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Nie wieder zurück

Die Sprache ist für die Aussiedler nach ihrer Ankunft in Deutschland oft die größte Hürde, um sich im neuen Leben zurecht zu finden. Doch je schneller sie die Sprachprobleme meistern, desto schneller verschwindet auch das Heimweh.

Von Almuth Knigge |
    "Ich komme aus Russland, aber unser Dorf, wo habe ich gewohnt - aus Russland - ich möchte kennen lernen meine Vaterland. Dann gehe ich in die Schule und arbeiten dort der Fisch sucht, wo ist Tiefe. Der Mensch sucht, wo ist besser."

    Jeden Dienstag um 14 Uhr fährt der Russenwagen vor den Supermarkt. Eine rollende "Tante Emma". Sie bringt ein Stück Heimat – russische Wurst, Käse, eingelegte Tomaten. Aber nicht nur das.

    "Es ist nicht die russische Wurst. Zeitungen auf Russisch, Leute nehmen und lesen."

    Das ist bisschen wie Liebeskummer erklärt Lubow. Man hält sich an den Erinnerungen fest, bis sie langsam verblassen. Lubow ist eine kleine zarte Frau, keiner glaubt ihr, dass sie schon 46 Jahre ist und demnächst Großmutter werden wird.

    "Ich wohne hier seit 2003 - zweieinhalb Jahre."

    Mittlerweile kauft sie keine russische Wurst mehr. Die deutsche schmeckt ihr besser.

    "Wichtig ist, dass beide Beine auf der Erde stehen. Wir sind Deutsche und für die Zukunft meiner Kinder ist es auch besser, wenn wir lernen Deutsch."

    Lernen, deutsch zu leben, in Deutschland zu leben, in dem Land, von dem die Eltern immer erzählt haben, wie von einer fernen Geliebten. Elvira Erdle, die alte Grundschullehrerin – sie lacht sehr viel – und dann blitzt eine ganze Reihe Goldzähne in ihrem Mund auf.

    "Ich habe viel gehört von meine Eltern, wie es geht in Deutschland und wie die Leute leben. Dann habe ich gedacht, ich habe jetzt Möglichkeit, und jetzt fühle ich mich wohl, und ich denke mal, in Deutschland wird es noch besser."

    Sie hat Goethe gelesen, Schiller, Lessing, mit ihrer Mutter zusammen, auch die Liebe zur deutschen Kultur hat sie in Sibirien aushalten lassen – und dann kam sie nach Deutschland.

    "Das erste Mal wie ich habe einen Fernseher gekauft und habe gehört deutsche Sprache, habe ich gedacht: Oh mein Gott, ich verstehe die Leute nicht. Aber jetzt verstehe ich alles gut und kann auch etwas sprechen."

    Vor einem Jahr haben Lubow und Erdle mit zehn anderen Aussiedlerinnen und der katholischen Frauenorganisation Invia einen Film gedreht. "Sprachlos in Deutschland" hieß er und handelt davon, wie die Frauen versuchen, sich im Land ihrer Vorfahren zurechtzufinden – und die Schwierigkeiten damit, denn ohne Sprache keine Integration. Ein trauriger Film.

    Die Fortsetzung ist ganz anders.

    "Hier ist mein Lieblingsplatz, ich spaziere oft alleine, manchmal alleine mit Mann oder meinen Kindern. Die Kinder sind wichtig für mich - ich helfe ihnen immer. Letztes Jahr habe ich meiner Tochter geholfen: Zeugnisse mit eins und zwei - und jetzt hilft meine Tochter mir."

    Der Film heißt "Der Fisch sucht die Tiefe, der Mensch das Bessere" - ein altes russisches Sprichwort. Er erzählt von der Suche nach dem Besseren – in Anklam, einer Stadt, aus der die Menschen eigentlich weggehen, weil sie woanders nach dem Besseren suchen.

    Lubow war die Kamerafrau beim zweiten Teil:

    Los geht’s. Kamera läuft - Frau Richter, mit 70 die älteste der Aussiedlerinnen, hat ihre Nachbarn zum Kaffeetrinken eingeladen. Sie hat sich fein gemacht, strahlt in die Kamera.

    "Früher hatte ich keine Kontakte mit deutsche Leute in Anklam, und jetzt habe ich schon viele Freundinnen und gute Nachbarn - und die besuchen jetzt mich. Bei diesem Film treffen wir zusammen, und ich hoffe diese Film, nachdem jemand guckt, mehr verstehen uns, warum wir gehen nach Deutschland und was wir fühlen hier."

    Für eine Liebe, dafür ist es noch ein bisschen früh - aber Freundschaft, das ist eine Basis.

    "Zuerst war das sehr traurig. Aber jetzt ist es schön."