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"Nie Doping in Freiburg mitbekommen!"

In den 80er und 90er Jahren wurden Dutzende Gastmediziner in der Freiburger Sportmedizin ausgebildet und waren später selbst in Dopingfälle verwickelt. Auch der ehemalige deutsche Top-Läufer Thomas Wessinghage, inzwischen einer der renommiertesten Sportmediziner in Deutschland, war im Rahmen seiner Ausbildung in den 80er Jahren Gastarzt in Freiburg.

Von Sebastian Krause | 05.05.2013
    Thomas Wessinghage - in den 70er und 80er Jahren einer der besten Mittel- und Langstreckenläufer der Bundesrepublik. Geboren in Hagen/Westfalen startet er schon als 20-Jähriger bei den Olympischen Spielen in München 1972. Zehn Jahre später wird er Europameister über 5000 Meter. Bis heute hält er den deutschen Rekord über 1500 Meter.
    Wessinghage ist auf der Bahn erfolgreich und arbeitet gleichzeitig an seiner Karriere als Mediziner. Approbation schon Ende der 70er Jahre, Facharzt für Orthopädie in den 80ern. Wessinghage schreibt Bücher, hält Vorträge – ein angesehener Experte für Fitness, Gesundheit, Laufen:
    "Das sind unendlich viele Wirklungen, die das Laufen und die Bewegung im Allgemeinen auf sich vereinigt."
    Inzwischen ist Thomas Wessinghage ärztlicher Direktor der Medical Park Rehakliniken in Bad Wiessee am Tegernsee. Dort erholen sich Prominente wie gerade erst Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl genauso wie Spitzensportler nach Verletzungen. Die Klinik ist die offizielle Rehaklinik des Deutschen Skiverbandes – mit modernster Technik und einem eigenen Labor. Deutsche Top-Athleten bereiten sich hier auf die neue Saison vor. Kooperationspartner sind auch der Olympiastützpunkt Bayern, der Deutsche Hockeybund und die Basketballer von Bayern München.
    Das alles unter dem Chef Prof. Dr. Thomas Wessinghage, der sich klar gegen jegliche Form von Doping ausspricht.
    "Und ich spreche mich ganz klar dafür aus, alle möglichen Anstrengungen zu unternehmen, diese Tendenzen zu unterbinden und für die Zukunft dafür zu sorgen, dass wir einen sauberen und Doping freien Sport bekommen."
    Dass der Doping-Gegner Wessinghage im Rahmen seiner medizinischen Ausbildung allerdings auch in der Doping belasteten Abteilung Sportmedizin in Freiburg gewesen ist, war lange nicht bekannt. Vor sieben Wochen sagte der damalige stellvertretende Leiter der Sportmedizin, Aloys Berg, dann im Deutschlandfunk:
    "Es gab sehr viele Gastärzte und einer der bekanntesten ist sicher der Thomas Wessinghage, der in Freiburg war für ein Jahr."
    Per Mail dementiert Thomas Wessinghage zunächst, jemals in Freiburg Gastarzt gewesen zu sein. Erst auf mehrmalige Nachfrage hin bestätigt er…
    "ich war de jure Gastarzt und war de facto sehr wenig anwesend, da es sich um eine wissenschaftliche Untersuchung zum Thema Laktat-Diagnostik handelte. Ich habe auf die Mail geantwortet, dass ich nicht da war, weil ich mich gar nicht mehr erinnern konnte. Es war eine eher nebensächlich Episode in meiner medizinischen Laufbahn. Das liegt 25 Jahre oder mehr zurück."
    Nach Deutschlandfunk-Informationen war Thomas Wessinghage 1984 als aktiver Läufer Gastarzt in Freiburg.
    Er habe vor allem mit dem damaligen Leiter der Sportmedizin, Prof. Joseph Keul, zusammengearbeitet. Keul betreute damals unter anderem die Leichtathletik-Nationalmannschaft und galt als umstritten, weil er sich bei öffentlichen Auftritten immer wieder nicht vom Anabolika-Einsatz bei Spitzensportlern distanzierte. Wie im Aktuellen Sportstudio 1977 bei der Diskussion mit Doping-Bekämpferin Brigitte Berendonk.
    "Eine Frage noch Herr Keul: Haben sie Sportlern, die gesund waren, Anabolika verschrieben, ja oder nein?
    Das ist eine Frage, die man nicht mit ja oder nein beantworten kann"
    Darauf angesprochen, ob ihn die fragwürdige Anti-Doping-Einstellung Keuls nicht gestört habe, antwortet Wesssinghage:
    "Zu diesem Thema habe ich mit Herrn Keul nicht gesprochen. Ich war auch zu keiner Zeit über seine Äußerungen der Öffentlichkeit gegenüber informiert, kenne sie auch bis heute nicht. Und zwischen uns war es niemals ein Thema. Bei uns ging es darum, dass wir uns um den Ausdauersport gekümmert haben, um die Leistungsdiagnostik und um die Methoden, mit denen man herausfinden kann, ob ein Leistungssportler gesund ist, oder nicht."
    Thomas Wessinghage galt als kluger Kopf, als mündiger Athlet und als Neffe von Willi Daume, dem ehemaligen Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees, nah dran an der deutschen Sportpolitik. Dass er die damalige Doping-Diskussion um den inzwischen verstorbenen Keul nicht mitbekommen hat, kann Anti-Doping-Kämpfer und Krebsforscher Werner Franke aus Heidelberg nicht nachvollziehen.
    "Das ist seltsam, um nicht zu sagen unglaubwürdig. Da wird es langsam lächerlich. Denn die Diskussion war ja auch in der Fachzeitschrift Leichtathletik, in allen Gazetten und in drei Sendungen – da hat das doch jeder mitbekommen."
    Obwohl gesundheitsgefährdend und damals eindeutig verboten, wurde das leistungssteigernde Hormon Testosteron in Freiburg Ende der 80er Jahre deutschen Kaderathleten verabreicht - zu Forschungszwecken. Studienleiter war Joseph Keul. Davon habe er bisher nichts gewusst, sagt Thomas Wessinghage.
    "Ich habe diese Information nur aus Ihrem Munde. Und deshalb kann ich sie auf ihren Wert und auf ihren Gehalt nicht überprüfen. Wenn es so wäre, wie Sie es jetzt behaupten, würde ich es zutiefst bedauern. Ich würde mich fragen, ob ich mich in Herrn Keul getäuscht habe. Ich würde auf der anderen Seite aber auch immer fragen, ob er das, was er getan hat, vielleicht aus wissenschaftlichen Aspekten getan hat, um den Sport und dem Wissen um die Wirkungsweise von verbotenen Substanzen zu dienen."

    2009 kam die Kommission zur Aufklärung der Dopingvorwürfe gegen die Radsportärzte des Teams Telekom zu dem Urteil: Die Grundeinstellung von Prof. Keul sowie die fehlende Kontrolle in der Abteilung hätten die Dopingaktivitäten der Radsportärzte begünstigt. Thomas Wessinghage:
    "Auch dazu kann ich nur sagen, dass, was ich da höre von Ihnen, kann ich auf seinen Wahrheitsgehalt hin nicht überprüfen. Ich weiß nicht, wie sich Herr Keul den späteren Mannschaftsärzten gegenüber verhalten hat. Ich kann nur sagen, dass er mir gegenüber niemals über Anabolika oder irgendeine Form von Doping gesprochen hat, dass er mich niemals dazu animiert hat, als Athlet unerlaubte Mittel zu ergreifen, und dass er mir ein sehr seriöser, stets offener, kompetenter, empathischer Ansprechpartner war."

    Eine Evaluierungskommission versucht derzeit die Vergangenheit der Freiburger Sportmedizin aufzuarbeiten, beklagt aber immer wieder, bei ihrer Arbeit behindert zu werden.

    In der Süddeutschen Zeitung bezeichnete IOC-Präsident Jacques Rogge die Doping-Vorgänge an der Uniklinik als "schockierend". "Es wäre schön, wenn die Untersuchung dort erfolgreich wäre und die Kommission herausfinden könnte, was wirklich passiert ist", so der Chef des Internationalen Olympischen Komitees.