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Nie bloß ein Hintergrundgeräusch

"Release", der Titel eines der drei gerade erschienenen Hörspiele von Paul Plamper, bedeutet nicht nur Veröffentlichung. Release heißt auch Befreiung, Erleichterung, Freilassung - für die Protagonisten dieser Arbeit ist es dadurch in vielfacher Hinsicht ein Sehnsuchtswort. "Release" nämlich entstand in zwei Berliner Haftanstalten.

Von Tobias Lehmkuhl |
    Es dokumentiert ein Projekt, bei dem jugendliche Straftäter die Möglichkeit erhielten, zusammen mit dem Musiker Schneider TM einen Song zu erarbeiten. Angesichts der Bedingungen in einer Haftanstalt kein einfaches Projekt, nicht zuletzt auch, weil die dort einsitzenden Songschreiber sich zuweilen kaum unkomplizierter verhalten, als manch kapriziöser Popstar. Das Ergebnis aber ist beachtlich. Nicht nur die Raps von Ingo, Rados, Mogli und Sabrina, vor allem der Einblick in die Lebenswelt der kaum 20jährigen Insassen vermag immer wieder zu überraschen.

    " Soll ich die Strophe mal vorlesen einfach, die ist voll geil: Du warst Maler und hast mir meine Zelle renoviert, stimmt wirklich, ja, und als Dankeschön hab ich dir Chicko auf den Arm tätowiert, haben zusammen unsere Namen in Standardfarben gegen die Knastmauer geschmiert (mit Musik:) diese Zeit mit dir, Bruder hat mir gezeigt, für dich geh ich sehr weit, noch viel weiter als die Unendlichkeit."

    Schon in einem früheren Hörspiel von Paul Plamper ging es um die Entstehung eines Songs. Für "Top Hit leicht gemacht" erhielt der Regisseur 2002 den hoch angesehenen europäischen Hörspielpreis "Prix Futura". "Release" nun ist eine Art Top Hit schwer gemacht. Aber auch in den anderen beiden jüngst erschienenen Hörspielen Plampers spielt die Musik eine tragende Rolle.

    Da ist zum einen "Henry Silber geht zu Ende". Held der Geschichte ist ein alternder Schlagersänger, der, weil seine Stimme es trotz intensivster Ölung mit Alkohol nicht mehr bringt, klugerweise vom Show-Geschäft Abschied nehmen will. Es findet eine große Abschiedsgala statt, moderiert von Charlotte Roche, die Silbers Geschichte darüber hinaus kommentierend begleitet. Noch einmal stolpert der Sänger betrunken über die Bühne, krächzt einen seiner größten Hits und verkriecht sich alsdann gemeinsam mit seiner Frau Claire unerkannt in einer gepachteten Tankstelle. Das Show-Geschäft aber will ihn nicht aus seinen Fängen lassen. Man spürt Silber auf, zerrt ihn vor die Kamera und lässt ihn sich dort, volltrunken, wie er ist, zum Affen machen. Die Parallelen zum Leben Harald Juhnkes sind unverkennbar. Volker Spengler spricht und singt diesen Henry Silber, wie er kurz vorm Ende steht und wankt; grölend im Delirium, sanft brummelnd neben seiner Frau, mit bierlahmer Zunge vorm Fernseher. Eine Stimme, die ihre beste Zeit lange hinter sich hat. Geschickt wird sie von Paul Plamper mit dem wohl tönenden Organ Max Raabes kontrastiert, der den jungen Silber singt.

    " Les étoiles sur ta peau, das hören wir jetzt - O làlà - Das hören wir jetzt, wir haben noch drei Minuten Zeit, so lange dauert der Wetterbericht - Du musst da drücken! Kannst nicht mal den Kassettenrekorder anmachen, da musst drücken, ja da - Okay, okay - (Musik)."

    Komponist Nils Kacirek sind einige eingängige, keineswegs billige Schlagernummern gelungen. Max Raabe singt sie mit gehörigem Schmelz, ohne kitschig zu werden. Und Plamper verzahnt die Musik, die immer als Teil der Handlung und nie als bloß atmosphärisches Hintergrundgeräusch funktioniert, geschickt mit der Geschichte von den letzten Jahren des Henry Silber. Einige wenige, dafür sehr pointierte Szenen genügen Plamper, eine ganze Welt hörbar zu machen. Die Verlogenheiten des Show-Geschäfts, die Abgründe des Alkohols, die Hartnäckigkeit der Liebe.

    Eine Reihe großartiger Sprecher steht ihm dabei zur Seite. Neben Volker Spengler etwa Margarita Broich, die Silbers Frau Claire spielt. Eine am Suff des Sängers immer wieder verzweifelnde Partnerin. Zuweilen heult und zetert sie, was das Zeug hält, und klingt dabei, als sei sie selber Stammgast in irgendeiner verqualmten und bierverklebten Eckkneipe. Sobald Silber aber seine Lieder anstimmt, schnurrt sie wie ein Kätzchen und rollt sich auf den Schoß ihres lieben "Heinz". Der wird - ein dann doch unjuhnkesches Ende - auf seine alten Tage noch Star der Berliner Elektro- und Nachklubszene.

    " All hands in the air now, move your bodies - Im folgenden Herbst erschien die CD "Silber mixt up". Silber war jetzt ein Star der Clubszene. So konnte er vor großem Publikum auftreten, ohne dass er sein Gelübde, nicht mehr zu singen, brechen musste. Denn was in den neuen Versionen von seinem Gesang übrig geblieben war, wurde als Playback eingespielt und Henry Silber erschien bloß auf der Bühne, um Kommandos in die langen instrumentalen Passagen hineinzurufen. In unbeholfenem Englisch und mit begeistert wedelnden Armen - All hands in the air now."

    Paul Plampers Arbeiten speisen sich vor allem aus zwei Quellen: dem Theater und der Musik. Mit gerade einmal 21 Jahren war Plamper Anfang der 90er Jahre bereits Assistent von Peter Zadek am Berliner Ensemble. Dort arbeitete er auch mit Heiner Müller zusammen. Viele der Schauspieler, die an den großen Berliner Bühnen auftreten, sind dem heute 34jährigen seitdem verbunden. Wichtiger noch als die Bühne seien für ihn allerdings seit jeher Platten gewesen, sagt Plamper. Und so verwundert es nicht, dass Plampers Hörspiele, anders als die seiner Kollegen, schnell den Weg vom Radio auf die CD finden. So auch "Kantomias rettet die Welt", die Geschichte eines verkrachten Kreuzberger Superhelden.

    " Ay, Kantomias, Alter - Hallo Freunde, ich bin Kantomias, der Retter der - Ja, ja, wir wissen, wer du bist. Wir sind doch deine alten Kumpels - Natürlich, Tom und Ramzi, wie geht's euch? - Mann, Kanto, Alter, hast du dich wieder versklaven lassen, Alter, zum Tütenschleppen, ay, Oma Gierke oder was? - Musst du wieder einkaufen für Oma Gierke? Du Opfer! Du bist so krass drauf, Alter!"

    P.R. Kantate gehören diese Stimmen, dem Sänger des Sommerhits "Görli Görli". Gleich neben dem Görli, dem Görlitzer Park in Kreuzberg nämlich, in einer Hinterhofwohnung in der Oranienstraße nimmt das Kantomias-Hörspiel seinen Ausgang. Dort wohnt der Superheld und wartet auf einen Hilferuf, der nach seinen vermeintlich superheldischen Fähigkeiten verlangt. Es meldet sich aber nur die motzige Oma Gierke, die Kantomias einkaufen schickt. Auf dem Weg zum Supermarkt ziehen ihn zwei Kreuzberger Prols, die nur zu genau um die Fallhöhe des Helden wissen, gehörig auf. Breiter Slang sorgt für reichlich Lokalkolorit; man könnte die Stimmen für O-Ton-Aufnahmen halten, doch auch Tom und Ramzi werden von P.R. Kantate gesprochen, eine wahrlich furiose Performance. Kantomias hat gleichwohl mehr drauf, als Oma Gierke die Milch zu holen. Im Laufe der Zeit gelingt es ihm, böse Hausmeister und BVG-Kontrolleure als materialisierte Spam-Mails, so genannte Klonkrüger, zu entlarven. Und selbst mit dem nach der Weltherrschaft greifenden Country-Kartell nimmt er furchtlos den Kampf auf.

    Eine anarchische Trash-Oper ist dieses Hörspiel, überaus liebevoll inszeniert und eingesprochen. Dem Charme der Charaktere kann man sich kaum entziehen. Faszinierend auch Plampers spielerischer Umgang mit musikalischen Moden. Überhaupt sind seine sämtlichen Inszenierungen von einem Witz geprägt, wie er im Hörspiel lange Zeit nur schwer zu finden war. Zum Glück aber gibt es heute Leute wie Plamper, denen es scheinbar mühelos gelingt, der Radiokunst neue Räume zu öffnen.

    " Gerade passierte das Unmögliche: Durch die elektrodigitale Ultrapotenz der Krüger-Geschöpfe wurde Kantomias dematerialisiert, als Zip-Datei verschnürt und als Anhang einer E-Mail ins Internet geschickt. Und zwar ins Online-Computerspiel Lethal Giants, einer Art Dantes Inferno mit Kampfrobotern. Nun blickte er, nur mit einer Schrotflinte bewaffnet, in den Lauf einer überdimensionalen Plasmakanone - Hi, du, du brauchst jetzt nicht schießen, weil ich wollte dir anbieten, dass wir erstmal über alles reden und so, vielleicht bist du ja gar nicht so, wie du jetzt tust, also weeßte, vielleicht bist du ja so in dir drin auch so ein ganz netter Kerl, so wie icke vielleicht."