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Nie mehr als niedergelassener Arzt

In Berlin demonstrieren mehrere tausend Ärzte gegen ihre Arbeitsbedingungen. Auf der zentralen Kundgebung vor dem Gesundheitsministerium protestieren die Mediziner gegen ihre Arbeitsbedingungen und die ständigen Mittelkürzungen in der Patientenversorgung.

Von Jens P. Rosbach |
    Hautarzt Gerald Jage hat eine High-Tech-Praxis im brandenburgischen Jüterbog. Mit Licht-Kabine zur Behandlung von Schuppenflechte, mit Hautkrebs-Bestrahler und Operationssaal. Täglich pilgern 120 bis 150 Patienten in seine Praxis: eine Rekordzahl. Doch die gesetzlichen Krankenkassen entrichten nur eine geringe Pauschale pro Patient – egal wie aufwendig die Behandlung ist.

    "Es mag jetzt richtig abschreckend klingen, aber wenn ich jetzt meine gesamten Unkosten, Kredite, Zinsen, Arzthelferinnen, Miete, Gas, Strom, Computerkosten alles zusammen zähle und sehe den Umsatz mit den Kassenpatienten und alle meine Unkosten, dann bleiben brutto im Monat zirka 1000 Euro übrig. "

    "Bitteschön! Sie haben einen Termin oder ohne Termin?/Ohne Termin!"

    Jage versucht zusätzlich Privatpatienten zu gewinnen, weil ihre Versicherungen besser zahlen. Doch gut verdienende Privatpatienten sind im Osten – und auf dem Lande - rar gesät. Der 41jährige kann deshalb nur durch "Fließbandarbeit" überleben. Und durch kosmetische Zusatz-Leistungen.

    "Wenn dann der vierjährige Sohn einem am Abendbrottisch sagt: Papi, du wohnst nicht zu Hause, du wohnst in der Praxis, dann hat man schon ein sehr mulmiges Gefühl und überlegt sich dann halt schon, ob man die 80-Stundenwoche dann doch ein bisschen reduziert."

    Die Patienten seien dankbar, berichtet der Arzt. Doch nur von dieser Anerkennung könne er nicht existieren; deshalb schaue er sich nach Alternativen um.

    "Ich hatte schon viele Angebote aus dem Ausland und hab auch jetzt auch wieder durch die Honorareinbußen überlegt, ob ich mit meiner Familie nicht doch noch ins Ausland gehe. Angebote aus Norwegen, England und Griechenland liegen mir vor mit Honorareinnahmen, die ungefähr das Dreifache darstellen. Wenn ich mir diesen Patientenzahlen im Ausland arbeiten würde, wäre ich mit Sicherheit schon ein Millionär."

    Der Mediziner weiß noch nicht, ob er wegzieht, da er in Brandenburg Familie, Haus und Freunde hat. Aber eins ist dem niedergelassenen Arzt klar geworden nach acht Jahren "Praxis-Erfahrung":

    "Also 1000 Euro brutto verdiene ich auch in tausend anderen Berufsbranchen, da brauch ich mir kein 11jähriges Studium ans Bein binden, mit viel Stress und Aufwand, hab damals auf viel Freizeit verzichtet, viele Weiterbildungen besucht und würde ich heute noch mal vor der Entscheidung stehen, würde ich den Weg, die Niederlassung hier nicht noch mal machen. "

    Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung verdient der durchschnittliche Praxisarzt derzeit noch 3000 Euro netto im Monat. Doch je nach Region und Kredit-Rückzahlung falle das Gehalt mitunter deutlich geringer aus, bilanziert die Standesorganisation. Nicht nur in vielen Praxen, auch in den Krankenhäusern herrscht Unmut. Die Krankenhausärzte klagen vor allem, dass Deutschland noch nicht die europäische Arbeitszeitrichtlinie umgesetzt hat. Michael Vogt vom Ärzteverband Hartmannbund erklärt den Hintergrund.

    "In deutschen Krankenhäusern findet eine Situation statt, dass es Mammutdienste gibt, dass ein Arzt einen 24-Stundendienst hat und trotzdem am nächsten Tag noch für die Versorgung zur Verfügung stehen muss. Unser Anliegen ist hier in erster Linie, die Patienteninteressen, dass Patienten nicht von übermüdeten Ärzten behandelt werden, denn es ist bekannt, dass in dem Fall die Risiken auch von Fehlern exponentiell ansteigen und deswegen ist eine unserer zentralen Forderungen, die Arbeitszeitrichtlinie mit einer Begrenzung der Wochenarbeitszeit auf ca. 48 Stunden festzulegen."

    Die Honorarsituation, die Arbeitsbelastung, die große Verantwortung - Grund für immer mehr Medizinstudierende, nach den Uni auf den Job eines praktischen Arztes zu verzichten. Roland Stahl von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zitiert die neueste Statistik.

    "Also im Jahr 2003 da haben sich 24 Prozent der Studienabgänger im Medizinstudium gegen die Ausbildung zum Arzt im Praktikum entschieden. 1998 lag diese Zahl nur bei 16 Prozent. Und das ist ein deutliches Indiz dafür, dass immer weniger studierte, fertig studierte Mediziner tatsächlich in den Medizinbetrieb gehen wollen. "

    Haut-Arzt Gerald Jage jedenfalls geht auf Nummer sicher: Er hat nebenher eine Touristik-Firma aufgebaut, parallel zur Hautarzt-Praxis.

    "Da habe ich mir gesagt, dass ich außerhalb des medizinischen Bereiches mir noch ein zweites Standbein aufbauen möchte, um einfach auch in Zukunft meine Familie ernähren zu können. Ein bisschen schizophren, dass ein Arzt heutzutage vor ne Zwangslage steht, noch ein anderes Standbein sich zu suchen, aber die Realität ist leider so."