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Nick Fielding; Yosri Fouda: Masterminds of Terror. Die Drahtzieher des 11. September berichten.

Im September vergangenen Jahres wurde in Karatschi ein Mann verhaftet, dem enge Kontakte zu den Hintermännern des 11. September nachgesagt werden: Ramzi Binalshib. Der gebürtige Jemenit gehörte ab 1988 zu jener islamistischen Hamburger Wohngemeinschaft, in der auch Mohammed Atta lebte, und wird bezichtigt, ab 1999 an der Planung der Terror-Anschläge maßgeblich beteiligt gewesen zu sein. Seit seiner Auslieferung an die USA ist Binalshib - nicht als einziger mutmaßlicher Täter – komplett aus den Schlagzeilen und von der Bildfläche verschwunden, er wird "an unbekanntem Ort festgehalten", so die öffiziöse Formulierung. Die Zeugenaussagen, die Binalshib zuvor noch gemacht hatte, durften im Hamburger Al-Qaida-Prozess gegen Mounir El Motassadeq von den Verteidigern nicht eingesehen werden – aufgrund einer Sperrerklärung der Bundesregierung. Begründung: Die Weitergabe der Aussagen Binalshibs beeinträchtige die Zusammenarbeit zwischen den Nachrichtendiensten und würde dem Wohl des Bundes Nachteile einbringen. Zudem hatten die US-Behörden lautstark ihr Veto geltend gemacht. Angesichts solch ausgeprägter Geheimniskrämerei sind deshalb die Interviews, die der untergetauchte Binalshib vor seiner Verhaftung in Pakistan gemeinsam mit dem militärischen Kopf der Al Qaida, Kalid Sheik Mohammed, gab, von umso höherem Wert. Nun sind sie als Buch erschienen; Brigitte Baetz stellt es Ihnen vor.

Brigitte Baetz |
    Im September vergangenen Jahres wurde in Karatschi ein Mann verhaftet, dem enge Kontakte zu den Hintermännern des 11. September nachgesagt werden: Ramzi Binalshib. Der gebürtige Jemenit gehörte ab 1988 zu jener islamistischen Hamburger Wohngemeinschaft, in der auch Mohammed Atta lebte, und wird bezichtigt, ab 1999 an der Planung der Terror-Anschläge maßgeblich beteiligt gewesen zu sein. Seit seiner Auslieferung an die USA ist Binalshib - nicht als einziger mutmaßlicher Täter – komplett aus den Schlagzeilen und von der Bildfläche verschwunden, er wird "an unbekanntem Ort festgehalten", so die öffiziöse Formulierung. Die Zeugenaussagen, die Binalshib zuvor noch gemacht hatte, durften im Hamburger Al-Qaida-Prozess gegen Mounir El Motassadeq von den Verteidigern nicht eingesehen werden – aufgrund einer Sperrerklärung der Bundesregierung. Begründung: Die Weitergabe der Aussagen Binalshibs beeinträchtige die Zusammenarbeit zwischen den Nachrichtendiensten und würde dem Wohl des Bundes Nachteile einbringen. Zudem hatten die US-Behörden lautstark ihr Veto geltend gemacht. Angesichts solch ausgeprägter Geheimniskrämerei sind deshalb die Interviews, die der untergetauchte Binalshib vor seiner Verhaftung in Pakistan gemeinsam mit dem militärischen Kopf der Al Qaida, Kalid Sheik Mohammed, gab, von umso höherem Wert. Nun sind sie als Buch erschienen; Brigitte Baetz stellt es Ihnen vor.

    Yosri Foudas Handy klingelte genau in dem Moment, als er sein neues Büro betrat. Er hatte sein Londoner Al-Dschasira-Büro am Albert Embankment eigentlich noch gar nicht richtig bezogen, aber schon mit klammheimlicher Ironie bemerkt, dass er von dort aus direkt auf das imposante Thames House am gegenüber liegenden Ufer der Themse blicken konnte, das Hauptquartier des britischen Geheimdienstes MI5. Es war Anfang April 2002. Am anderen Ende hörte Fouda eine Stimme, die er nicht kannte. "Salaam aleikum, Bruder Yosri. Hier spricht jemand, der gute Absichten hat", sagte auf Arabisch eine freundliche Männerstimme durch eine schlechte Telefonleitung und offenbar über eine große Entfernung.

    Was wie ein Agententhriller beginnt, ist der Anfang eines journalistischen Traums, der auch in einen Alptraum hätte umschlagen können. Als der Chefkorrespondent des arabischen Nachrichtensenders Al-Dschasira unter konspirativen Umständen nach Pakistan gelockt wird, ahnt er noch nicht, dass ihm das bisher weltweit einzige Interview mit zwei Drahtziehern der Anschläge vom 11. September gelingen wird. Mehr noch: Khalid Sheikh Mohammed und Ramzi Binalshibh, der eine Chef des militärischen Komitees von Al-Qaida, der andere Koordinator der Anschläge, entwickelten sogar ein Exposé für eine dreiteilige Fernsehsendung zum ersten Jahrestag des bislang größten Terroraktes im 21. Jahrhundert. Stolz auf den als Erfolg erlebten Massenmord und der missionarische Eifer, Zeugnis ablegen zu wollen, scheint die Terroristen und ihre Helfershelfer anzutreiben.

    "Und die Freitagsgebete?", fragte Fouda. "Allah wird Dir vergeben", antwortete Abu Bakr und sprach damit nichts weniger als ein Fatwa aus. Es war nach Mitternacht, als Abu Bakr sich verabschiedete. Fouda hatte jetzt noch mehr Fragen als Antworten. Der Mann war anmaßend. Wie konnte er sich erlauben, eine Befreiung von göttlichen Geboten zu erteilen? Welche irdische Macht hat das Recht, einen gläubigen Muslim von den wichtigsten Gebeten des Islam zu befreien? Natürlich macht Al-Qaida in ihren Schriftstücken immer wieder deutlich, dass schwere Zeiten besondere Maßnahmen erfordern, aber diese spontan dahingesagte Anweisung war schon eine Frechheit. Wo ist die Grenze? Bis wohin gelten die Gesetze des Islam, und wer entscheidet darüber? Und wo ist die Grenze? Bis wohin gelten die Gesetze des Islam, und wer entscheidet darüber? Und wo ist der Unterschied zwischen dieser Denkweise und der von Präsident George W. Bush, der im Namen des Kampfes gegen die "Feinde der westlichen Zivilisation" gerade die Werte dieser Zivilisation aufs Spiel setzt – durch Einschüchterung von Journalisten, durch diskriminierende Gesetze und durch Inhaftierung von Menschen ohne gerichtliche Anklage. Wie sollen wir beiden Seiten trauen?

    Während auf der amerikanischen Seite immerhin die handelnden Personen bekannt zu sein scheinen, weiß man im Westen von Al-Qaida und den anderen islamistischen Netzwerken ziemlich wenig. Wie ihre Mitglieder denken, welche Motive sie antreiben, wie die Organisationen funktionieren – selbst westlichen Geheimdiensten war das anscheinend lange Zeit ein Rätsel. Sonst hätte der 11. September so nie stattfinden können.

    arab. Wer ist Osama bin Laden?

    Wer ist Osama bin Laden, diese Frage des arabischen Fernsehsenders Al-Dschasira schließt eigentlich alle Führungsfiguren der Al-Qaida mit ein. Wie Yosri Fouda bei seinen Gesprächen herausfand, stehen die Mitglieder der Terrororganisation streng hinter der Maxime Osama bin Ladens, dass nicht nur amerikanische Soldaten, sondern dass jeder Amerikaner ein Feind ist.

    In diesem Kampf mit dem Feind ist jedes Mittel recht, auch die Lüge – die einem gläubigen Moslem eigentlich untersagt ist. Die Gotteskrieger berufen sich auf den Koran und auf die Geschichte. Sie sehen sich unter anderem in der Nachfolge Mohammeds, der sich mit einer zahlenmäßig unterlegenen, schlecht bewaffneten Schar von 313 Männern gegen eine riesige Armee arabischer Ungläubiger durchsetzen konnte. Bezeichnend auch, dass Osama bin Laden ein Netzwerk, das er 1998 gründete, "Internationale Front für den Dschihad gegen Juden und Kreuzritter" nannte. Alle Attentäter des 11. September gaben sich Kunyas, das sind Pseudonyme, die sie sich aus der Frühzeit des Islam liehen. Mohammed Atta etwa nannte sich Abu Abdul Rahman al-Masri, also: Vater Abdul Rahman, der Ägypter. Ein berühmter Abdul Rahman war einer der zehn, denen der Prophet Mohammed geweissagt hatte, sie würden in das Paradies eingehen. Das offenkundige Versagen westlicher Sicherheitsorgane im Vorfeld des 11. September war für Al-Qaida ein zusätzlicher Beweis für die Auserwähltheit ihrer kleinen Truppe – die Kämpfer für eine gerechte Sache gegen den Rest der Welt, beschützt von der Gnade Allahs. Nur Fanatikern oder eiskalten Verbrechern konnte es gelingen, diese weltweite, langfristig angelegte Operation durchzuziehen. In Khalid Sheik Mohammed und Ramzi Binalshibh sind die Eigenschaften beider Typen vereint: Intelligenz, Kaltblütigkeit, Menschenverachtung, Selbstaufopferung, Großspurigkeit. Gleichzeitig treten sie so auf, wie Zeugen die Attentäter des 11. September beschrieben: freundlich, zuvorkommend und gebildet. Die Gespräche mit ihnen bilden den Rahmen für weitere Recherchen über Al-Qaida, die Yosri Fouda mit Nick Fielding von der Sunday Times durchgeführt hat. Der Leser erfährt viel Erhellendes über die Lebenswege der Terroristen, über die Art und Weise, wie die Attentäter angeworben wurden. Mohammed Atta, der Ägypter, der in Hamburg studierte und als Einziger der Selbstmörder in alle Details und die Größe des Verbrechens eingeweiht war, ist ein exemplarischer Fall. Streng religiös erzogen, hochintelligent und erfolgreich im Studium, aber von den politischen und wirtschaftlichen Umständen frustriert, geht er ins Ausland, um zu sich selbst zu finden. Konfrontiert mit westlicher Lebensart, verfestigt sich sein schon angelegtes Weltbild, statt sich zu erweitern. Die Umgebung, in der er lebt, bekommt davon nicht viel mit – viel zu abgeschottet sind die islamistischen Zirkel, in denen er verkehrt, viel zu zurückhaltend er selbst, was die Gespräche mit Nicht-Gleichgesinnten betrifft. An Mohammed Atta zeigen sich die Grenzen westlicher Toleranzpolitik, wenn sie im Grunde nichts mehr als getarnte Gleichgültigkeit ist.

    Unterschätzt wird im Westen vor allem das latente Gefühl der Demütigung, das in der arabischen und in der vom Islam geprägten Welt herrscht. Die jahrzehntelange Unterdrückung der Palästinenser ist da nur ein Symbol. Kombiniert man diese Minderwertigkeitsgefühle mit der religiös begründeten Überzeugung, auserwählt zu sein, so ergibt sich eine gefährliche Mischung. Eine Mischung, die mehr als ein Jahrzehnt von den USA hingenommen, wenn nicht gar unterstützt wurde. Denn die USA unterschätzten lange, wie sehr der mit westlichen Mitteln geführte Krieg der Afghanen gegen die Russen, der letzte Stellvertreterkonflikt des Kalten Krieges, zur Radikalisierung beigetragen hat.

    Als die Berater wieder nach Hause fuhren, dachte man in Washington oder London nicht an das Erbe, das der Krieg hinterlassen hatte. Während im Westen gefeiert wurde, erklärten die jungen Araber, die zusammen mit den Afghanen gekämpft hatten, den Kriegsausgang zum Sieg des Islam. Sie hatten ebenfalls mit Hilfe von Regierungen und privaten Spendern Millionen von Dollar aufgebracht, hatten selbst gekämpft, und ihre religiösen Überzeugungen waren im Kriegseifer gestärkt worden. War das nicht wieder genauso wie damals zur Zeit des Propheten Mohammed? Für die Araber, die jahrelang nur Demütigungen durch Israel hatten einstecken müssen, war es der große Sieg. Wie ihre Vorfahren wollten sie wieder eine Rolle spielen in der Welt – unter dem Banner des Islam. So entstand ein neuer, militanter Islam, geprägt durch die Kriegstraditionen der Paschtunen und durch den strengen Glauben, den fundamentalistische Araber aus Saudi-Arabien, dem Jemen und Ägypten mitgebracht hatten.

    Khalid Sheikh Mohammed und Ramzi Binalshibh sind inzwischen in amerikanischer Haft. Doch es vergeht kein Monat, in dem Al-Qaida keine Anschläge verübt. Vor allem in Pakistan, dem Land, das die Atombombe besitzt, gibt es viele Sympathisanten, herrscht ein Klima, das geprägt ist von offizieller Anbiederung an die USA, gleichzeitiger Fanatisierung weiter Bevölkerungsgruppen und einem Geheimdienst, der wahlweise mit den USA und islamistischen Zirkeln zusammenarbeitet. Der Mörder des Journalisten Daniel Pearl, Omar Sheikh, wird nie an die USA ausgeliefert werden. Denn er weiß zuviel über die Beziehungen islamistischer pakistanischer Kreise und Al-Qaida – und deren Verbindungen zum Geheimdienst ISI. Gegenüber der amerikanischen Botschafterin Wendy Chamberlain soll Pakistans Staatschef Musharraf geäußert haben, er würde Omar Sheikh eher mit eigenen Händen aufknüpfen, als zuzulassen, dass die Amerikaner ihn bekommen. Wer das Buch "Masterminds of Terror" gelesen hat, dem kann durchaus Angst und Bange werden. Nicht nur, was die kriminelle Energie der Terroristen angeht, die weltweit in den unterschiedlichsten Gruppen agieren und die nur punktuell dingfest gemacht werden können. Nein, auch aufgrund der konzeptionellen Ratlosigkeit, mit der der Westen diesem Phänomen gegenüber steht. Die Bombardierung arabischer Länder dürfte der falsche Weg sein, weitere Gewaltverbrechen zu verhindern.

    Brigitte Baetz über Nick Fielding und Yosri Fouda: Masterminds of Terror. Die Drahtzieher des 11. September berichten. Veröffentlicht im Europa Verlag Hamburg, das Buch umfasst 256 Seiten und kostet 14 Euro und 90 Cent.