Auch jenseits von Bundestagsdebatten und Sabine-Christiansen-Runde wird nach wie vor Politik gemacht: in den rauchigen Hinterzimmern von Eckkneipen sitzen die einfachen Parteimitglieder und debattieren über LKW-Maut und Kindertagesstätten, über den Irakkrieg oder die Ampelanlage an der nächsten Kreuzung. Unglamourös, anstrengend und ruhmlos ist die Basisarbeit in der Demokratie - und die meisten Deutschen versagen sich ihr mehr und mehr. Der junge Journalist Nicol Ljubic ging den umgekehrten Weg und machte sich auf in die unbekannte Welt der real existierenden SPD.
Wann wir schreiten Seit an Seit
Ich hatte so viele Vorurteile Parteien gegenüber: erreicht man eh nichts, die reden nur und was soll man denn in einer Partei. Und dann hab ich gedacht: jetzt guck ich sie mir an und die SPD, weil sie mir von allen Parteien immer noch die Nächste ist auch nach der großen Euphorie 98 erst einmal, als Schröder den Regierungswechsel schaffte, dann die darauf folgende Enttäuschung, aber trotzdem ist es die Partei, die mir am Nächsten ist und dann dachte ich: Mach ich mal diesen politischen Selbstversuch. Ich bin wirklich eingetreten, weil ich etwas tun wollte, weil die Partei mir am Nächsten steht, aber nicht wissend, ob ich am Ende dieser Erfahrung wirklich dabei bleibe oder nicht und es ist jetzt so gelaufen, dass ich sage: ich bleibe dabei.
Gerade mal 5.000 Menschen unter 35 sind im vergangenen Jahr in die SPD eingetreten. Einer davon war Nicol Ljubić. Der freie Journalist, der am Prenzlauer Berg in Berlin lebt, wollte nicht länger als Außenstehender über Politik schimpfen, sondern sich aus dem Inneren der Partei heraus eine eigene Meinung bilden. Sein Erfahrungsbericht ist äußerst amüsant zu lesen, vor allem, weil Ljubić aus der Perspektive des Naiven schreibt. Von einem, der auszog, die Politik kennen zu lernen:
Ich möchte in die SPD eintreten!" Diesen Satz habe ich geübt, zu Hause vor dem Spiegel, mit verschiedenen Betonungen, mal auf "möchte", mal auf "SPD". Es soll auf keinen Fall ironisch klingen. Man soll mir glauben, dass ich es ernst meine. Als ich vor dem Pförtner stehe, verschlucke ich aus Versehen das "in", sage: "Ich möchte die SPD eintreten." Er sagt: "Warten Sie, ich hole jemanden, der Ihnen hilft". Dann greift er zum Hörer.
Ein junger Mann in Jeans und Pullover kommt die Treppe herunter. "Du brauchst Hilfe?", fragt er. "Ich möchte, ähem, Mitglied werden", sage ich. "Schön", sagt er, "wir freuen uns über jedes neue Mitglied".
Er sagt auch: Dass er es noch nicht erlebt habe, dass jemand extra ins Willy-Brandt-Haus kommt, um Mitglied zu werden. Die meisten kämen, um ihnen das Parteibuch vor die Füße zu werfen. Was für eine wunderbare Partei die SPD sei, die beste und älteste, wir richtig meine Entscheidung sei und dass ich sie nicht bereuen werde – all das sagt er nicht. Wer dachte, in der SPD umwerbe man Interessenten in der Manier von Staubsaugervertretern, hat sich getäuscht.
Ljubić macht eine erstaunliche Erfahrung: kaum einer von den Genossinnen und Genossen, die er als einfaches Mitglied seiner Partei kennen lernt, ist einverstanden mit der Politik der Bundesregierung. Die Kluft zwischen Parteiprogramm und Reformpolitik ist zu gravierend als dass sich die so genannte Basis mit letzterer identifizieren könnte. Er gewinnt die Erkenntnis, dass Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander liegen können, sogar beim Genossen Franz Müntefering, der parteiintern noch als Mann der Basis gilt.
Da sprach er davon, dass die Zahl der Studierten jedes Jahrganges auf 40 Prozent steigen muss und wir müssen viel mehr für Bildung tun und im gleichen Atemzug waren vor der Tür Tausende von Studenten, die gegen die Bildungskürzungen protestiert haben, die ja die SPD in Berlin mitbeschlossen hat. Das sind so Widersprüche gewesen, wo ich dann da saß und denke: was soll denn das und kann ich diesem Menschen noch glauben, wenn vor der Tür was ganz anderes passiert.
Bei Parteiabenden im Ortsverein, in Berlin Abteilung genannt, bei Parteitagen und Jusoveranstaltungen lernt Ljubić, was es heißt, dicke Bretter zu bohren. Politik bedeutet, mit wenigen Leuten in Hinterzimmern zu sitzen, Tagesordnungen aufzustellen und in stundenlanger Arbeit Anträge zu formulieren, so z.B. den Antrag "Elite für alle" der Berliner Jusos Nord-Ost:
Wer mit Parteipolitik mühsames Klein-Klein verbindet, der sähe sich am heutigen Abend rundum bestätigt. Es ist, als versuche man zu acht eine Hausarbeit zu verfassen, wobei einer dieser acht ganz am Ende alles in Frage stellt – und seine Einwände zum Leidwesen aller auch noch wissenschaftlich begründen kann.
Im Protokoll dieser Sitzung würde stehen: Nach anfänglichem Widerstand gibt Genosse Nicol auf. Von ihm ist nichts mehr zu hören.
Nach zwei Stunden nämlich habe ich den Punkt erreicht, an dem mir alles egal ist, ich denke, macht doch, was ihr wollt, ich will nach Hause.
Die Praxis der real existierenden Demokratie führt bei Ljubić zu mancherlei Ernüchterung. Die menschliche Kälte eines Gerhard Schröder, den er beim Parteitag in Berlin erlebt, die Beschimpfungen von Passanten am Stand zur Europawahl, der Frust bei Wahlniederlagen – Ljubić registriert das alles und doch hat er das Gefühl, dass sein Engagement nicht sinnlos ist.
Ljubićs Buch ist mehr als nur ein Erfahrungsbericht aus dem Alltag eines einfachen SPD-Mitgliedes. Es ist auch das Porträt einer Generation, die durchaus politisch interessiert, aber vollkommen abgekoppelt ist von der Realität, in der Politik gemacht wird. Kein Wunder, denn welcher unter 35-jährige kennt schon noch Menschen, die im kleinen Rahmen politisch tätig sind. In den Zeiten erodierter Ideologien und multimedialer Informationsüberflutung fühlen sich junge Leute zudem immer weniger in der Lage, sich abschließende Meinungen zu bilden. Und trotzdem, oder gerade deshalb, so der 32-jährige Autor, findet er politisches Engagement wichtig.
Ich trau mir kein Urteil zu, ehrlich gesagt, Hartz IV oder der Agenda 2010. Es gibt hunderttausend Gegenargumente. Geht man zur CDU und lässt sich das erklären, dann kommt man wieder und sagt: super, überzeugt. Genau so ist es. Dann fragt man die SPD, die kann das genauso überzeugend vertreten und diese Naivität führt das Ganze glaube ich ein bisschen zurück. Das ist für mich wichtig: diese Erdung. Weil, ich hab das Gefühl, es geht nur noch um Expertenwissen. Das ist auch meine erste Reaktion: Dafür gibt’s doch Experten, warum soll ich Ahnungsloser mich dazu äußern, aber genau das glaube ich, ist das Entscheidende für die Demokratie, wenn man diese Ahnungslosen wie mich ernst nimmt oder will, dass sie sich äußern, dann ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Um sich zu dieser Naivität und Ahnungslosigkeit zu bekennen, verlangt es Mut. Und um beides abzubauen, verlangt es Engagement. Für letzteres will Ljubić werben, auch wenn er in seinem Freundes- und Bekanntenkreis immer noch als Exot gilt:
Ich merk das an meiner Freundin, die mich immer noch belächelt und das ist ne absurde Situation, weil ich immer erklären muss. Ich blicke immer in total erstaunte Gesichter mit weit aufgerissenen Augen: Du bist in die SPD eingetreten, warum denn? Und es bedarf immer so einer Erklärung. Also, das finde ich total absurd, weil eigentlich müssten sich die Leute erklären, finde ich, also ganz global demokratisch, die nicht in eine Partei eingetreten sind.
Wann wir schreiten Seit an Seit
Brigitte Baetz über Nicol Ljubic: Genosse Nachwuchs. Wie ich die Welt verändern wollte. Erschienen bei der Deutschen Verlags Anstalt München. Das Buch umfasst 208 Seiten und kostet 17 Euro und 90 Cent.
Wann wir schreiten Seit an Seit
Ich hatte so viele Vorurteile Parteien gegenüber: erreicht man eh nichts, die reden nur und was soll man denn in einer Partei. Und dann hab ich gedacht: jetzt guck ich sie mir an und die SPD, weil sie mir von allen Parteien immer noch die Nächste ist auch nach der großen Euphorie 98 erst einmal, als Schröder den Regierungswechsel schaffte, dann die darauf folgende Enttäuschung, aber trotzdem ist es die Partei, die mir am Nächsten ist und dann dachte ich: Mach ich mal diesen politischen Selbstversuch. Ich bin wirklich eingetreten, weil ich etwas tun wollte, weil die Partei mir am Nächsten steht, aber nicht wissend, ob ich am Ende dieser Erfahrung wirklich dabei bleibe oder nicht und es ist jetzt so gelaufen, dass ich sage: ich bleibe dabei.
Gerade mal 5.000 Menschen unter 35 sind im vergangenen Jahr in die SPD eingetreten. Einer davon war Nicol Ljubić. Der freie Journalist, der am Prenzlauer Berg in Berlin lebt, wollte nicht länger als Außenstehender über Politik schimpfen, sondern sich aus dem Inneren der Partei heraus eine eigene Meinung bilden. Sein Erfahrungsbericht ist äußerst amüsant zu lesen, vor allem, weil Ljubić aus der Perspektive des Naiven schreibt. Von einem, der auszog, die Politik kennen zu lernen:
Ich möchte in die SPD eintreten!" Diesen Satz habe ich geübt, zu Hause vor dem Spiegel, mit verschiedenen Betonungen, mal auf "möchte", mal auf "SPD". Es soll auf keinen Fall ironisch klingen. Man soll mir glauben, dass ich es ernst meine. Als ich vor dem Pförtner stehe, verschlucke ich aus Versehen das "in", sage: "Ich möchte die SPD eintreten." Er sagt: "Warten Sie, ich hole jemanden, der Ihnen hilft". Dann greift er zum Hörer.
Ein junger Mann in Jeans und Pullover kommt die Treppe herunter. "Du brauchst Hilfe?", fragt er. "Ich möchte, ähem, Mitglied werden", sage ich. "Schön", sagt er, "wir freuen uns über jedes neue Mitglied".
Er sagt auch: Dass er es noch nicht erlebt habe, dass jemand extra ins Willy-Brandt-Haus kommt, um Mitglied zu werden. Die meisten kämen, um ihnen das Parteibuch vor die Füße zu werfen. Was für eine wunderbare Partei die SPD sei, die beste und älteste, wir richtig meine Entscheidung sei und dass ich sie nicht bereuen werde – all das sagt er nicht. Wer dachte, in der SPD umwerbe man Interessenten in der Manier von Staubsaugervertretern, hat sich getäuscht.
Ljubić macht eine erstaunliche Erfahrung: kaum einer von den Genossinnen und Genossen, die er als einfaches Mitglied seiner Partei kennen lernt, ist einverstanden mit der Politik der Bundesregierung. Die Kluft zwischen Parteiprogramm und Reformpolitik ist zu gravierend als dass sich die so genannte Basis mit letzterer identifizieren könnte. Er gewinnt die Erkenntnis, dass Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander liegen können, sogar beim Genossen Franz Müntefering, der parteiintern noch als Mann der Basis gilt.
Da sprach er davon, dass die Zahl der Studierten jedes Jahrganges auf 40 Prozent steigen muss und wir müssen viel mehr für Bildung tun und im gleichen Atemzug waren vor der Tür Tausende von Studenten, die gegen die Bildungskürzungen protestiert haben, die ja die SPD in Berlin mitbeschlossen hat. Das sind so Widersprüche gewesen, wo ich dann da saß und denke: was soll denn das und kann ich diesem Menschen noch glauben, wenn vor der Tür was ganz anderes passiert.
Bei Parteiabenden im Ortsverein, in Berlin Abteilung genannt, bei Parteitagen und Jusoveranstaltungen lernt Ljubić, was es heißt, dicke Bretter zu bohren. Politik bedeutet, mit wenigen Leuten in Hinterzimmern zu sitzen, Tagesordnungen aufzustellen und in stundenlanger Arbeit Anträge zu formulieren, so z.B. den Antrag "Elite für alle" der Berliner Jusos Nord-Ost:
Wer mit Parteipolitik mühsames Klein-Klein verbindet, der sähe sich am heutigen Abend rundum bestätigt. Es ist, als versuche man zu acht eine Hausarbeit zu verfassen, wobei einer dieser acht ganz am Ende alles in Frage stellt – und seine Einwände zum Leidwesen aller auch noch wissenschaftlich begründen kann.
Im Protokoll dieser Sitzung würde stehen: Nach anfänglichem Widerstand gibt Genosse Nicol auf. Von ihm ist nichts mehr zu hören.
Nach zwei Stunden nämlich habe ich den Punkt erreicht, an dem mir alles egal ist, ich denke, macht doch, was ihr wollt, ich will nach Hause.
Die Praxis der real existierenden Demokratie führt bei Ljubić zu mancherlei Ernüchterung. Die menschliche Kälte eines Gerhard Schröder, den er beim Parteitag in Berlin erlebt, die Beschimpfungen von Passanten am Stand zur Europawahl, der Frust bei Wahlniederlagen – Ljubić registriert das alles und doch hat er das Gefühl, dass sein Engagement nicht sinnlos ist.
Ljubićs Buch ist mehr als nur ein Erfahrungsbericht aus dem Alltag eines einfachen SPD-Mitgliedes. Es ist auch das Porträt einer Generation, die durchaus politisch interessiert, aber vollkommen abgekoppelt ist von der Realität, in der Politik gemacht wird. Kein Wunder, denn welcher unter 35-jährige kennt schon noch Menschen, die im kleinen Rahmen politisch tätig sind. In den Zeiten erodierter Ideologien und multimedialer Informationsüberflutung fühlen sich junge Leute zudem immer weniger in der Lage, sich abschließende Meinungen zu bilden. Und trotzdem, oder gerade deshalb, so der 32-jährige Autor, findet er politisches Engagement wichtig.
Ich trau mir kein Urteil zu, ehrlich gesagt, Hartz IV oder der Agenda 2010. Es gibt hunderttausend Gegenargumente. Geht man zur CDU und lässt sich das erklären, dann kommt man wieder und sagt: super, überzeugt. Genau so ist es. Dann fragt man die SPD, die kann das genauso überzeugend vertreten und diese Naivität führt das Ganze glaube ich ein bisschen zurück. Das ist für mich wichtig: diese Erdung. Weil, ich hab das Gefühl, es geht nur noch um Expertenwissen. Das ist auch meine erste Reaktion: Dafür gibt’s doch Experten, warum soll ich Ahnungsloser mich dazu äußern, aber genau das glaube ich, ist das Entscheidende für die Demokratie, wenn man diese Ahnungslosen wie mich ernst nimmt oder will, dass sie sich äußern, dann ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Um sich zu dieser Naivität und Ahnungslosigkeit zu bekennen, verlangt es Mut. Und um beides abzubauen, verlangt es Engagement. Für letzteres will Ljubić werben, auch wenn er in seinem Freundes- und Bekanntenkreis immer noch als Exot gilt:
Ich merk das an meiner Freundin, die mich immer noch belächelt und das ist ne absurde Situation, weil ich immer erklären muss. Ich blicke immer in total erstaunte Gesichter mit weit aufgerissenen Augen: Du bist in die SPD eingetreten, warum denn? Und es bedarf immer so einer Erklärung. Also, das finde ich total absurd, weil eigentlich müssten sich die Leute erklären, finde ich, also ganz global demokratisch, die nicht in eine Partei eingetreten sind.
Wann wir schreiten Seit an Seit
Brigitte Baetz über Nicol Ljubic: Genosse Nachwuchs. Wie ich die Welt verändern wollte. Erschienen bei der Deutschen Verlags Anstalt München. Das Buch umfasst 208 Seiten und kostet 17 Euro und 90 Cent.