Archiv


Nie wieder Kratzen

Technologie.- Für Autofahrer ist der Winter wohl die unangenehmste Jahreszeit. Vor allem das allmorgendliche Eiskratzen macht vielen zu schaffen. Doch damit könnte bald Schluss sein.

Von Michael Engel |
    Der dicke Eisbelag auf der Windschutzscheibe ist nicht mal mit der scharfzackigen Seite des Eiskratzers wegzukriegen. Zentimeterweise geht es nur voran. Wenn es nach Dr. Bernd Szyszka vom Fraunhofer Institut für Schicht- und Oberflächentechnik geht, könnten die Autofahrer bald aufatmen. Der Braunschweiger entwickelte ein Verfahren für die Herstellung von Autoscheiben, die kein Eis mehr ansetzen.

    "Das liegt an dem Auskühlverhalten der Scheiben. Und zwar machen wir das so, dass wir mit einer durchsichtigen Metallschicht überziehen. Der Effekt ist der, dass das Auskühlen des Glases verhindert wird. Dahin gehend, dass die Unterschreitung des Taupunkts herausgezögert wird. Und dann ist es so, dass das Fahrzeug am Morgen trocken bleibt, das heißt, auch keine Eisbildung entstehen kann, da eben die Scheibe keinen Feuchtigkeitsbelag zeigt."

    Der Oberflächenspezialist überzieht die Glasscheiben mit einer hauchdünnen Schicht als "Indiumzinnoxid". Nur 140 Nanometer ist das Ganze dünn, und deswegen bleibt das Glas vollkommen durchsichtig. Und: Diese Scheiben verlieren kaum noch Wärme. "Indiumzinnoxid" verhindert nämlich die Wärmeabstrahlung aus dem Glaskörper – sogar in klirrend kalten Nächten. Tagsüber – wenn es hell ist – erwärmt sich die Scheibe durch Infrarotstrahlung. Sie tankt die Wärme auf - das Spiel beginnt von Neuem. Auf diese Weise bildet sich kein Kondenswasser, das Glas bleibt immer trocken und deshalb auch eisfrei, selbst wenn das Fahrzeug viele Tage und Wochen abgestellt wird. Unverzichtbar wird der Eiskratzer aber auch in Zukunft nicht werden. Es gibt nämlich handfeste physikalische Gründe, und gegen die kann auch die neuartige Scheibe nicht viel ausrichten:

    "Naja, ich würd's so formulieren: Es gibt Situationen wie Eisregen beispielsweise. Da würde ich durchaus empfehlen, den Eiskratzer zur Hand zu haben. Den würde ich jetzt nicht ganz weglegen wollen an der Stelle. Eine Scheibenheizung kann helfen, beispielsweise großflächige Systeme im Heckbereich mit Scheibenheizung auszurüsten. Das sind wieder Themen, wo unsere Schicht zum Tragen kommen kann."

    Wenn's regnet und danach sofort gefriert, dann ist auch die neuartige Metallschicht machtlos. Doch sie leitet den Strom ganzflächig und kann deswegen auch als komfortable Scheibenheizung dienen. Bislang sind es einzelne Drähte, in der Heckscheibe eingelassen, die das Eis wegschmelzen. Entsprechend "schmal" sind dann leider auch die Sichtverhältnisse im Rückspiegel. Die neuartige Autoscheibe wird hier also mehr Durchblick ermöglichen, da sie auch im Innenbereich nicht mehr so leicht beschlägt. Ein Vorteil vor allem mit Blick auf die Frontscheibe. Menschen, die verbotener Weise gerne mit dem Handy am Ohr Auto fahren, werden allerdings wenig Freude haben:

    "Wir haben ja letztlich einen Faraday-Käfig, der durch die leitfähige Beschichtung gebildet wird. Und der hat Vorteile. Man kann zum Beispiel nicht mehr mit einem Handy telefonieren. Das heißt, man braucht eine Freisprecheinrichtung. Aber das ist gleichzeitig ein Nachteil, weil man dazu übergehen möchte, Notrufsysteme zu implementieren, die per Knopfdruck einen Funknotruf auslösen, und solche Module möchte man eigentlich im Fahrzeug geschützt im Armaturenbrettbereich. Und da muss man bei uns konstruktive Lösungen anstreben, die zum Beispiel dahin führen werden, dass man diesen Sender außerhalb des Fahrzeugs im Bereich der Frontscheibe vor dem Armaturenbrett anlagert."

    Seit zehn Jahren experimentiert Dr. Bernd Szyszka mit einer eigens entwickelten "Großflächenbeschichtungsanlage", die im Braunschweiger Fraunhofer Institut für vier Millionen Euro aufgebaut wurde. Nach der Beschichtung können die Scheiben gebogen und hohen Temperaturen ausgesetzt werden, ohne dass die Beschichtung reißt oder ihre Eigenschaften verliert. So etwas gab es bislang noch nicht. Die Autoindustrie hat großes Interesse an dem neuartigen Beschichtungssystem.

    "Man kann im Prinzip – wie man heute sagt 'es soll losgehen' – in zwei bis drei Jahren damit rechnen, dass die Entwicklung in der Serie angekommen ist."