dorf."

    Monika muss zurück an ihren Arbeitsplatz. Wenn sie sonntags von 12 Uhr mittags bis acht Uhr abends arbeitet, stehen ihr genau 20 Minuten Pause zu.

    Dabei gibt es in Polen eine mächtige Organisation, die sich für verkaufsfreie Sonntage einsetzt: die katholische Kirche, der immerhin über 90 Prozent der Menschen angehören. Aber selbst die sonst so einflussreiche Kirche kann da nur wenig ausrichten. Denn zum einen möchte die Mehrheit der Polen am Sonntag einkaufen, wie Umfragen zeigen, und zum anderen haben die Kaufhauskonzerne die schlagkräftigere Lobby. Deren Position ist deshalb so stark, weil die Beschäftigen im Einzelhandel sich kaum organisieren. Weniger als 15 Prozent sind Mitglied in der Gewerkschaft.
    Jan Okrasa von der Gewerkschaft "Solidarnosc", auf Deutsch "Solidarität", erklärt das so.

    "Fast alle Regierungen, die wir bisher in Polen hatten, waren wirtschaftsliberal eingestellt, auch wenn sie sich selbst anders nannten. Zusammen mit den Medien haben sie den Menschen eingebläut, dass Gewerkschaften etwas Schlechtes sind und den Aufschwung bremsen. Viele Polen emigrieren lieber nach Irland oder Großbritannien, als in Polen um bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen."

    Monika, die Parfümerie-Angestellte, ist in der Gewerkschaft. Sie hofft, dass ihr Verband irgendwann für sie und ihren Mann freie Sonntage erkämpft.