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Nie mehr Mann ohne Eigenschaften

Erst konnte man hier nur Kaffee kaufen, dann Kaffeetassen und Kannen, schließlich Kleidungsstücke und Computer. Und jetzt kommen Krimis dazu: Seit neuestem bietet ein umtriebiger Kaffeeröster in seinen Shops Romane an, die als Clou mit den Namen der Käufer personalisiert werden. Dank moderner Schreibtechniken wie der "écriture automatique" und "Copy and Paste" ist der ganz persönliche Roman nach Zahlungseingang innerhalb von 10 Werktagen versandfertig.

Von Wolfgang Stenke |
    Das muss jetzt auch mal raus: Die Firma Tchibo, ("Jede Woche eine neue Welt"), die heute neben Unterhosen, Socken, Mobiltelefonen und Küchengerät auch noch das eine oder andere Pfund Kaffee über die Theke reicht, war an meiner literarischen Erziehung nicht ganz unbeteiligt. Damals, Mitte der 50er Jahre, war Tchibo ein reiner Kaffeeversand. Einmal im Monat brachte die Post das Paket mit dem Gold-Mocca, Vater holte die Kneifzange, um die Drahtumspannung zu lösen - und dann griff ich zu: Nicht wegen früher Koffeinsucht, sondern wegen der Heftchen, die zwischen den Kaffeetüten lagen. Auf grobes Zeitungspapier gedruckt, wie Rowohlts erste Rotationsromane, gab es da die Ilias und die Odyssee in Fortsetzungen. Eine popularisierte Version der griechischen Mythen als "pulp fiction". Diesen Homér - zu jener Zeit hieß er bei mir noch Hómer - habe ich nicht anders verschlungen als später "Jerry Cotton". Wie Hektor da von Achilles dreimal rund um Troja gejagt wurde oder Odysseus - viele Kaffeepakete und Hefte später - die Freier von seinem Hof vertrieb, das war pures Action-Kino im Kopf. Danach brauchte mir kein Geschichtslehrer mehr zu erklären, was es mit dem trojanischen Pferd auf sich hatte. Nur mit den Betonungen blieb das so eine Sache...

    Nicht erst seit Balzac sich des Nachts beim Schreiben literweise mit der schwarzen Brühe zudröhnte, ist die Bedeutung des Kaffees für die Literaturproduktion bekannt. Die meisten großen Dichter waren ja auf die eine oder andere Weise Trinker, die sich nicht mit H-Milch aufhielten. Doch jenseits dieser stimulierenden Funktion des Kaffees gilt es jetzt eine weitere, durchaus revolutionäre Verknüpfung zu entdecken - und zwar wiederum bei Tchibo: den "personalisierten Roman". Für nur 19,99 Euro kann man mit ein paar Mausklicks Menschen seiner Wahl zu literarischen Gestalten machen. Im Angebot sind ein Liebesroman ("Intrigen um Callaghan Hall"), ein Krimi ("Opfer Nummer Sieben") und ein Harry-Potter-Verschnitt (Titel: "Der kleine Zauberschüler"). Der Witz besteht darin, jeweils zwei Haupt- und zwei Nebenfiguren dieser Texte mit Namen, Haar- und Augenfarbe von Personen seiner Wahl auszustatten. Zehn Tage nach Bestellung kommt das dergestalt "personalisierte" Buch ins Haus. Das liest sich dann etwa so: "Mandy Aschersleben und Herbert Hammerschlag waren einst Kommilitonen in Cambridge. Jetzt sind die attraktive Rechtsanwältin mit den blonden Haaren und den schönen blauen Augen und der stattliche braunhaarige Gutsbesitzer mit den braunen Augen Gegner im Kampf um Callaghan Hall, ein Paradies im Osten Cornwalls". Usw., usw.

    Die anglophonen Namen der Autoren dieser Druckschriften tun wenig zur Sache. Entscheidend ist das revolutionäre Prinzip, das hier lanciert wird. Denn auf diese Weise lässt sich die gesamte Weltliteratur für ganz individuelle Zwecke funktionalisieren: Wer immer noch Ärger hat mit der Ex, der transponiert sie flugs mit ihren persönlichen Basisdaten an führender Stelle in den Plot von "Josefine Mutzenbacher". Den geizigen Chef bringt man irgendwo bei Charles Dickens unter und die etwas abgedrehte, wenngleich liebreizende Kollegin aus der Marketingabteilung bekommt die Rolle der Holly Golightly in Capotes "Frühstück bei Tiffany". Für Neubesetzungen mit politischem Personal empfehlen sich Shakespeares Königsdramen. Bevor Lady Macbeth dann ganz durchdreht, kann man ihr sicherlich in der Kaffeebude noch ein Tässchen Gold-Mocca einflößen.