So mancher Ball geht daneben, aber das ist nicht weiter verwunderlich, wenn man 91 ist. Annie Kasteleins lässt sich deshalb nicht entmutigen.
So wie jeden Mittwochvormittag ist die alte Dame wieder pünktlich zur Gymnastikstunde im Seniorentreff des südniederländischen Dörfchens Hoogeloon eingetroffen. Zusammen mit gut einem Dutzend anderer alter Menschen sitzt sie im Kreis, um sich den Ball zuzuwerfen.
"Manchmal lasse ich sie auch mit Gummibändern arbeiten oder mit Kegeln”, erklärt Physiotherapeut Ed Kennis, "Hauptsache, der ganze Körper kommt in Bewegung."
Kennis arbeitet im Auftrag der sogenannten "zorg-cooperatie". Zu dieser Alterspflege-Genossenschaft haben sich 250 Senioren aus Hoogeloon zusammengeschlossen – mehr als zehn Prozent der Dorfbevölkerung. Das war 2005:
"Unser Ziel ist es, die Aufnahme in ein Pflegeheim möglichst lange hinauszuzögern”, erklärt der Vorsitzende Ad Pijnenborg.
Die jungen Senioren, so das Prinzip der Genossenschaft, sorgen für die alten. Dabei werden sie von 60 ehrenamtlichen Helfern unterstützt. Zusammen erledigen sie das, was sie erledigen können: Das Mittagessen kochen, aber auch Bastelnachmittage organisieren, Ausflüge oder Spaziergänge.
Für alles andere wird professionelle Hilfe bestellt und ebenfalls vor Ort, im Dorf, geleistet: Alten- und Krankengymnastik, Haushalts- und Putzhilfe, ärztliche Behandlung und Versorgung zu Hause. Bezahlt werden diese Leistungen wie gehabt von der Kranken- und der staatlichen Pflegeversicherung.
Auch die Teilnehmer der Gymnastikstunde sind alle Mitglieder der Senioren-Genossenschaft – eine wunderbare Initiative, finden sie.
Denn alle möchten ihren Lebensabend zu Hause in den vertrauten vier Wänden verbringen. Etwas anderes kann sich auch Annie nicht vorstellen. Sie hat ihr ganzes Leben in Hoogeloon verbracht und ist hier auch geboren.
Vor zwei Jahren sorgte die Genossenschaft zusammen mit einer Wohnungsbaugesellschaft sogar dafür, dass im Dorf zwei "Zorg-Villas” gebaut wurden, für jeweils sieben Senioren. Da ist auch Annie untergebracht.
Mittlerweile gibt es im ganzen Land ähnliche Initiativen. Denn Hoogeloon gilt als leuchtendes Vorbild dafür, wie Bürger selbst aktiv werden können, anstatt sich zurückzulehnen und auf den Sozialstaat zu vertrauen.
Erst recht, nachdem König Willem Alexander im September im Namen der sozialliberalen Regierung in seiner ersten Thronrede das Ende des klassischen Sozialstaates ankündigte - und den Beginn der sogenannten Partizipationsgesellschaft:
"Jeder, der dazu fähig ist, trägt die Verantwortung für sein Leben und seine Umgebung”, so der König.
Mit anderen Worten: Erwartungen an den Staat sollte der Bürger fortan zurückschrauben und stattdessen selbst die Hemdsärmel hochkrempeln: "90 Prozent aller Niederländer nehmen irgendeine Sozialleistung in Anspruch”, rechnete Fraktionsvorsitzender Halbe Zijlstra von der rechtsliberalen Regierungspartei VVD vor. Das könne so nicht weitergehen.
Für die Oppositionsparteien ist der königliche Aufruf zur Partizipationsgesellschaft nichts anderes als eine Ausrede für weitere drastische Einsparungen, die dem Land trotz der schweren Rezession verordnet werden sollen.
Das Beispiel der Senioren-Genossenschaft von Hoogeloon zeigt, dass in diesem Bereich tatsächlich weniger Kosten anfallen können, wenn die Bürger selbst die Regie führen. Ganz einfach deshalb, weil die geleistete Hilfe dann weniger anonym ausfällt, maßgeschneiderter – und damit billiger:
"Wir kaufen nur das ein, was wir auch wirklich brauchen. Und können dadurch bis zu 30 Prozent sparen!”, sagt Vorsitzender Pijnenborg.
Wobei nicht vergessen werden dürfe, dass das Motiv für die Gründung der Genossenschaft ein ganz anderes war: nämlich Unmut über die staatlich organisierte Hilfe, die oft unzureichend und unpassend ausfällt. Der Bürger könne vieles selbst besser regeln als der Staat, sagt Pijnenborg. Aber das hätten ganze Generationen von Niederländern vergessen:
"Stattdessen wurde der Sozialstaat idealisiert”, so Pijnenborg. So gesehen kann er sein Ende nur begrüßen: "Lebe die Partizipationsgesellschaft!”